Blur – Der verlorene Sohn

All den Hymnen einer Generation zum Trotz, war das Thema des Tages natürlich: die Rückkehr von Graham Coxon.

Keine kreischenden Teenies, keine Bettlaken mit „We missed you!“-Aufdruck. Als sich um 18 Uhr die Pforten der MEN Arena öffnen, zeigen gerade mal 40 Leute, der Unizeit längst entwachsen, dem Einlasspersonal artig ihre Tickets. Die Neunziger sind vorbei, 2004 aber dankenswerterweise auch. Damals waren aus Freunden Feinde geworden, aus Tourneen Torturen, aus Gitarrist Graham Coxon und Bassist Alex James Alkoholiker. Niemand hier wünscht sich diese Zeit zurück.

Nach den nicht weiter erwähnenswerten Vorbands – Florence And The Machine und die Klaxons spielen vor halbleeren, höflich desinteressierten Rängen – ertönt das schunkelige Instrumental „The Debt Collector“ aus „Parklife“ zunächst noch vom Band, ehe sie tatsächlich die Bühne betreten: Damon Albarn, Alex James, Dave Rowntree – und tatsächlich auch Graham Coxon, der verlorene Sohn. Es ist ein Glück, und „She’s So High“ als erster vollwertiger Song des Abends eine optimale Wahl.

Im Folgenden wird die Band das Publikum durch ihre komplette Geschichte fuhren, kein Album auslassen, alle Erwartungen erfüllen, die es bei solchen Anlässen zu erfüllen gilt. Sogar das bereits ohne Coxon entstandene „Out Of Time“ wird berücksichtigt.

Spätestens mit dem zweiten Song, dem subtil schweinischen „Girls And Boys“ wird die jahrelange Geduld der Fans belohnt. Zwanzigtausend singen einen der kompliziertesten Refrains der Popgeschichte fehlerfrei mit. Damon Albarn springt von der Bühne, klammert sich an die ihm entgegen gereckten Arme, quäkt ihnen den Soundtrack ihrer Jugend entgegen.

Mehr aus den frühen Tagen: Drei weitere Songs aus „Parklife“, das neckische „Tracy Jacks“, das hüpfende „Jubilee“ (samt Bläsersektion) und das melancholische „Badhead“ (samt Background-Chor), sowie das immens druckvolle „There’s No Other Way“ aus dem Debüt „Leisure“, lassen all jene aufjubeln, die diese Band zuerst und am meisten immer noch für ihre urbritische, das Kleinbürgertum vorführende Ray-Davies-Phase verehren.

Nach einer Liebeserklärung an Manchester, pikanterweise ja die Heimat der Dauerrivalen von Oasis, folgt der Sprung ins Spätwerk. Albarn nimmt sich die Akustische und lässt die markanten Eröffnungsakkorde von „Beetlebum“ erklingen, jenem Psychedelia-Popsong aus dem unbetitelten ’97er-Album, der vielleicht das Beste ist, was dieser an herausragenden Ideen nicht arme Mann geschrieben hat.

Während „Out Of Time“ dreht sich dann eine brennende Sonne auf der Leinwand und die apokalyptische Schrei-Coda von „Trimm Trabb“ findet Entsprechung in einem gewaltigen Stroboskop-Gewitter. Das charmant schrammelige „Coffee&TV“, wie gewohnt intoniert von Graham Coxon, sorgt für den dramaturgischen Ausgleich. Das Publikum lässt seiner Freude über die Rückkehr des nervös-genialischen Gitarristen derweil freien Lauf, und natürlich ist diese Band ohne Coxon eigentlich gar nicht vorstellbar.

Nach dem erhabenen Gospel von „Tender“, das Alex James, elegant wie eh und je, am Kontrabass begleitet, bricht Albarn indes mit der Nostalgie und versetzt das Auditorium mit einem Schlag, ja einem Stichwort in die Realität zurück.

Es ist dies der Tag nach dem plötzlichen Tode Michael Jacksons. Bereits tagsüber zollte Manchester dem „King Of Pop“ Tribut: „Billie Jean“, „Beat It“, Bad“ pumpten laut aus geöffneten Fenstern, beschallten die Verkaufsflächen der Plattenläden und Modeboutiquen, schließlich auch den Parkplatz vor der MEN Arena.

Damon Albarn macht nun – natürlich! – die bösen Medien, den Boulevard für, wie er sagt, „the sad passing of Michael Jackson“ verantwortlich und widmet den bösen Relvolverblättern das gehässige, eigentlich mit Blurs früherem Labelchef David Balfe abrechnende „Country House“.

Ein Politikum in doppelter Hinsicht: War das opulente Stück doch der Stein des Anstoßes, der zuerst Coxons Entfremdung von den anderen Musikern und schließlich seine Demission ins Rollen brachte. Nicht einmal auf der aktuellen Compilation „Midlife: A Beginner’s Guide To Blur“ ist der Song, immerhin einer der erfolgreichsten von Blur, folglich zu finden.

Das Ansinnen der Band an diesem Abend (und bei den folgenden Auftritten u. a. beim Glastonbury- Festival und im Londoner Hyde Park) ist schlicht formuliert: den Fans für ihre Loyalität danken. Spaß haben. Miteinander und mit der Musik. Also kommen „End Of A Century“, „For Tomorrow“, „The Universal“ (das im britischen Werbefernsehen aktuell hilft, „British Gas“ zu verkaufen) zum Einsatz. Und selbstverständlich „Song 2“ – dessen kommerzielle Ausgeschlachtung bekanntlich keine Grenzen kennt, womit eines geklärt ist: Des Geldes wegen scheinen sie nicht hier zu stehen.

Blur spielen also die die Hymnen einer Generation. Schneller Kassensturz danach: Gefühlt fehlt nichts, faktisch schon.

Vielleicht das Schönste: Nach 24 Stücken die Halle in der Gewissheit zu verlassen, dass Blur ein ebenso fantastisches Set mit 24 ihrer anderen Songs hätten spielen können.

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