Dean Read ist nicht zu fassen.

DDR-Bürger war er der gute Amerikaner, für seine Landsleute ein kurioser Kommunistenfreund: ein Popstar zwischen den Fronten des Kalten Krieges.

Erwägungen seitens der Plattenfirmen haben in der alten Bundesrepublik überschäumende Kreativität von Rocktextern Träume gab es viele. Ob Capris rote Sonne, Oh-lala in Paris, ein Einkaufsbummel am Kudamm oder Abenteuer im Wilden Westen. Träume endeten an irdischen Grenzen, gut bewacht und undurchlässig. Dahinter: der Klassenfeind. Mit einer Popkultur, die DDR-Regenten im eigenen Land je nach Lust und Laune förderten oder verteufelten, instrumentalisierten, manipulierten, ignorierten oder verhinderten. Peinlich, wenn die Westmedien von „Republikflüchtigen“ berichteten, was sie gerne und in kaltkriegerisch gebotener Ausführlichkeit taten. Die DDR, ein Ort zum Wegrennen. Doch 1972 haben auf höchster Ebene gewiss auch einmal die Krimsektkorken geknallt: Die DDR, das Einwanderungsland. Und diesmal nicht für Studenten aus Kuba, Vietnam und Angola, sondern für einen Popstar, einen Sänger, Schauspieler und Poeten. Noch besser: für einen echten US-Amerikaner. Dean Reed.

Dem gemeinen Westler mag das völlig wurst gewesen sein, doch für die Heimatfront war Reeds Übersiedlung ein Propagandaerfolg sondergleichen. Denn wenn einer aus dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ausgerechnet in der DDR seine neue Heimat sucht, kann das nur zweierlei bedeuten: Der Kommunismus ist nicht aufzuhalten und beginnt selbst beim ärgsten imperialistischen Klassenfeind die richtigen Einsichten zu hinterlassen. Und: Das Land zwischen Rostock und Zittau ist eben doch das Paradies. Reed hätte ja auch woanders hingehen können. Dass er es nicht tat, lag einerseits an Wiebke, die er 1973 im sächsischen Döbeln heiratete. Andererseits an seinem politischen Nonkonformismus. Links? Ja. Dogmatisch? Eher nicht. Idealistisch? Auf jeden Fall.

1938 bei Denver geboren, absolviert er die örtliche Militärakademie, er lernt Reiten, geht auf die High School, spielt Gitarre und träumt von einer Karriere als Schauspieler. Eine amerikanische Jugend. In Los Angeles unterschreibt er 1958 seinen ersten Plattenvertrag, feiert bescheidene Erfolge als Sänger und nimmt schließlich 1961 an einer Tournee durch Südamerika teil – die sein Leben verändern wird. In Chile, damals ein konservatives Land mit fast feudalen Strukturen, erkennt er soziale Ungerechtigkeiten, die seinerzeit in fast ganz Lateinamerika herrschen. Aber es brodelt, die „Volksbefreier“ formieren sich. Kuba hat vorgemacht, wie’s geht. Reed, vom idealistischen, beinahe romantischen Wunsch beseelt, die Welt zu verbessern, verliebt sich in Lateinamerika. Er reist durch Peru und Brasilien, dreht seinen ersten Film in Mexiko, moderiert 1965 im argentinischen Fernsehen jeden Samstag seine eigene Show – bis er 1966 von der frisch an die Macht geputschten Militärdiktatur ausgewiesen wird. Die CIA hat ihn längst auf dem Radar. Er geht nach Italien, wo er sich als Schauspieler – nicht zuletzt in Spaghetti-Western – halbwegs etablieren kann. Reed unterstützt Chiles sozialistischen Wahlkämpfer Allende, tourt durch die Sowjetunion, landet nach einer illegalen Pressekonferenz für drei Wochen im argentinischen Knast. Ein Jahr später lebt er bereits in der DDR.

Für konservative US-Bürger ist er längst ein „verdammter Kommunistenfreund“, doch auch Bürgerrechtlern, Vietnamkriegsgegnern und dem linksliberalen Bürgertum ist der radikale Blonde suspekt. Weder rebellische Wohlstandskinder, die sich auf dem Uni-Campus als Avantgarde verstehen, noch intellektuelle Ostküsten-Kolumnisten können diesen abenteuerlustigen Polit-Künstler so recht begreifen. Im politisch aufgeheizten Amerika der späten sechziger Jahre spielt Reed keine Rolle.

In der DDR der Siebziger eine um so größere: Sieben LPs und ein Dutzend Singles erscheinen, Reed tourt regelmäßig durch die Republik, dreht zahlreiche Filme, tritt im Fernsehen auf. Der gute Amerikaner, einer von uns, und ein Frauenschwarm noch dazu. Ein bisschen Colorado in Cottbus, ein wenig Wild-West für Mild-Ost. Und ein Kämpfer ist er auch: Als er 1978 für protestierende Farmer in Minnesota spielt und leider im Knast landet, tritt er in den Hungerstreik. Er wird freigelassen und abgeschoben, seine Heimkehr auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld ist ein Ereignis. „In Osteuropa“, konstatiert zwei Jahre zuvor das amerikanische „People Magazine“ spürbar überrascht, „ist Dean Reed neben Präsident Ford und Henry Kissinger der bekannteste Amerikaner.“ Im Westen zeichnet man von Reed gerne das Bild vom naiven Idealisten, der sich in der neuen Heimat hofieren und instrumentalisieren lässt. Nur die halbe Wahrheit, denn zwar mag er seine Ausnahmestellung genießen, sogar als IM „Victor“ der Staatssicherheit Dienste erweisen – das Denken hat Reed dennoch nicht eingestellt. Folglich legt er sich mit korrupten tschechischen Politikern an, mit Zensoren in der UdSSR, mit den Betonköpfen seiner Wahlheimat.

Anfang der Achtziger scheint seine Liebe zur DDR ein wenig erkaltet zu sein, die SED beäugt ihn zunehmend argwöhnisch. Doch Dean Reed ist nicht zu fassen. Ein humanistischer Freigeist, der sich der Stasi unterwirft. Ein Weltbürger, der selbst in der piefigsten Provinz den Protest-Cowboy mimt. Ein Pazifist, der Russlands Einmarsch in Afghanistan gutheißt. Ein Marxist, der den realsozialistischen Alltag bisweilen nur schwer erträgt. Und gerne in Westberlin einkauft. Im US-Fernsehen verteidigt er den Mauerbau, von der DDR hat er jedoch langsam genug und plant seine Rückkehr in die USA. Ein Überzeugungstäter, aber einer mit vielen Widersprüchen.

Das Ende der DDR hat Reed nicht mehr erlebt. Im Juni 1986 begeht er im Zeuthener See bei Berlin Selbstmord, die DDR-Medien sprechen von einem „Badeunfall“. Konspirationstheorien werden gesponnen. Die CIA? Oder doch der KGB? Dabei hatte Reed unter privaten Problemen gelitten, wie sein Abschiedsbrief belegt. Gerüchte, es sei Mord gewesen, sind Humbug. Womit die Geschichte dieser deutsch-amerikanischen Freundschaft noch nicht zuende ist. Tom Hanks und Steven Spielberg wollen Reeds Leben offenbar verfilmen, die Rechte dazu haben sie bereits 2004 erworben.

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