Bleibt alles anders

Während der Aufnahmen zum vierten Album hat die New Yorker Band Interpol einen empfindlichen Einschnitt hinnehmen müssen. Paul Banks zieht Bilanz und blickt nach vorn.

Paul Banks hat schlechte Laune. Die Dusche funktioniert nicht, man hat den Weckruf vergessen, das Flugzeug landete am Vortag mit dreistündiger Verspätung. Es ist zehn Uhr morgens, und natürlich sind das Dinge, die einem Mann den Tag versauen können. Und wir haben noch nicht darüber gesprochen, dass Interpol soeben einige Konzerte mit U2 wegen der Rückenbeschwerden von Bono Vox verschieben mussten.

Trotzdem alles halb so wild! Was Paul Banks wirklich wurmt, und zwar seit langem, ist die Tatsache, dass seiner Meinung nach immer noch kaum einer seine Band Interpol versteht. „Die Leute kapieren einfach nicht, worum es uns geht“, ereifert er sich. „Keiner macht sich die Mühe, tiefer zu blicken.“ Banks zieht an seiner Marlboro, nimmt einen Schluck Kaffee und fährt sich durch die kürzer gewordenen Haare. Das Thema regt ihn auf.

Es geht natürlich um Anerkennung, Stichwort: die ewigen Joy-Division-Vergleiche. Nicht grundsätzlich falsch seien diese, und insbesondere anfangs habe sich auch keiner an ihnen gestört. Aber jetzt reicht’s auch mal langsam. Nicht zuletzt deshalb hat er im letzten Jahr „Julien Plenti Is … Skyscraper“ aufgenommen, sein Solo-Debüt – das er offenbar als Leitfaden zum besseren Verständnis des Menschen und Musikers Paul Banks verstanden wissen will. „Die Idee war: Hier ist die Erklärung für alles, was ich bin. Wenn ihr es jetzt immer noch nicht begreift, ist es nicht mehr meine Schuld.“ Man denkt jetzt ein bisschen an ein bockiges Kind.

Interpol entstammen bekanntlich jener Szene, die New York zu Beginn dieses Jahrtausends endlich wieder heiß gemacht hat. Gemeinsam war vielen dieser Bands, dass man bei ihnen das Wort „retrospektiv“ stets mitdenken musste. Allerdings, und da hat Banks recht, war die unverhohlene Orientierung an vermeintlich übermächtigen Post- und Prä-Punk-Vorbildern bei Interpol nur der Ausgangspunkt der Reise. Man darf das natürlich nicht sagen, heilige Kuh und so, aber eine derartig atemberaubende Entwicklung, wie Interpol sie etwa mit „Pioneer To The Falls“ vom dritten Album „Our Love To Admire“ dokumentiert haben, war Joy Division des frühen Todes von Ian Curtis wegen gar nicht erst vergönnt. Die noch mal gesteigerte Klasse von „The Undoing“, dem letzten Stück des neuen Albums, legt nun den Schluss nahe, dass die Band auf ihrem Weg der stetigen Optimierung an einem Ende angelangt sein könnte. Doch nicht nur deshalb markiert „Interpol“ einen Wendepunkt …

Über eine rostige Gittertür erreicht man „Assault & Battery 2“, das gemeinsame Studio der Produzenten Alan Moulder und Flood im Londoner Nordwesten. Dominiert wird das überwiegend für Endproduktionen genutzte Studio von einem riesenhaften Neve-Mischpult, das Flood einst für „The Downward Spiral“ von Nine Inch Nails angeschafft hatte. Trent Reznor lebte in jenen Tagen in New Orleans und auch das Pult verblieb dort – bis Flood es den Klauen des Hurrikans Katrina entriss und nach London verschiffte.

Nun hat Moulder dem geschichtsträchtigen Pult eine weitere Düsterrock-Großtat abgerungen: Zehn Monate arbeiteten Sam Fogarino, Daniel Kessler, Carlos Dengler und Banks an den Texturen und Feinheiten ihres vierten Albums, ehe sie in New York binnen 14 Tagen in einem Rutsch alles aufnahmen. Produziert haben die Musiker selbst, denn wie Interpol klingen müssen, das wissen am besten … nun ja: Interpol. „Wir brauchen keinen Produzenten, weil sich unser Sound automatisch ergibt, wenn wir vier zusammen Musik machen“, erklärt Banks. „Wir haben eine ganz genaue Vorstellung davon, wie diese Band klingen muss.“

Vier unterschiedliche, überaus begabte Männer. Das ist stets das Kapital dieser Band gewesen. Einer von ihnen, vielleicht der wichtigste, war stets: Carlos Dengler. Den man nicht als Bassisten bezeichnen sollte, obwohl er natürlich einer ist. Aber wir alle wissen, in welchem Ruf Bassisten stehen. Dengler hingegen war außerdem: das charismatischste Mitglied der Band. Der wichtigste Songschreiber. Ein herausragender Arrangeur.

War?

War.

Als Interpol schließlich nach London gingen, um das Album von Moulder abmischen zu lassen, teilte Dengler seinen Kollegen mit, dass er die Band verlassen werde. „Das war keine adoleszente Kurzschlusshandlung“, beteuert Banks. „Ich bin mir sicher, dass er sehr lange darüber nachgedacht hat. Es gab nicht den einen großen dramatischen Moment, sondern viele kleine in den letzten Jahren.“

Er sagt es nicht. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Problem Dengler/Interpol vor allem ein Problem Dengler/Banks war.

So ist „Interpol“ also das musikalische Vermächtnis des Carlos Dengler geworden. „Er hat sich mit allem, was er hat, in diese Aufnahmen gestürzt“, sagt Banks. „Vielleicht weil er wusste, was er danach tun wird. ‚The Undoing‘ ist Carlos‘ Abschiedsgeschenk an uns.“

Trotz dieser einschneidenden Veränderung empfand Banks die Arbeit im Studio erstmals als angenehm. „Das Aufnehmen war für mich immer schrecklich. Ich erging mich in Selbstzweifeln, war extrem unsicher … Jetzt machte es auf einmal Klick. Ich kann nicht beschreiben, warum, aber mit einem Mal kam alles zusammen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Weniger Umwege zu gehen, es mir selbst nicht so schwer zu machen – und trotzdem die gleiche Qualität zu erreichen.“

Und das ist nun der wesentliche Unterschied zwischen Paul Banks und jemandem wie Ian Curtis. Auch wenn etwa „Success“ vom neuen Album die Schattenseiten des Ruhmes thematisiert, ist Banks natürlich viel zu abgeklärt und inzwischen auch zu alt, um an den Erwartungs- und Bedürfnishaltungen der Öffentlichkeit zu zerbrechen. Wo Curtis der Tristesse der Arbeiterviertel des Grau-in-grau-Manchesters der ausgehenden 70er-Jahre entstammte, ist Banks Kosmopolit im Wortsinn. Ein Mann, der stets wählen konnte im Leben. Geboren in England, wuchs er in Spanien und Mexico auf, studierte in den USA und Frankreich. „Ich hatte immer schon verschiedene Interessen“, erzählt er. „Kunst, Schreiberei, die Musik. Irgendwann kam ich zu der Überzeugung, dass ich nur eine Sache richtig machen kann. Musik ist altersabhängig, der Rest weniger – let’s make first things first.“ Eine pragmatische Entscheidung des Bildungsbürgers Paul Banks also, der perfekt Spanisch spricht und mit dem Topmodel Helena Christensen liiert ist. Eine Verbindung übrigens, der er eine weitere Erfahrung in Sachen Selbstschutz verdankt: „Wenn du nicht zu sehr in der Öffentlichkeit stehen willst, dann lauf nicht über jeden roten Teppich! Ich kann verstehen, dass Helena einige dieser Dinge tun muss, aber sie kommt damit klar. Was ich nicht verstehen kann, sind Leute, die jammern, weil sie in diesen Magazinen landen – denn es gibt Wege, das zu vermeiden.“

Es ist nun kein Widerspruch, dass Verlust und Trauer trotzdem einmal mehr die prägenden Themen dieses Albums sind. Banks hat gelernt, seine Dämonen zu bändigen – und in seiner Musik zu kanalisieren. Aber wer versteht schon die Feinheiten und Qualen der Liebe? „Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern hat zwar etwas auf perverse Weise Komplexes“, findet Banks, „aber eigentlich ist es gar nicht so schwer, die Mechanismen zu verstehen. Allerdings hilft einem das Verständnis überhaupt nicht weiter! Auch wenn man absolut alles versteht, ist es immer noch die Hölle, verlassen zu werden.“

Drei Männer sind verlassen worden. Bei den anstehenden Konzerten wird Carlos Dengler von David Pajo vertreten. Was danach kommt? „Verdammt, wir wissen nicht mal, was morgen passiert“, sagt Banks.

Interpol werden zwei Jahre auf Tournee sein. Spätestens danach werden sie eine andere Band sein. Oder gar keine mehr.

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