Jeff Goldblum: „Dilettantismus schreckt mich ab“

Jeff Goldblum hat mit „Still Blooming“ ein neues Album veröffentlicht. Ein Gespräch über den Wechsel von Dur zu Moll und die Frage, ob Jazz wirklich nur in der Metropole zu hören ist.

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Jeff Goldblum ist einer dieser „Schauspieler, die auch Musik machen“, aber einer, der als Jazz-Pianist einen guten Ruf genießt. Mit „Still Blooming“ hat der 72-Jährige gemeinsam mit seiner Band Mildred Snitzer Orchestra ein neues Album aufgenommen. Darauf spielt er Stücke des Great American Songbook, mit gesanglicher Unterstützung von Ariana Grande, Maiya Sykes, Cynthia Erivo und einer Scarlett Johansson, wie man sie noch nie gehört hat („The Best is Yet To Come“). Ein Interview mit Jeff Goldblum über den Wechsel von Dur zu Moll und die Frage, ob Jazz wirklich nur in der Metropole zu hören ist.

 Sie spielen Vera Lynns We’ll Meet Again“, ein Klassiker aus dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Frauen ihrer die Front geschickten Ehemänner gedenken. Berühmt geworden ist das Lied auch durch Stanley Kubricks „Dr. Strangelove“, dort erklingt das Lied zu Atombombendetonationen.

Auch ich habe es zuerst in „Dr. Strangelove“ entdeckt, einem Film, den ich liebe – und ich habe vor kurzem mehr darüber gelernt, durch unsere Aufnahme. Wir haben mit Cynthia Erivo am Set von „Wicked“ gesprochen, und sie sagte: „Ja, ich würde gerne etwas aufnehmen.“ Und wir dachten, nun, sie ist Britin und hey, ich liebe dieses Lied, weil ich diesen Film liebe. Wir schlugen es ihr vor. Wissen Sie, Decca, das Label bei dem wir unterzeichnet haben, ist das gleiche, das ursprünglich mit Vera Lynn gearbeitet hat. Und ich glaube, ihre Tochter lebt noch und kommt ins London Palladium. Wir werden am 25. April im Palladium auftreten. Vielleicht bekomme ich die Chance, sie zu treffen. Ich mag diesen Film. Slim Pickens, wissen Sie, ist der Name des Typen, der auf der Atombombe reitet.

Ja, der Rodeo-Reiter.

Peter Sellers ist einer meiner Favoriten. Er ist fantastisch. George C. Scott ist großartig. Und Sterling Hayden ist natürlich der Typ, der durchdreht. Hayden war auch in Robert Altmans „The Long Goodbye“ zu sehen, und ich habe viermal mit Robert Altman gearbeitet. Also habe ich eine sehr starke Verbindung zu diesem Film.

„Die Liedzeilen „We’ll meet again“ sind heute relevanter denn je“

Kubrick ließ absichtlich Szenen in „Dr. Strangelove“, in denen George C. Scott versehentlich stolpert – weil er sich über ihn lustig machen wollte.

Ich höre sehr gern Geschichten hinter den Kulissen, besonders über Kubrick. Peter Sellers hatte ursprünglich zugestimmt, vier Rollen zu spielen – er sollte auch die Rolle von Slim Pickens übernehmen, aber er hat sich den Knöchel gebrochen oder so. Aber die Liedzeilen „We’ll meet again“ sind heute relevanter denn je. Die Leute, die sich auskennen, sagen, dass die Weltuntergangsuhr näher Richtung Mitternacht gerückt ist, als je zuvor.

89 Sekunden.

Hoffentlich ist es eine gute Warnung.

 Wenn denn jemand „We’ll meet again“ noch hört. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass jüngere Generationen keinen Zugang zu Jazz finden? Wenn ich auf Instagram oder TikTok gehe, sehe ich kaum Jazzmusik.

Richtig. Ich bin aber kein Experte, was die Entwicklung populärer Trends betrifft. Wir wissen, dass Jazz seine eigene Reise hinter sich hat. Einige junge Leute kommen zu unseren Shows, auch in Deutschland. Und ich glaube, manchmal kommen sie, weil sie einen meiner Filme kennen, ohne viel über Jazz zu wissen – und dann ist es unsere Verantwortung und auch unsere Freude, ihnen Jazzstandards wie „Stella by Starlight“ oder „Let’s Face the Music and Dance“ vorzustellen. Meinetwegen auch (spricht Deutsch) „Eine kleine Nachtmusik“. Ich denke, die Leute merken, wie leidenschaftlich ich bin. Die Leute, mit denen ich spiele, gehören zur Crème de la Crème, wirkliche Jazzmeister.

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„Und ich liebe es, zu üben“

Sie haben einen guten Ruf als guter Musiker. Aber passiert es trotzdem, dass manche sagen: Nun ja, er ist ein berühmter Schauspieler, und er bekam Chancen, die andere Jazzmusiker nicht gehabt hätten?

Falls das gesagt wird, dann erreicht es mich kaum oder gar nicht – selbst heutzutage, wo man ja theoretisch Kommentare lesen kann. Ich suche sie aber nicht aktiv. Bisher scheinen die Leute mir einen Vertrauensvorschuss zu geben. Ich spiele jeden Tag. Ich beginne meinen Tag mit einer Stunde Übung – wirklich. Und ich liebe es, zu üben. Ich liebe die Disziplin daran. Habe das Gefühl, dass ich jeden Tag besser werde. Ich bin selbst sehr sensitiv – in dem Sinne, dass ich großen Respekt vor Menschen habe, die ihr ganzes Leben einer einzigen Sache widmen, die Spezialisten werden. Ich kann durch Dilettantismus leicht abgeschreckt werden. Aber das hier – das habe ich immer gemacht, neben meinem Wunsch, Schauspieler zu sein. Und ich bin diesem Weg gefolgt, und er hat mich hierhergebracht. Ich hoffe, dass ich niemanden damit nerve.

„Every Time We Say Goodbye“ ist berühmt für die Zeile: „It is strange the change from major to minor.“ Was bedeutet für Sie der Wechsel von Dur zu Moll?

Das ist eine sehr kluge Liedzeile, denn auf genau diesem Vers wechselt auch der Akkord von Dur zu Moll. Ich erinnere mich, dass irgendein berühmter Komponist – ich habe vergessen, wer – erzählte, dass er als Kind Musikunterricht bekam und im ersten Jahr immer nur einen Dur-Dreiklang am Klavier spielte: den Grundton, dann die große Terz und dann die Quinte. Und dann, nach etwa einem Jahr, änderte er die große Terz zur kleinen Terz – und das andere Gefühl, das dabei entstand, öffnete für ihn ein ganz neues Portal an Emotion, Erfahrung und psychologischer Möglichkeit. Dur steht in der konventionellen Interpretation für Optimismus, Liebe, positive Energie. Moll dagegen eröffnet die ganze Welt gesunder Trauer, Schmerz, Sehnsucht, Melancholie – eine süße, tief empfundene Melancholie.

„Im Moment des Akkordwechsels trennen wir uns“

In diesem Lied mag ich es zu singen – und ich denke jeden Tag darüber nach, wie ich es singe, wie ich mich weiter in den Song vertiefe. Ich stelle mir vor, dass ich in dem Moment mit einer Frau spreche und sage: „Wenn du in meiner Nähe bist, liegt ein Hauch von Frühling in der Luft. Ich kann irgendwo eine Lerche hören.“ Ich denke, ich versuche, sie zum Bleiben zu bewegen, denn sie scheint im Begriff zu sein, zu gehen. Und wenn ich dann sage: „Wie seltsam der Wechsel von Dur zu Moll“, dann glaube ich, dass wir uns noch umarmen – und im Moment des Akkordwechsels trennen wir uns. So stelle ich mir das vor. Aber das ist nur mein freies Assoziieren.

Bezüglich Kooperationen, „We’ll Meet Again“ zum Beispiel – wäre es nicht lustig gewesen, wenn ein Mann das Lied gesungen hätte? Warum haben Sie sich für ausschließlich weibliche Stimmen auf dem Album entschieden?

Es ergab sich organisch. Ich war am Set von „Wicked“, wir sangen alles Mögliche, was mir einfiel, und ich bewundere diese Frauen sehr – sie sind Meisterinnen im Schauspiel, aber auch in der Musik – so begabt, mit zehntausenden Stunden Erfahrung. Ich begann zu singen: „I don’t know why I love you like I do, I don’t know why, I just do.“ Und Ariana Grande sagte: „Warum singst Du das? Mein Großvater hat mir das oft vorgesungen.“ Ich sagte: „Wenn du etwas mit uns aufnehmen möchtest – wir haben diese Band – ich würde es mir nicht wagen, das zu hoffen.“ Und sie sagte: „Doch, ich bin dabei!“

Und Cynthia Erivo sagte auch: „Ich würde gerne etwas machen.“ Und weil sie Britin ist, dachten wir an ein britisches Lied – und kamen auf „We’ll Meet Again“. Auf anderen Alben habe ich bereits mit Scarlett Johansson gearbeitet – wir trafen uns bei der Premiere von Wes Andersons „Asteroid City“ in New York. Sie sagte: „Ich würde gerne etwas auf deinem Album aufnehmen – ich mag Bossa Nova.“ Sie schlug „The Best Is Yet to Come“ vor.

„Vielleicht möchte Jeff ein eigenes Album machen“

Dieses Mal waren es nur Frauen, aber früher hatten wir auch Gregory Porter dabei. Tatsächlich war es meine Zusammenarbeit mit Gregory Porter in der Graham Norton Show, die Tom Lewis und die Leute bei Decca vor einigen Jahren dazu brachte, zu sagen: „Vielleicht möchte Jeff ein eigenes Album machen.“ So fing das an.

Was war für Sie das schwierigste Jazzstück, das Sie versucht haben zu spielen?

Nun, ich bin immer noch ein bescheidener Schüler, der noch viel lernt. Wie Sie wissen, kann selbst das einfachste Lied – sagen wir, „Bye Bye Blackbird“ – unendlich komplex werden, sobald man es improvisiert. Es geht nicht nur um das Stück an sich – man kann fast endlos darauf improvisieren. Natürlich könnte ich jetzt „Cherokee“ nennen oder andere „Heads“ – also Melodien – die schwer zu lernen sind. Oder Rhythmen wie in „Take Five“, also 5/4-Takt, oder andere ungewöhnliche Taktarten, an die man sich gewöhnen muss. Aber was Ihre Frage bei mir auslöst, ist der Gedanke: Selbst das scheinbar einfachste Lied kann unendlich komplex sein.

Wenn man Künstler wie Keith Jarrett, Oscar Peterson, Erroll Garner oder Bill Evans zuhört – sie improvisieren auf harmonischer Basis, und das ist oft weit über dem, was ich im Moment kann. Aber man kann eben nur das tun, wozu man gerade imstande ist. Und ich arbeite jeden Tag daran, besser zu werden. Jazz ist – wie Schauspielerei – eine Kunstform, die man ein Leben lang verfeinern kann, wie mein Schauspiellehrer Sandy Meisner sagte.

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„Aber welchen Jazzmusiker könnte ich spielen?“

Haben Sie darüber nachgedacht, in einem Biopic über einen Jazzmusiker die Hauptrolle zu spielen und im ganzen Film Klavier zu spielen?

Nun ja, ich habe es in „Earth Girls Are Easy“ eingebaut, und ich habe es auch in „Die Fliege“ untergebracht – ich sprach mit David Cronenberg und sagte: „Ich spiele Klavier. Vielleicht könnte dieser Wissenschaftler, den ich spiele, ein Klavier in seinem Loft haben.“.

Und in einer Musikerrolle? Ich denke da an „Lush Life“. Zwei fiktive Musiker, Sidemen – Forrest Whitaker und ich. Er spielt die Trompete, er spielte ja auch Charlie Parker in „Bird“, dem Film von Clint Eastwood, und ich spiele Saxophon. Ein schöner kleiner Film, er zeigt unser Musikerleben, unsere Auftritte von Gig zu Gig, unsere Beziehung, meine Ehefrau, gespielt von Kathy Baker. Also, der ganze Film handelt von Musik.

Aber welchen Jazzmusiker könnte ich spielen? Jemand sagte mal Dave Brubeck – der „Take Five“ gemacht hat – das wäre vielleicht eine Option. Haben Sie eine Idee?

Ich? Oh, nein. Vielleicht Gershwin?
Mmh, ich liebe Gershwin. Ich werde bald ein Lied machen – „I’ll Take Manhattan“, wissen Sie?
„We’ll have Manhattan, the Bronx and Staten Island too…“
Und am Ende dieser Version – das war meine Idee – zitiere ich kurz „Rhapsody in Blue“. Diese Melodie ist auch in einer Doku über New York, die ich sehr mag: New York: A Documentary Film von Ric Burns. Ich mag die Musik daraus sehr. „Bess, you is my woman now…“
So schön.

Was mögen Sie mehr: Trompete oder Saxophon?

Ooh, das kommt darauf an, wer spielt. Die Trompete kann so viele Facetten haben. Und das gleiche gilt natürlich fürs Saxophon. Ich mochte den Film mit Dexter Gordon – ’Round Midnight. Kennen Sie den? Ein wunderschöner Film.

Ich liebe das Saxophon – ein sehr sinnliches Instrument. Aber ich habe neulich wieder Louis Armstrong gehört – mein Gott, wie er seine Flagge aufgestellt hat! Seine ganze Art zu spielen – lebendig, swingend, diese Töne! Das ist einfach umwerfend. Und Miles Davis – wie er mit seiner Trompete spricht, besonders mit Dämpfer – das treibt mich in den Wahnsinn. Es gibt nichts Sinnlicheres, nichts Menschlicheres, nichts Intelligenteres oder Berührenderes. Und doch, wenn man Coltrane auf dem Saxophon hört… ich weiß nicht, ob ich mich entscheiden könnte. Ich sage: beide.

„Ja, ich spiele Klavier“

Wie haben Sie herausgefunden, dass das Klavier Ihr Lieblingsinstrument ist? Wie sind Sie zur Jazzmusik gekommen?

Nun, unsere Eltern hatten ein Klavier zu Hause. Wir waren vier Kinder, und sie boten uns allen Unterricht an. Mein älterer Bruder nahm kurzzeitig die Klarinette – wir hörten damals Benny Goodman. Aber das war nur von kurzer Dauer. Ich spielte Klavier – ich weiß nicht, ob ich es bewusst gewählt habe, aber ich sagte: „Ja, ich spiele Klavier.“

Mein Vater brachte mal eine Platte von Erroll Garner nach Hause – Erroll Garner plays Misty. Ich war damals ein junger Teenager. Ich glaube, das hat mich berührt. Genau wie heute – wenn ich Musik höre, spitze ich sofort die Ohren, wenn der Pianist spielt. Ich liebe den Klang des Klaviers. Und ich liebe Rhythmus. Ich habe immer auf irgendetwas herumgetrommelt – mit den Fingern. Bin ein taktiler Mensch, ich mag es, Dinge zu berühren. Ich singe zwar inzwischen auch gern, aber ich glaube, dass das Erzeugen von Klang durch Berührung mir natürlicher ist als das Blasen in ein Instrument.

Also, das Klavier stand da – und ich spielte es. So kam das.

Spielen Sie auch Orgel oder Keyboard? Oder ist es strikt Klavier?

In unserer Band spielt Joe Bagg – ein großartiger Organist. Ich selbst habe die Orgel gelegentlich berührt, und wir haben auch ein E-Piano. Ich hatte eines zu Hause, habe viel darauf gespielt und auch bei Gigs verwendet. Und ich habe ein altes, aus den 70ern – ein Fender Rhodes. Das habe ich damals neu gekauft. Momentan renovieren wir unser Haus, und das Rhodes bekommt einen Ehrenplatz in einem der Räume.  Also, ja – ich spiele auch andere Tasteninstrumente.

„Weder Schauspielerei noch Musik dürfen Familie überlagern“

Wie arrangieren Sie Ihre verschiedenen Karrieren – Musik und Film? Wie schaffen Sie es, Prioritäten zu setzen?

Nun, bisher war es machbar. Ich versuche, alles auszubalancieren. Und nicht nur das – auch mein Familienleben. Ich habe zwei kleine Jungs – sieben und neun Jahre alt – und eine wunderbare Ehefrau. Wir sind seit 13, 14 Jahren zusammen, und das ist eine hohe Priorität für mich. Weder Schauspielerei noch Musik dürfen das überlagern.

Ich versuche, allem gerecht zu werden. Und bisher hat sich das gut gefügt. Ich fühle mich heute fitter denn je – musikalisch wie schauspielerisch – und bin motivierter denn je. Aber ich bin auch wählerischer geworden bei Schauspielrollen. Ich habe es so arrangiert, dass ich zwischen den beiden Wicked-Filmen noch ein paar Dinge machen kann. Der nächste kommt im November raus, und ich gehe danach wieder auf eine Pressetour – wie bei Teil 1. Etwa einen Monat lang. Und wir versuchen, die Konzerte darum herum zu planen. Auch neue Aufnahmen stehen an. Es ist ein schönes Puzzle – nicht zu schwierig.

Sie stehen immer noch um 5:30 Uhr auf, um zu üben?

Allerdings. Ich habe mittlerweile erkannt, was die Freude an Disziplin bedeutet. Ich gehe früh ins Bett und versuche, gut zu schlafen. Heute Morgen war ich aufgeregt, weil ich mit Ihnen sprechen und dieses Interview machen durfte – also stand ich früh auf und feilte an meinen Notizen.

Ich habe heute bei meinem Gesangs-Warm-up etwas Neues ausprobiert. Und ich war sehr zufrieden damit. Ich war gegen 5:00 Uhr wach, begann gegen 5:30 Uhr mit meiner Routine, und dann kam ich hierher zum Interview.

Ich übe also jeden Tag. Meine beiden Jungs spielen auch Klavier. Meine Frau war bei den Olympischen Spielen – sie ist eine sehr disziplinierte Person, extrem organisiert. Die Jungs sagen, sie wollen Klavier spielen – also haben wir einen Lehrer mit einer täglichen Routine. Und es liegt an Emily und mir, das zu ermöglichen. Manchmal ist es ein bisschen mühsam, aber heute lief es gut. River übte 30 Minuten, Charlie 45 Minuten. Es war sehr schön.

„Musik kann das. Sie hat auf jeden Fall mein Leben verändert“

Da wir über „We’ll Meet Again“ und die schwierigen Zeiten sprachen, in denen wir leben – was bedeutet Musik für Sie, wenn es darum geht, Dinge zu verändern oder die Welt ein Stück besser zu machen? Ist es naiv, so zu denken? Oder hat Musik immer noch die Kraft, gerade in solchen Zeiten etwas zu bewirken?

Nun, vielleicht ist es naiv. Naiv liegt ja nah an idealistisch – aber ich habe nie gedacht, dass das ein schlechter Weg wäre, sich selbst auszurichten. Ich versuche, mich mit der Realität des Lebens auseinanderzusetzen und ein Leben zu führen, das – solange es in meiner Macht steht – etwas besser hinterlässt, als ich es vorgefunden habe.

Musik kann das. Sie hat auf jeden Fall mein Leben verändert. Ich weiß, wie es ist, Musik für Menschen zu spielen – und sie kann definitiv Ihren Tag verändern. Aber sie hat mein Leben verändert. Und ich denke gerne, dass das Beste vielleicht noch kommt. Selbst die schwierigsten Umstände können wenigstens ein wenig gelindert werden – durch das kraftvollste Heilmittel, das ich kenne: das Herz zu öffnen, sich mit anderen zu verbinden, Empathie zu entwickeln. Und dabei das Gefühl zu stärken, dass wir eine Welt wollen, die für alle funktioniert.

Wir können nicht weiterkommen, wenn wir am alten Gedanken festhalten: „Ich gewinne, wenn du verlierst.“ Wir stehen nicht mehr im Wettbewerb – wir sind offensichtlich voneinander abhängig: ökologisch, wirtschaftlich, zwischenmenschlich. Und keiner kann wirklich gut leben, wenn nicht alle gut leben. Musik kann dazu beitragen. Ich hoffe es.

„Unterhaltung, ja – aber nicht oberflächlich. Spaß ist wichtig“

Zeitgenössischer Jazz kommt einem heute weniger humorvoll vor. Viele Konzerte sind nicht mehr wirklich unterhaltsam, sondern eher ernst, manchmal sogar steif. Stimmen Sie dem zu?

Nun, ich sehe nicht alles, was es da draußen gibt. Ich schätze Raffinesse und Abenteuerlust in der Musik sehr. Aber ich kann mich auch langweilen – bei manchen musikalischen Darbietungen, bei manchen Filmen. Wir versuchen, unsere Shows und Aufnahmen auf höchstem Niveau zu halten – so progressiv, wie wir können – aber auch unterhaltsam, mit Humor, mit Freude. Unterhaltung, ja – aber nicht oberflächlich. Spaß ist wichtig.

Warum ist Jazzmusik der allgemeinen Auffassung immer – manchmal sogar klischeehaft – mit urbanem Leben, mit Wolkenkratzern, Nachtleben, Neonlicht verbunden – und nicht mit Land oder Natur, Kühen und Bäumen?

Jazz kommt ja historisch von überall. Er ist ein Schmelztiegel vieler Einflüsse, vieler Menschen, oft auch mit ländlichem Hintergrund. Der Melting Pot findet sich eher in der Metropole als auf dem Land. Ich weiß, das Klischee ist dieses „Noir“-Großstadtbild – aber wenn man z. B. Ray Charles hört, wie er „Oh What a Beautiful Mornin’“ singt – mit der Zeile „The corn is as high as an elephant’s eye“ – das ist doch pure ländliche Seele, voller Gefühl und Naturverbundenheit. Also, es gibt da beides.

„Jacob Collier ist ein Genie“

Gibt es noch Musiker, bei denen Sie starstruck wären, wenn Sie ihnen begegnen oder mit ihnen zusammenarbeiten könnten?

Oh ja. Ich bin immer noch starstruck bei den Leuten, mit denen ich gerade gearbeitet habe. Unsere Band – jedes Mal, wenn ich mit ihnen zusammenspiele – sie gehören zu den besten Musikern der Welt. Ich bin voller Vorfreude, Begeisterung, ja sogar Ehrfurcht vor ihrem Können. Gleiches gilt natürlich für Ariana Grande, Cynthia Erivo, Scarlett Johansson – ich bin einfach hingerissen von ihnen.

Aber ja, es gibt andere. Ich habe kürzlich mit Billie Eilish gesprochen – sie finde ich großartig. Jacob Collier ist ein Genie – mit ihm zu arbeiten wäre fantastisch.