Bossa Nova in der Vorstadt

Saint Etienne verabschieden sich endgültig vom Dancefloor und leisten sich den Luxus eines Konzeptalbums über das Leben in den Suburbs

Douglas Coupland schrieb in seinen Linernotes zum 98er Album „Good Humor“, der Name Saint Etienne gäbe ihm das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der alle Frauen Perlen tragen und in der richtigen Tonart singen, in der die Männer Spottwagen fahren und niemals stocken – eine Welt, in der Nostalgie nicht mehr zählt, weil wir alle in einer prächtig strahlenden Gegenwart leben. Ein schönes Bild für eine Musik, die so geschmackvoll, so dezent und zeitlos ist, daß niemand sie wirklich braucht. Ein Luxus, der vor allem eins sagt: Die schönen Popsongs, es gibt sie noch.

Um so erstaunlicher, daß Saint Etienne neuerdings Geschichten aus einem fiktiven Sozialwohnungsblock erzählen: „Tales From Turnpike House“ ist ein Konzeptalbum. Es beschreibt einen Tag in der Vorstadt von London – vom sanften Bossa Nova „Sun In My Morning bis zu den perfekt nachinszenierten Beach Boys-Harmonien von „Goodnight“. Aus seiner Brian-Wilson-Verehrung macht Bob Stanley keinen Hehl: „Die ‚Smile‘ und das damit verbundene Americana-Ding waren ein wichtiger Einfluß. Wir wollten so was in einem kleineren, englischen Maßstab nachbauen, uns mit dem Leben der Menschen auseinandersetzen. Als Statement zur Lage der Nation sollte man das allerdings nicht interpretieren.“

Stanley kommt aus dem suburbanen Osten Londons. Das Debütalbum von The Streets, das das rauhe Eastend der Stadt beschreibt, hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck. Doch musikalisch ist „Turnpike House“ so fern von allen Dancefloor-Einflüssen wie kaum ein Saint Etienne Album zuvor. „In letzter Zeit muß ich bei Clubmusik immer fragen: Ist das gut? Weil ich es einfach nicht mehr beurteilen kann“, behauptet Sängerin Sarah Cracknell, die inzwischen in einem Haus im Grünen wohnt und vor einigen Monaten ihren zweiten Sohn entbunden hat Alle drei Musiker sind inzwischen Ende 30 bzw. Bob Stanley hat sogar die 40 überschritten: „Klar, wir sind gereift“, gibt er zu, „aber wir könnten natürlich auch so sein wie Oasis und immer wieder dieselbe Platte aufnehmen und so tun, ab seien wir 16.“ Kein schöner Gedanke. Doch anstatt sich zwischen alte und neue Britpopper einzureihen, haben Saint Etienne ihren Sound noch etwas mehr veredelt als sonst: „Wir wollen mit jedem Album einen besonderen Akzent setzen, diesmal ist es die Assoziation von an Free Design erinnernden Vokal-Harmonien.“

Unter der Regie des „vierten Etienne“ Ian Catt gibt uns „Tales Front Turnpike House“ das Gefühl, daß es gar nicht so wichtig ist, ewig jung, cool und hip zu sein. Die Welt von Saint Etienne hat sich verändert – es geht nicht mehr so sehr um Perlen oder Sportwagen: „Teenage winter’s coming down“, singt eine leicht wehmütige Sarah Cracknell. Saint Etienne haben aus dieser simplen Tatsache ihr reifstes und bestes Album seit langem gemacht.

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