Der Herr der Schmeißfliegen – Leidensmann Damien Rice überrascht mit Entertainer-Qualitäten

STADTPARK, HAMBURG. Damien Rice sagt: Seine Zuhörer sind Schmeißfliegen. Das ist nicht ganz ernst gemeint, sondern der Schluss einer ironischen Selbsterklärung: Im Grunde sei er ein sehr glücklicher Mensch, der seinen seelischen Unrat über seine Gitarre ausscheide – wer sich daran ergötzt, tut’s halt wie die Kotfresser. Charmant!

Rice wird sich im Lauf des Abends im lauschigen Hamburger Stadtpark öfters mal um Dekonstruktion bemühen, wird alles allzu Ernste ein bisschen lächerlich machen und sich so präsentieren, wie man ihn am wenigsten erwartet: als Entertainer. Die amüsanten Verhohnepiepelungen zwischen den Songs, die lautstarken Intermezzi („Me My Yoke And I“ etc.), das Solo für zwei (!) Schlagzeuge, zum Schluss ein beknackter Sketch ohne Pointe – Rice ist sich der drohenden Larmoyanz seines Programms bewusst und steuert gegen.

Entsprechend haben seine epischen Nabelschauen dann den Platz, den sie brauchen. „Rootless Tree“. „The Blower’s Daughter“, fast ganz zum Schluss „volcano“.

alles klingt ergreifend intensiv, trotz des entlarvenden Tageslichts. Der erste große Höhepunkt wird „Delicate“, dieser betörende Walzer aus schlichten Folk-Harmonien und sehnsüchtigem Cello.

Weiter hinten hält man bei „Elephant“ den Atem an: Rice singt from a whisper to a scream und ist plötzlich nicht nur ein Schmerzensmann, sondern auch ein hervorragender Sänger. Wie groß das alles klingt! Irgendwann kommt „9 Crimes“, und da weiß man wieder, was man manchmal vergisst: Dass Rice mit seinem rückhaltlosen Barmen und unkontrollierten Seelenstriptease ein ganzes Genre nachträglich auf den Punkt gebracht hat.

Am Ende der regulären Sets spielen sich Sänger und Band in einen 15-minütigen Rausch – Rice will seinen Auftritt auf keinen Fall bei Tageslicht beenden und erfindet einen Wortschwall nach dem anderen, bis die Dunkelheit tatsächlich fällt und das Publikum kathartisch jubelnd die Arme zum Himmel reckt. Dann ist endlich Nacht.

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