Das „Wild“ hat BILLY CHILDISH aus seinem Namen getilgt. Aber als Maler, Autor und Musiker ist er radikal wie eh und je

„Ich bin ein Großmaul und kann nicht aufhören, über meine verkorkste Vergangenheit zu reden, so, als müßte ich mir selbst beweisen, daß das alles wahr ist“, meint Billy Childish trocken. Angesichts eines künstlerischen Outputs von über 30 Gedichtbänden, unzähligen Gemälden und einem Berg von Platten sicherlich keine Untertreibung.

Gerade war er mal wieder in Hamburg anläßlich einer Ausstellung seiner Bilder im Westwerk. Auf grobe Holzplanken gemalte Expressionen, farbig, aggressiv, banal, melancholisch. Mit wenigen Strichen und kräftigen Farben wirft Childish Szenarien des nackten Lebens auf die Wände. Bilder, die wie seine Texte und wortkargen Poems von Abhängigkeit, Mißbrauch, Sex, Gewalt und Einsamkeit erzählen. „My Fault“, sein erster Roman (der zweite wurde gerade abgeschlossen), ist ein 330 Seiten langer, atemloser Kampf durch eine trostlose Kindheit in der südlichen Provinz von England.

Mit 17 ließ er Lehre und Familie sausen, wurde Punk und arbeitet seitdem an der endlosen Umsetzung von drei Akkorden. Von den frühen Bands wie den Mighty Caesars, Pop Rivets, oder Milkshakes bis zu den heutigen Thee Headcoats. Childish steht für runtergerissenen, zeitlosen Sixties-Trash-Sound ohne Kompromisse. Er machte Platten für diverse Kleinlabels, eine Handvoll sogar bei Subpop, hatte ein paar lukrative Zusammenarbeiten, doch der Großteil des grobkörnigen R&B-Machwerks erscheint noch immer bei seiner eigenen Firma „Hangman“. Wenn man ihn nach einer Diskographie fragt, kann er nur lachen. Etwa 70 bis 80 Alben, vielleicht auch mehr. In Bestzeiten jede Woche eine Single, wie soll man da noch den Überblick behalten. Zahlen interessieren ihn nicht, sein Metier sind die Akkorde, die Farben, die Worte. Childish ist eines der letzten unabhängigen und produktiven Originale der britischen Punk-Szene. Ein Unikum, das provoziert und beeindruckt. Was immer er tut, geht an die Substanz. Spielt er den Blues, wird aus dem letzten Riff eine kahle Existenz. Jedes Wort ein Messer, das an den Knochen schabt. Er weigert sich ebenso, seine Sprache dem „educated english“ anzupassen, wie seine Musik auf irgendeinen Technik-Standard zu heben. Was auf den ersten Blick amateurhaft wirkt, ist tatsächlich eine radikale Ablehnung jeder Effekthascherei. Sein Umgang mit der Kunst ist direkt, eine Mischung aus Ehrlichkeit, Schmerz, Brutalität und zynischem Humor.

Obwohl von der Presse, allen voran der britischen, sträflich ignoriert, kann er sich über mangelndes Interesse kaum beklagen. In Musikerkreisen genießt er, gerade seines anachronistischen Verhaltens wegen, hohes Ansehen. Beck holte sich in London den Mann zu einer Jamsession auf die Bühne, Jon Spencer äußerte sich voller Bewunderung, und Mudhoney sorgten dafür, daß er mit Thee Headcoats nach Amerika übersetzte.

Wann immer er solo oder mit Band auftaucht, strömen die Fans aus den entlegensten Ecken. Trotzdem sind die Zeiten der berüchtigten „Wild Billy Childish“-Touren längst vorbei. 15 Jahre Alkohol- und Rock’n’Roll-Rausch hinter sich lassend, zog er vor einigen Jahren in seine Heimat Kent zurück, wo er heute lebt und arbeitet. Inzwischen braucht es keine Flasche Whiskey mehr, um eine grölende Menge mit rauhen Wahrheiten zu überzeugen. Gerade jetzt, mit klarem Kopf, scheint der unbeugbare Brite konzentrierter denn je seinen künstlerischen Weg zu gehen. AusStellungen auf dem Kontinent locken ihn wieder vors Publikum, doch aller Medienrummel ist ihm verhaßt.

Der Erfolg? Bis vor kurzem lebte Billy Childish noch von der Arbeitslosenunterstützung, aber: „Ich verkaufe inzwischen ein paar Bilder mehr, ich bin sozusagen selbständig, auch ein Childish wird erwachsen. Als Maler kann ich ohne weiteres sehr kommerzielle Arbeit leisten, ich versuche keineswegs, Außenseiter zu sein. Nur interessieren mich die Essenz und die Energie der Dinge halt mehr als schöne Bilder und Klänge.“

Egal, ob es andere interessiert oder nicht, er veröffentlicht und produziert unentwegt, als gälte es, sämtliche misanthropischen Regungen zu destillieren. Und er wird nicht aufhören, solange der „Terrible Hunger For Love“ noch in ihm brennt.

Darauf können wir Gift nehmen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates