Der amerikanische Freund

Die Liebe zu fremden Kulturen und die Wut auf die US-Politik treiben den New Yorker Essayisten und Übersetzer Eliot Weinberger an. Publiziert und gelesen wird er vor allem in Europa.

Andrew Vanwyngarden, Sänger der New Yorker Neo-Psychedeliker MGMT, erzählte voriges Jahr bei einem Radiointerview, er habe zuvor einen neuen Song titels „In The Afternoon“ geschrieben. Inspiration sei ein Buch gewesen, das ihn vollkommen umgehauen habe: „An Elemental Thing“ von Eliot Weinberger (dt. „Das Wesentliche“, Berenberg Verlag, 24 Euro). „Da sind meine Verkäufe für einen kurzen Moment in die Höhe geschnellt“, meint der Autor und lacht. Lange Zeit haben seine Landsleute kaum Notiz genommen von dem gebürtigen New Yorker. Seine kunstvollen Essays veröffentlichte Weinberger fast ausschließlich in Europa. „Vielleicht bin ich in der Übersetzung einfach besser.“

Bereits mit 19 wurde der heute 62-Jährige der amerikanische Übersetzer des mexikanischen Dichters Octavio Paz. In seinen Zwanzigern studierte er Chinesisch und übertrug die Werke des Lyrikers Bei Dao ins Englische. Seit den Achtzigern glänzt er mit eigenen Essays, die unter anderem in „Lettre International“ erschienen. Faszinierende, mit der Sensibilität eines Lyrikers und dem Horizont eines Kosmopoliten verfasste Texte, die nicht nur die Grenzen der essayistischen Form, sondern auch die der Sprache neu ausloten. „Das hat wohl damit zu tun, dass ich mich mein Leben lang mit Übersetzung beschäftigt habe“, so Weinberger. „Die Übersetzung erweitert im besten Fall den Horizont der Sprache, in die man übersetzt.“ Seine Vorliebe für exotische Themen – speziell die Kultur Chinas und Indiens – führt er darauf zurück, dass er den Großteil seines Lebens in New York verbracht habe. „Fast die Hälfte der Einwohner wurde in einem anderen Land geboren, und die andere Hälfte sind deren Kinder. Alles, was auf der Welt passiert, hat Auswirkungen auf die Stadt.“

In dem neuen Essayband „Orangen! Erdnüsse!“ (Berenberg, 24 Euro) erklärt Weinberger sein ästhetisches Programm anhand des französischen Arztes und Autors Victor Segalen, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine „Ästhetik des Diversen“ propagierte und von einem Künstler fordert, die Distanz zwischen sich und der fremden Kultur wahrzunehmen und auszukosten. Sein Genuss des Fremden wurde allerdings im Jahr 2000 empfindlich gestört. „Mit dem Amtsantritt von George W. Bush staute sich bei mir eine Wut auf, und ich schrieb mehr über Amerika. Nach 9/11 war ich dann eine Art US-Korrespondent für europäische Publikationen.“

Einer seiner Texte, „What I Heard About Iraq“, machte eine besonders bemerkenswerte Karriere. Aus Zitaten von Politikern, Soldaten und Zivilisten hatte er ein Prosagedicht über den Irakkrieg montiert, das im Internet ein Eigenleben entwickelte und u.a. Theaterstücke, Tanzperformances, und Kunstinstallationen inspirierte. „Der Grund für diesen Zuspruch war wohl einfach, dass es sonst keine literarischen Texte zu dem Thema gab.“ Wahrscheinlicher ist wohl, dass niemand so scharfsinnige und zugleich poetische Texte über sein Heimatland schreibt wie er. Nach der Wahl von Barack Obama hat er sich allerdings wieder exotischen Themen zugewandt. „Es schien eine Zeit lang, als könnten die USA ein normales Land mit einem normalen Präsidenten werden“, sagt Weinberger. „Aber es hat nicht lange gedauert, bis die Verrückten zurückkamen. Denn die republikanische Partei ist von Leuten übernommen worden, die man nicht mehr als Konservative bezeichnen kann, eher als ultrarechte Anarchisten. Die Wut ist zurück, ich werde wieder über die US-Politik schreiben.“

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