Berlinale 2016: „Maggie’s Plan“ – eine Ode an das Lebenschaos

Woody Allens Thron wackelt: Mit “Maggie’s Plan” hat Regisseurin Rebecca Miller einen Film geschaffen, der ein moderner „Annie Hall” werden könnte.

Im Zentrum der Geschichte, die im New York der Intellektuellen spielt, steht Maggie, die in ihren Dreißigern ist und unbedingt schwanger werden möchte. Doch Maggie, ganz emanzipiert, ist nicht bereit ihr Leben vom Schicksal bestimmen zu lassen und entscheidet sich, weil es in ihrem Erwachsenen-Dasein noch nie jemand länger als 6 Monate in einer festen Beziehung mit ihr ausgehalten hat, sich künstlich befruchten zu lassen. So soll eine private Samenspende von Maggies ehemaligen Studienfreund, jetzt Hipster-Gurken-Entrepreneur-Guy, das persönliche Glück bringen.

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Doch weil sich das Leben eben nicht planen lässt, kommt Maggie schließlich John, Professor und Experte für Fiktokritikale Anthropologie (keine Sorge diesen Beruf musste wohl der gesamte Kinosaal nachschlagen), in die Quere. John (Ethan Hawke) ist unglücklich mit seiner Familie und seiner dänischen Power-Frau Georgette (Julianne Moore), die ihm intellektuell und beruflich haushoch überlegen ist. So wird Maggie zur Retterin, die sich für ihn interessiert und dazu bringt, sein sich ewig hinziehenden Roman-Selbstverwirklichungsprojekt weiterzuschreiben. John (herrlich egozentrisch gespielt von Hawke) verlässt schließlich Georgette, um mit Maggie ein Kind zu haben und kann sich aber doch nie ganz von seiner mondänen Ex-Frau trennen. Eine Hintertür zum alten Leben bleibt immer irgendwie geöffnet – und zeigt hier schon mit welcher männlichen Charakterschwächen wir es hier zu tun haben. So unterschiedlich Georgette und Maggie auch sind, bei Rebecca Hall haben die Frauen definitiv das Zepter in der Hand.

I ain’t nothing but tired, man I’m just tired and bored with myself

Die Schönheit von „Maggie’s Plan“ liegt in den vielen kleinen Details. So rezitiert eine Shakespeare-Figur bei einem der ersten Spaziergänge von Maggie und John den Mittersommernachtstraum “Who would not change a Raven for a Dove?” und lässt einen so schon erahnen, zu was Maggie für John werden könnte, bevor überhaupt etwas zwischen den ihnen passiert. Das Spannende ist auch, dass Maggie zu keiner Zeit bewusst zu sein scheint, welche Macht sie in dieser ganzen, nur auf Gedanken aufbauenden intellektuellen Welt mit ihrer zupackenden Art hat. Wenn John in seinem neuen Leben beim Schreiben seines natürlich auch nach drei Jahren noch nicht fertig gestellten Romans laut Bruce Springsteens “Dancing in the Dark” hört, hat ein Song selten so sehr die Essenz eines gesamten Films beschrieben: “I ain’t nothing but tired, man I’m just tired and bored with myself / Hey there baby, I could use just a little help / You can’t start a fire, you can’t start a fire without a spark”.

Der Funken ist zu diesem Zeitpunkt längst erloschen und der Roman-Romantiker hat sich zurück in den gelangweilten, an sich selbst zweifelnden Intellektuellen verwandelt, mit dem schon Georgette nicht klargekommen ist. Wenn Maggie dann versucht, ihre bröckelnde Beziehung zu John zu retten und dabei gnadenlos scheitert, weil sie eigentlich schon längst über diesen Typen hinausgewachsen ist, hat auch das eine tragikomische Komponente, die man von Greta Gerwig bis jetzt so noch nicht gesehen hat. Denn auch wenn Maggie immer noch diese sehr reine Naivität hat, die man auch aus den Noah-Baumbach-Filmen wie “Frances Ha” oder “Mistress America” kennt, bekommt sie die hier die Chance Maggie durchsetzungs- und entscheidungsfähig zu spielen. Sie mag am Ende zwar keine intellektuellen Argumente haben, aber bekommt trotzdem das, was sie sich von Anfang an vorgenommen hat: ein Kind und die Freiheit sie selbst zu sein und dafür akzeptiert zu werden.

Sehnsucht nach Glück

Es ist deshalb eine sehr gute Entscheidung von Miller, Maggie eine dänische Kampffrau wie Georgette entgegen zu stellen, sehr stark gespielt von Julianne Moore, die ihren Nachmittagskaffee mit einem Stück Butter trinkt, damit sie keinen Hunger auf Süßigkeiten bekommt und auch sonst ihr Leben und ihre Familie im Griff hat, um zu zeigen, dass auch eine Maggie das Recht auf Glück hat.

Maggie’s Plan ist vor allem auch eine sehr gute Komödie, weil sich alle Figuren dadurch auszeichnen, dass sie mehr sind, als das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen und einen dazu zwingen darüber nachzudenken, welche Geschichten wir um uns selbst herum bauen. Wenn Maggie sich in einer Szene über einen Parkplatz vor dem Haus freut und dann doch wieder fast schon philosphisch wird, wenn sie proklamiert “Ich will mein Schicksal nicht meinem Schicksal überlassen”, schafft es Miller meisterhaft, den Finger in die Wunde zu legen und die Crux unserer Zeit, sich intellektuell verwirklichen zu müssen, erfolgreich auch ohne Talent zu werden und dabei noch eine Familie zu haben, aufzuzeigen.

Die Sehnsucht dieser Figuren nach dem eigenen Glück ist so groß, dass Maggie mit ihrer pragmatischen Art am Ende allen einen Schritt voraus ist, weil sie kompromisslos das tut, wonach sie sich fühlt. Eigentlich ist „Maggie’s Plan“ eine Ode daran, was es bedeutet, ein verkorkster, liebender Mensch zu sein und das Lebenschaos zu akzeptieren. Woody Allen sollte sich warm anziehen, Rebecca Miller ist ihm dicht auf den Fersen.

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