Der lange Weg nach Hause

Warum kam die gespannt erwartete 5-CD-Box von Johnny Cash nicht rechtzeitig bei Händlern und Hörern an? Weil sie so einmalig ist

Die meisten würden sich scheuen, Produkt dazu zu sagen. “ Unearthed“ist die 5-CD-Box mit den Outtakes, den Duetten, den Gospel-Songs aus Johnny Cashs „American Recordings“-Sessions, die gewaltige Abenddämmerung. Für den Plattenhändler ein Produkt, das vor Weihnachten 2003 in ausreichender Stückzahl einzutreffen hatte, als die Zeitungen voll waren von Nachrufen und ersten Rezensionen, als Geschenke gesucht wurden und viele es kaum mehr erwarten konnten. Veröffentlichung am 15. Dezember, noch neun Tage bis Weihnachten. „Ich hatte 100 Stück bestellt“, sagt Jens Meyer vom Saturn in Hamburg. „Ich bekam zwölf. Die waren natürlich an einem Tag weg.“ So irr es klingt, andere bestätigen es: Am 16. Dezember war die Cash-Box in Deutschland praktisch ausverkauft.

Die Musikindustrie! Da hat sie endlich mal etwas, das die Leute wirklich wollen, und dann gibt sie es nicht her. Wenn dieses Heft erscheint, müsste die Cash-Box endlich überall zu kriegen zu sein, die Problemgeschichte begann aber schon im Sommer 2003. Als der erste Prototyp mit geprägtem Leinen und als Buch gehefteten CD-Trays vorlag, hätte keiner geglaubt, wie aufwändig die serielle Herstellung sein würde. Die Amerikaner brauchten viel zu lang, um eine Firma zu finden, die das so genannte paperwork (alles an der Box, was nicht CD ist) zu einem vernünftigen Preis produzieren konnte. Die Europäer brauchten noch länger. Als Universal mit einem belgischen Druckhaus handelseinig war, war’s zu spät „Man hätte sich schon im Lauf des Suchprozesses entscheiden können, die Veröffentlichung aufs Frühjahr zu schieben“, erklärt Produktmanager Moritz Trapp. „Oder man hätte viel früher mit der Suche anfangen müssen, und dazu hätten Tracklisting und Liner Notes viel früher fertig sein müssen, der ganze Rattenschwanz. Das ist eben ein Produkt, das in dieser Form noch nie hergestellt wurde.“

Um den Weihnachtstermin halten zu können, gaben die Amerikaner dann einige tausend Stück ihrer 60 000er Auflage zum Europa-Export frei, und die hingen zwischendurch noch drei WxJien in der Zollabfertigung. Nur England, Deutschland und die Schweiz bekamen etwas davon ab, die höheren Kosten konnte Universal nicht mehr auf die Preise umlegen. Wer die Box im Dezember für 80 Euro gekauft hat, hat also Guck gehabt – die Boxen aus belgischer Produktion, die im Februar endlich kommen sollten, werden um die 100 Euro kosten, weil alles teurer wurde ab geplant Die Erklärung hilft den Leuten an der Basis freilich nichts. „Die Kunden denken, wir sind bescheuert“, sagt Doris Bauer von der „Plattenkiste“ in Bad Neuenahr, „wenn es das Ding erst nicht gibt und es dann plötzlich teurer ist.“ Manche haben sich über Importeure ein paar Boxen geholt, schimpfen über die unfähige Universal, andere nehmen sie in Schutz. Und einer glaubt: „Die Box wurde doch deshalb ein Selbstläufer, weil’s sie nirgendwo gab.“

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