Rock’n’Roll auf dem Laufsteg

I GOTTA TRY YOU GIRL“ von Blues-Legende Junior Kimbrough ertönte vielsagend auf Hedi Slimanes Debütshow für Saint Laurent in Paris. Der erste Versuch mit Frauenbekleidung 2012 war noch eine zaghafte Hommage an Yves Saint Laurents Klassiker. Beim zweiten Anlauf im März entwarfen die US-Garage-Rocker Thee Oh Sees die Soundtapete für die Winterkollektion 2013/14. Im altehrwürdigen Grand Palais zeigt Slimane, wer im Traditionshaus Laurent nun den Ton angibt. Die Show ist eine einzige Verneigung an die Grunge-Ära: Flanellhemden, Blümchenkleider, Springerstiefel.

Eigentlich kommt der 44-jährige Franzose aus der Männermode. Nach einem Jahr hat der rebellische Designer das gesamte Tradionshaus im Griff. Bei seiner Menswear-Premierenshow auf der Fashion-Week haben nur wenige Auserwählte eine Karte. Der Rest der Branche verfolgt über Instagram und Twitter, wie die amerikanische Modepäpstin Anna Wintour, Schauspielerin und Milliardärs-Gattin Salma Hayek und Franz-Ferdinand-Sänger Alex Kapranos mit skeptischen Blicken in der ersten Reihe sitzen. Als Paukenschlag knallt der Ty-Segall-Song „It“ aus den Boxen eines roboterarmigen Stahl-Karussells am Rande des Laufstegs. Es folgen modische Zitate aus der Grunge-Ära, den 70s und dem Britpop. Mode, die aussieht, als wäre sie für Jim Morrison und Kurt Cobain entworfen, veredelt mit einer Note französischem Upper-Class-Chic.

Nach sechs Jahren Pause auf der Modebühne ist diese Comeback-Show sein unmissverständliches Statement, wer in Sachen Menswear noch immer den Ton angibt. Seit März 2012 stemmt der zierliche Pariser als Kreativdirektor das Erbe des 1961 gegründeten, milliardenschweren Imperiums Yves Saint Laurent (PPR-Konzern). Schon Mitte der 90er-Jahre – damals noch unter der Obhut der 2008 verstorbenen Mode-Koryphäe – führte Slimane als Chef-Designer die Männerlinie zum Erfolg. Doch diesmal ist alles ganz anders: Yves Saint Laurent hinterlässt mit seinem Lebenswerk große Fußstapfen. Nach seiner Rückkehr zu YSL beansprucht Slimane, im Gegensatz zu seinen Vorgängern Tom Ford und Stefano Pilati, eigenen Raum. Er verlegt das Atelier des Pariser Traditionshauses fernab aller Modezentren in seinen Wohnort Los Angeles und nennt YSL jetzt „Saint Laurent Paris“. Websites und Kampagnen sind konsequent schwarzweiß. Boutiquen werden zu minimalistischen Spiegelsälen umgebaut. Drastische Brüche und Rebellion – ganz im Sinne des Rock’n’Roll, ganz so, wie es der Ziehvater einst vormachte: Ohne Yves kein YSL.

Der Traditionsbruch verwirrt die Modewelt. Wie einst Bob Dylan auf dem Newport Folk Festival bringt ihm die Hinwendung zum Rock und der kompromisslose Wille zur Innovation Verratsvorwürfe ein. „Königsmörder“ hallt es von Seiten konservativer Anhänger, die internationale Fachpresse findet es „radikal“, wie das Enfant Terrible das Erbe der Mode-Ikone zertrümmert und seinen eigenen Stempel aufdrückt. Doch das Couture-Haus und allen voran Pierre Bergé, Geschäfts-und Lebenspartner Yves Saint Laurents, stehen hinter Slimane. Überzeugt davon, dass sich auch ein Modehaus immer wieder neu erfinden und dabei einen eigenen Stil erhalten kann. In diesem Sinne ist Hedi Slimane vielleicht für YSL, was Gram Parsons für die Byrds war.

Slimane wuchs als Sohn einer Italienerin und eines Tunesiers in Paris auf. Er war ein schüchterner Junge, der sich schon früh in die Musik flüchtete. Doch statt Gitarre zu spielen, beginnt der elfjährige Slimane zu fotografieren. Mit Mode kann er zu diesem Zeitpunkt nichts anfangen, er will lieber aussehen wie alle Kinder. Sein persönliches „Teenage Riot“ bestreitet er mit Schere, Bindfaden und Nähmaschine: als 16-jähriger Teenager näht er sich seine eigenen Entwürfe, weil er sich für die altmodischen, selbstgeschneiderten Schlaghosen seiner Mutter schämt und für die Kleidung von der Stange zu schmal ist. Der scheue Blick und die zierliche Gestalt sind ihm bis heute eigen. Seine größte Ikone, David Bowie – Stammkunde wie Mick Jagger – beschreibt ihn als „introvertiert, leidenschaftlich und elegant“. Eigenschaften, die man auch Yves Saint Laurent nachsagte. Es ist kein Zufall, dass Bergé in Saint Laurents ehemaligem Ziehjungen einen würdigen Nachfolger sieht.

Die Parallelen sind unverkennbar: Yves Saint Laurent, der 1957 mit 23 Jahren nach dem Tod Christian Diors die Kreativleitung des Traditionshauses Dior übernimmt, haucht der verstaubten Bekleidungslinie jugendliche Anarchie ein. Der Look der Sixties-Beat-Generation nimmt seinen Ursprung auf seinen Skizzenblatt. Mit Innovationen, wie dem Rollkragenpulli und Lederblousons, geht der Avantgardist dem konservativen Unternehmen zu weit und ist schließlich gezwungen, seinen Siegeszug unter eigenem Namen zu bestreiten.

Auch Slimane testet bei Dior seine Grenzen aus. Bevor er 2007 Paris den Rücken kehrt, um sich im Smog von Los Angeles der Fotografie zu widmen, baute er dort die Herrenlinie „Dior Homme“ auf. Slimanes Handschrift: ein blutjunger, nicht zu perfekt wirkender Independent Style mit superschmaler Streichholz-Silhouette. Seine Models: keine Allerweltsgesichter, sondern Jungs von der Straße. Schräge Typen, die in seine Skinny-Mode passen. Rock’n’Roll-Models wie Bryan Ferrys Sohn Isaac, der mit 16 auf der ersten Dior-Homme-Show läuft. Jenseits der bis dahin in der Männermode üblichen Waschbrett-Fitnessfigur kreiert der Musikfreak einen unnahbaren Rock-Dandy -rebellisch, zerbrechlich, androgyn – und prägt einen neuen Männertypus. Damit avanciert der Kunsthistoriker und Politikwissenschaftler in den 2000er-Jahren zur Ikone der Männermode. Seine typischen Röhrenjeans, Kapuzenjacken und schmalen Sakkos zählen zu den meistkopierten Looks in der Mode-Geschichte. Das Zusammenspiel von Mode und Musik ist Hedi Slimanes Manifest. „Es gibt bei vielen einen Hauch von zerbrechlichem Heldentum“, so Slimane über seine Faszination für Popmusiker in einem „Spiegel“-Interview. Nichts prägt seine Mode so sehr wie die Musik. Beides archiviert er, ebenso wie Eindrücke aus seinem Leben in Schwarz-Weiß-Bildern. Die Fotografie verleihe seinem Alltag einen Rhythmus, sagt er. Auf seiner Homepage steht ein Foto-Tagebuch, voller Bühnen- und Backstage-Aufnahmen, Portraits von jungen Indie-Musikern und Popstars, die er auf seinen Etappen in Paris, Berlin und Los Angeles ablichtet. Für Lady Gaga fotografiert der Autodidakt sogar mehrere Platten-Cover, für The Kills entwirft er Tour-Outfits. Ein Popkünstler, angekommen im Olymp der Mode.

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