Auf Trinkstärke

Der Soundtrack meiner Adoleszenz wurde von Udo Lindenberg genuschelt. Zumindest konnte ich als 16-Jähriger jeden einzelnen Text von „Alles klar auf der Andrea Dona“ auswendig herunterbeten. Ich träumte von wunderschönen, Cello spielenden Göttinnen, denen ich, wie Udo, mit dem Moped bis ans Ende der Welt hinterherfahren würde – wenn ich ihnen nur endlich mal begegnen würde. Und wenn es mir mal richtig mies ging, dachte ich an den traurigen alten Seemann, wie er sich besoffen über den von Gitarrenstürmen umtosten Deich nach Hause schleppt. Bei aller Freude über die munteren Alliterationen, Wortspiele und Sprüche: Die melancholischen Lieder der frühen Alben waren mir schon immer erheblich lieber als die später so inflationär zunehmenden Gerhard-Gösebrecht-Schlager.

Den Abschluss meiner Fan-Beziehung zu Udo Lindenberg bildete dann die von Peter Zadek inszenierte „Dröhnland-Tour“, ein überproduziertes Spektakel, mit Schauspielern, Tänzern und eigenen Showblöcken für Eric Burdon und Gianna Nannini. Udo knödelte und nölte danach sogar noch erfolgreicher, aber er war längst zu einer sich selbst zitierenden Kunstfigur und Deutschrock-Marke geworden. Der Flirt mit Honecker, per „Sonderzug nach Pankow“, schoss den Panik-Rocker dann endgültig ins Abseits der Boulevard-Medien und Talkshow-Gäste. In Musikzeitschriften gab es deshalb in den letzten 20 Jahren nur wenig Platz für den Hamburger Man in Black. Dafür las man in „BILD“ oder „Bunte“ immer mehr vom frischgebackenen Maler, vom selbstzufriedenen Hotel-Insassen und auch vom hemmungslosen Suff.

Einmal ist Lindenberg vor mir aus einem Taxi gestiegen, an einem heißen Juli-Sonntag, an der Hamburger Alster: ein schwitzender, aufgedunsener Mann mit Schlapphut, in viel zu warmen schwarzen Klamotten. Seltsam verloren und irgendwie hilflos stand er einen Moment lang zwischen Joggern und Spaziergängern, wie ein Geist, der sich versehentlich unter die Menschen verirrt hat. Und irgendwie war er das damals ja auch.

Seit „Stark wie Zwei“ in den Regalen steht, drehen alle Medien völlig durch: „Der beste Udo L. seit 20 Jahren!“ In einer Serie erklärt „BILD“ das Phänomen Udo Lindenberg mit Zugang zur „Panik-Zentrale“ im Hotel Atlantik, wo Udo im Kino mit 20 Sitzen angeblich „seine Videos“ guckt. „BILD verrät seine letzten Geheimnisse…“ „Der Spiegel“ freut sich darüber, dass Udo gar keinen Nachnamen mehr braucht, weil es hierzulande ja nur zwei Udos gibt, die sich angesprochen fühlen dürfen. Später versteigt sich das Nachrichtenmagazin in die These, der Produzent Andreas Herbig habe das Comeback seines Schützlings genauso organisiert, „wie das einst die Produzentenlegende Rick Rubin mit dem erschöpften Countrystar Johnny Cash getan hat“. Man ahnt, was der Autor Moritz von Uslar sagen möchte, doch der Vergleich hinkt und humpelt.

Benjamin von Stuckrad-Barre hat für die 14-teilige „Wiederauferstehung des Udo Lindenberg“, die er für die „Welt“ zelebriert hat hat, gleich zu Füßen des alten Meisters Platz genommen. Oder wie soll man die folgenden Zeilen verstehen? „Lindenberg hat viele Sprüche auf Lager, und es ist gewiss naturell bedingt, ob einem der eine oder andere davon als Wegweiser taugt. Aber so wie er guckte, als er das sagte ohne Sonnenbrille natürlich, ganz wach und warm blinzelte er mir zu -, half es mir ein paar Meter weiter.“ Wenigstens ein paar.

Aber vielleicht wäre es ja auch mir so ergangen, hätte ich bloß einmal im Leben Gelegenheit gehabt, mit Udo Lindenberg zu sprechen. Jan Delay, zweimaliger Duettpartner und glühender Bewunderer, hat schon vor zwei Jahren begeistert von seiner Bekanntschaft mit dem Sänger berichtet: „Neulich hat er mir einen Song aus den Neunzigern gezeigt, der heißt ,Säufermond‘. So ein krasses Lied! Das hat mich so derbe berührt!“ Und dann sang Delay mit seiner erstaunlich Lindenberg-kompatiblen Stimme laut und leidenschaftlich: „Leise zittern ihm die Hände und der Säufermond geht auf nana nana nanana…“ Auf „Stark wie Zwei“ geht dann allerdings eher der Silbermond auf, nämlich beim Duett mit Sängerin Stefanie Kloß.

Nach all den Zeitungsartikeln und unzähligen Plakaten, auf denen ein jugendlich schlanker Udo noch einmal den galanten Karl Brutal zum Leben erweckt, wuchs die Neugier auf das Album ins Unermessliche. Hatten die Schwärmer in den Medien vielleicht doch recht, war das Idol meiner Jugend wirklich zurück?

Na ja: Die schlichten, aber deshalb passenden Arrangements stellen Udos Stimme klar in den Vordergrund. Das hat, wie bereits gesagt, nichts mit Rick Rubin zu tun. Aber viel mit einem alten Helden, der plötzlich wieder so vor einem steht, wie man ihn einmal gekannt und gemocht hat: ein melancholischer Schlawiner, der seine Sehnsucht auf der Zunge trägt und die eigenen Schwächen nur zu gut kennt. Er hat seinen Humor nicht verloren, aber er nimmt seine Sprüche jetzt weniger ernst. Auf Trinkstärke herabgesetzt, gewissermaßen. „Was hat die Zeit mit uns gemacht?“ fragt Udo und gibt uns den Schlüssel zu seinen neuen Songs in die Hand. Ihn selbst hat die Zeit gelehrt, was seine Stärken sind. Und wir Zweifler haben erkannt, was wir an ihm haben.

Fairer Deal, oder?

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