Das Geheimnis des Erfolgs

Die sonst so enigmatischen Regie-Brüder Joel und Ethan Coen geben ihn ihrem neuen Film "„A Serious Man", der sie in ihre alte Heimat führt, erstmals Biografisches preis.

Sie haben sich keinen Deut verändert in den letzten 20 Jahren. Als ich die Coens das erste Mal traf, im Herbst 1991 anlässlich der Premiere ihres Prohibitions-Kugelballetts „Miller’s Crossing“ beim Filmfest New York, und ich mich bei der anschließenden Party im Central Park-Hotspot „Tavern ob the Green“ rein zufällig am runden Tisch der beiden Filmemacher wiederfand, wirkte ihr Unwohlsein schier greifbar. Während ständig Gratulanten vorbei paradierten und sich zahllose Augenpaare auf die beiden richteten, setzte Joel (der drei Jahre ältere, hochgewachsen) ein perfektes Pokerface auf und täuschte Ethan (Kurzhaarfrisur, sporadischem Lächeln nicht abgeneigt) intensive Gespräche mit dem alten Freund Sam Raimi vor. Kaum waren freilich die die Dessertteller abgeräumt und lästige Gastgeberpflichten erfüllt, nickten sie einander zu und machten sich aus dem Staub. Mit den unvergessenen Worten: „Let’s get the fuck out of here.“

„Ich weiß nicht, welchen sozialen Defekt die beiden haben“, meinte Jahre später nur halb im Scherz, ihr „No Country For Old Men“-Hauptdarsteller Josh Brolin, „aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie glauben, sie müssten daran arbeiten. Immerhin verstehen sie es ja, sich ziemlich eloquent in der Sprache des Films auszudrücken.“

Bemerkenswert ist diese Differenzierung, weil es keine vergleichbaren Autorenfilmer gibt, die in Gesprächen oder bei der Präsentation ihrer Werke so viel Wert auf Distanz zu ihre persönlichen Beweggründen und Schöpfungsmotiven legen. Die eigenbrötlerischen Coens sind undefinierbare Chiffren. Mit unmodernen Brillen und Dreitagebärten gingen sie gut und gern als ewige Studenten durch. Und wenn sie sich mal in einen Smoking zwängen müssen, um einen ihrer bislang zwei Regie-Oscars mit nicht mehr als einem durch die Lippen gepressten „Thanks“ entgegenzunehmen, wundern sie sich sichtlich wie Darsteller in einem falschen Film.

Dummerweise oder vielleicht gerade in Folge der Verweigerungshaltungliebt die Gemeinde der Coenheads unter den Cineasten nichts mehr, als jeden ihrer Filme auf versteckte Aussagen, private Vorlieben und künstlerische Obsessionen der beiden zu untersuchen. Dass die Coens stets wie ein Mann wirken und sie noch keine Menschenseele je beim Streiten erwischt hat, macht die Sache nur interessanter. Ihre Drehbücher schreiben sie gemeinsam, und offiziell fungiert Ethan als Produzent, während Joel als Regisseur definiert, dass er an Sets tatsächlich gern „Action!“ sagt, wie es mit Michael Stuhlbarg der Hauptdarsteller ihrer jüngsten Arbeit „A Serious Man“ bestätigt. Doch als die amerikanische Produzentengilde im Rahmen einer Awards-Saison vor einigen Jahren um Klärung bat, wer denn bitteschön nun für was bei einem Coen-Film verantwortlich ist, verweigerten die Brüder beharrlich jede Auskunft. In Interviews setzt sich diese Dualität ungebrochen fort, wenn sie ihre Gedanken ergänzen, Sätze nahtlos weiterführen und sich mit Vergnügen gegenseitig zum Kichern bringen.

Dabei ist es nicht so, als ob die Coens nicht flüssig über ihre gemeinsame Arbeit sprechen könnten. „Ich schätze“, ließen sie am Rande der Filmfestspiele von Venedig zu „Burn After Reading“ wissen, „wir könnten notfalls auch einzeln arbeiten. Aber abgesehen von Krankheiten oder anderen Katastrophen gäbe es keinen Grund dafür. Zu zweit haben wir schlichtweg mehr Ideen, so einfach ist das. Wir schreiben im Büro gemeinsam oder erstellen Storyboards, die dann beim Dreh freilich in Vergessenheit geraten. Oder vielleicht kann ich die Frage so besser beantworten: Wir haben mal einen Film mit Billy Bob Thornton gedreht, der danach ein Projekt mit Barry Levinson anstehen hatte. Zum Abschied sagten wir ihm: ,But don’t teil Barry our secret shit‘ – verrate ihm nicht unsere Betriebsgeheimnisse. Worauf Billy

Bob erstaunt erwiderte: .Ihr habt doch überhaupt keine Geheimnisse!‘ Und wir: .Natürlich nicht, aber das muss ja Levinson nicht wissen.'“

Das klingt wie Koketterie, aber vielleicht sind guter, gemeinsamer Geschmack und der gleiche Sinn für Humor schon das ganze Geheimnis ihres Erfolges. Deutungen ihrer Filme dagegen werden grundsätzlich weder bestätigt oder dementiert. Ist es als Gesellschaftskommentar zu verstehen, wenn in „Arizona Junior“ subtil über Reagan gespottet wird, in „The Big Lebowski“ ein gestörter Golfkriegsheimkehrer austickt oder Brolin in „New Country For Old Men“ eine Vergangenheit als Vietnam-Veteran hat? Nein, über so was dächten sie nicht nach. Haben sie dann womöglich eine Erklärung dafür, dass es in ihren Filmen vor Figuren wimmelt mit bizarren Haarschnitten, grotesken Todesarten oder völlig verschrobenen Namen wie Norm ,Sun of a‘ Gunderson („Fargo“), Ramona Barcelona („Ein (un-)möglicher Härtefall“) oder Dr. Hugo Brinfenbrenner („Hudsucker“)? Von denen sich früher oder später immer irgendwer übergibt, als gehöre Speien zu ihrem filmischen Vokabular? „Ach wirklich?“, heißt es dann, „das ist uns noch gar nicht aufgefallen.“ Und wonach richten sich überhaupt ihre Interessen, die zwischen Screwball Comedy und Neo Noir wechseln, zwischen erzählerischer Lakonie und visuellem Overkill? „Dahinter steht keine Logik“, behauptet Joelethancoen, „wir haben eigentlich immer ein paar Scripts in der Schublade und drehen halt, was wir zuerst finanziert bekommen.“

Mit ihrem jüngsten Film „A Serious Man“ werden sie die Interpretationslust ihrer Fans gleichwohl in ungeahnte Höhen treiben, denn die Geschichte eines bis zur Selbstverleugnung gutmütigen Professors, dessen Leben in einer Kette irrwitziger Alltagskatastrophen binnen Tagen zusammenbricht, basiert nicht nur auf dem biblischen Buch Hiob, sie trägt zudem biografische Züge und ist Zeitreise in die Jugend der Coens. „Yeah, man könnte sagen, dass dies unser persönlichster Film ist“, gaben sie beim Interview in London Ende Oktober zögerlich zu. Aber man solle bitte nicht glauben, dass sie wie der Sohn des traurigen Helden ebenfalls unter Drogen ihre Bar-Mitzvah-Prüfung absolviert hätten. Erfunden seien auch der Onkel, der ständig mit den Cops in Konflikt gerät oder die scharfe Nachbarin, die beim Sonnenbaden erregende Einblicke bietet. Aber im Großen und Ganzen sei der Dreh von „A Serious Man“ schon eine Zeitreise in die frühen Siebziger gewesen. Als sie in Minneapolis zwischen Religionsunterricht und Rabaukencliquen aufwuchsen, weitgehend gelangweilt vom geordneten Rhythmus der Suburbs und sehr interessiert daran, eine empfangsstarke Antenne auf dem Dach zu haben, um über Filme und Fernsehserien ein Fenster in die Außenwelt zu haben.

Hier muss ihre Liebe zu den klassischen Genres des Old Hollywood gewachsen sein, bei der Ansicht von Gangsterfilmen mit James Cagney oder Wortwitz-Komödien von Preston Sturges. Nicht umsonst bereiten sie dieser Tage ein Remake des John Wayne-Westerns „True Grit“ vor, in dem James Brolin und Matt Damon die Hauptrolle spielen werden, nachdem schon „No Country For Old Men“ dem amerikanischsten aller Genres Tribut zollte.

Und sogar in der weithin ungeliebten Disziplin des Musicals feierten sie einst mit „O Brother, Where Art Thou?“ einen entwaffnenden Überraschungserfolg, als sie George Clooney – „Wir besetzen ihn am liebsten als Idioten“ – mit exquisiten Bluegrass-Songs paarten. “ Joel ist privat ein passionierter Banjospieler“, verriet damals T-Bone Burnett als Arrangeur des „O Brother“-Soundtracks, „und ich gehe jede Wette ein, dass sein tiefes Verständnis von Roots-Musik der Ausgangspunkt des Filmes war.“

Auch wenn ihre reinen Komödien in der Regel auf ein geteiltes Echo der Kritik stoßen, kommt beim Publikum fast alles an, weil die Gebrüder einerseits filmhistorisch bewandert und respektvoll genug sind, um cineastischen Ansprüchen zu genügen, aber ihre Geschichten auch mit unverwechselbarer „tongue in cheek“-Hipness erzählen, um den Brückenschlag zur Moderne zu schaffen.

Diese Kunst bringt sie seit nunmehr 25 Jahren in die unter Filmemachern enorm beneidenswerte Position, machen zu können, wonach immer ihnen der Sinn steht. Schauspieler jeden Ranges sagen einem Coen-Projekt auch ohne exorbitante Gagen ähnlich blind zu wie einem Woody Allen, weil vor der Coen-Kamera noch nie ein Kollege schlecht wegkam, so lange er bereit war, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Und da sie zudem effizient arbeiten und ihre moderaten Budgets stets im Griff haben, ist ein Fall wie die aus Kostengründen abgesagte Romanverfilmung „To The White Sea“, die einst mit Brad Pitt entstehen sollte und kurz vor Drehbeginn ins Gras biss, die absolute Ausnahme. Gerade weil Joel und Ethan Coen so autark arbeiten können, fahren sie wahrscheinlich völlig richtig damit, ihre Arbeiten für sich selbst sprechen und das Entschlüsseln den geneigten Zuschauern zu überlassen. „Wir haben schon zu Beginn unserer Karriere alles Gute und Schlechte über unsere Filme gelesen, was man sich nur vorstellen kann“, sagt Ethan zum Abschluss auf die Frage nach ihrer Reputation in der Branche, „und irgendwann muss man sich entscheiden, ob man in der Filmkultur mit Beobachtungen auseinandersetzen oder selbst aktiv sein möchte. Ich schätze, uns genügt letzteres.“

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