Der Lone Star State im Manne

Als Songwriter, Outlaw, Jewish Cowboy und seit „Greenwich Killmg Time" von 1984 auch Krimiautor - der Texaner Kinky Friedman kennt viele Wege, seinen sardonischen Witz zu verbreiten. Zuletzt gar als Politiker.

Der Songwriter Kinky Friedman kennt seine Koordinaten. „Dieses Piektrum“, verkündet er von der Bühne, das Utensil wie eine Trophäe hochhaltend, die obligate Montecristo im Mundwinkel, „leistete Waylon Jennings gute Dienste, als er ,Bob Wills Is Still The King‘ schrieb.“ Über den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung weiß das Publikum inzwischen selbst ein Lied zu singen, nachdem sich der Künstler im Verlaufe seines Konzerts bereits unzeremomell von Kunststoffplättchen getrennt hatte, mit denen einst Hank Williams „Your Cheatin‘ Heart“, Willie Nelson „Hello Walls“ und Kris Kristofferson „Help Me Make It Through The Night“ geschrieben hatten. Es sind nicht immer dieselben Songs, die Friedman für seine Finten bemüht, dieselben Songwriter schon. Dramaturgische Konstanten, humorig natürlich,doch durchaus mit heraldischem Hintergrund. „Hier in Texas versteht man sich auf Heldenverehrung“, presst er verächtlich zwischen Zähnen und Zigarre hervor, „leider sind es meist die falschen.“ Er selbst, der Kinkster, könne dagegen nur unbedeutende Zeichen setzen, wo doch Fanale vonnöten wären. In Zeiten wie diesen müsse an den so traurigen wie treffenden Song erinnert werden: „They Ain’t Makin’Jews Like Jesus Anymore“.

Besagter Song stammt aus eigener Feder und war einer von vielen Fehdehandschuhen, die Richard Friedman anfangs der 70er Jahre vor die Füße des alten, saturierten, vorurteilsbeladenen Texas warf. Ein Nestbeschmutzer, dessen beißender Sarkasmus immerhin so irritierte, dass zurückgebissen wurde. Nicht weil Kinky ein unbequemer Mahner gewesen wäre. Mit Moralisten wird man im Lone Star State von jeher leicht fertig. Man lässt sie so lange moralisieren, bis ihnen die Luft ausgeht. Oder das Geld. Dann klopft man ihnen anerkennend auf die Schulter und gibt grinsend zu verstehen, dass man nicht einmal zugehört hat. Ein probates Mittel, Querulanten und Eiferer ins Leere laufen zu lassen. Und an Leere herrscht in Texas fürwahr kein Mangel. Doch war dieser Friedman kein Bannerträger, kein Mann mit Mission. Er eckte überall an, nichts schien ihm heilig. Kinky schaffte es, Rednecks und Feministinnen gleichermaßen gegen sich aufzubringen. Die einen, indem er ihnen den Spiegel vorhielt, die anderen, indem er ihre Reflexe zum Zucken brachte: „Get Your Biseuits In The Oven And Your Buns In The Bed“ hieß das kaum mehr als zweiminütige Kunststück auf des Kinksters erster LP titeis „Sold American“. Zwei Polizei-Einheiten waren an der Universität von Buffalo nötig, um Kinky vor den Übergriffen enragierter Frauenrechtlerinnen zu schützen, aus konservativgeprägten Landesteilen hagelte es Morddrohungen.

Im neuen Texas, vor allem im aufgeklärten Austin liebte man den Exzentriker. Nicht zuletzt für seine Musik. Friedmans frühe Platten profitierten von einer musikalisch stürmischen Großwetterlage, die sich in Texas zusammengebraut hatte, deren Tietausläufer aber bis Nashville reichten und darüber hinaus. Die Outlaw-Bewegung, entstanden aus einer Verweigerungshaltung gegenüber dem Country-Oligopol in der allmächtigen Music Row, zu Grabe getragen schon wenige Jahre später aufgrund ihres durchschlagenden Erfolgs. Man bevormundet schließlich keine Künstler, die Millionenverkäufe garantieren. Und eben das taten Waylon, Willie und ihre Renegaten-Kumpels. Zu denen der individualistische Sturkopf Kinky Friedman zwar nicht gehörte, bei denen er indes wohlgelitten war. Er und seine illustre Band, die Texas Jewboys.

Den fetten Jahren im Tross der Outlaws folgte freilich kommerzieller Katzenjammer. Friedman fasste den Entschluss, die Kunstgattung zu wechseln und auf Schriftstellerei unzusatteln. Keine leichte Entscheidung für einen Jewish Cowboy, dem das Schreiben von Songs im Blut lag. Bereits im zarten Alter von elf Jahren hatte er mit Liedern brilliert, die noch 50 Jahre später zu beseelten Singalongs einladen sollten: „Old Ben Lucas/ Had a lot of mucus/ Hangin‘ right out of his nose.“ Davon nimmt man nicht leichten Herzens Abschied, doch blieb dem Komponisten keine Wahl. Inzwischen nach New York City umgesiedelt und völlig pleite, schloss er sich 1984 eine Weile weg. „It was high time for the Kinkster“, so unser Held im Rückblick, „toreinvent himself again.“ Als er wieder unter die Leute ging, war aus dem „ersten texanisch-jüdischenCountry-Music Star“ („Newsweek“) der Privatdetektiv Kinky Friedman geworden. „Greenwich Killing Time“ hieß das nicht übermäßig hartgekochte, eher pittoreske, jedenfalls enorm spannende Stück Crime Fiction, das erste von etlichen Abenteuern eines Mannes, der sich wohl neu erfunden hatte, dazu aber nicht aus seiner Haut musste. Kinky blieb sich treu, seinem bizarren Humor, seiner politischen Unkorrektheit, seinem chronischen Skeptizismus. Und er blieb seinem musikalischen Personal treu, den Texas Jewboys. Die brauchte er als Band nur noch sporadisch, für meist spontane Auftritte in New Yorks Texas-Exklave, dem „Lone Star Cafe“. Immerhin galt es, hin und wieder den Ruf zu verteidigen, begnadete Satiriker zu sein und Musiker von erlesenem Swing. „The demented love child of Lenny Bruce and Bob Wills“, wie Friedman seine Combo charakterisierte. Deren Mitglieder nun auch tragende Rollen in seinen Romanen spielten. Littlejewford, Cleve, Ratso, die gesamte Mischpoke, unterwegs in den Häuserschluchten von Manhattan, entfremdet, aber nicht entwurzelt. Keine Kinkster-Story, kein noch so verwinkelter Plot ohne die Erkenntnis: Ton can take the boy out of Texas but you can’t tale Texas out of the boy.

Mit 40 hatte Friedman noch bei seinen Eltern gelebt, draußen in den Weiten des Lone Star State, mit einem zahmen Armadillo und einer schwirrenden Kolonie Kolibris. Mit 50 erfreute er sich am bescheidenen Luxus eines Apartments in der Weltmetropole, das ihm seine literarischen Schnüffeldienste eingetragen hatte, als „a hip hybrid of Groucho Marx and Sam Spade“ („Chicago Tribune“). 1 Mit 60 suchte und fand Friedman eine £ neue Herausforderung. Für sich, mehr 5 noch aber für die Bevölkerung von Texas, u deren Gouverneur zu werden er sich vor- £ nahm. Reine Provokation, meinten man- ° ehe, die des Sängers sardonischen Witz in unguter Erinnerung hatten. Ein Verdacht, der durch Kinkys Wahlprogramm nicht eben widerlegt wurde. Die Schwulenehe werde er legalisieren, überall Spielcasinos zulassen und das Schulgebet einführen, notfalls mit Gewalt. Womit er die Liberalen, die Glücksritter und die religiöse Rechte geködert hätte, spekulierte der Stimmenfänger, zusammen also doch „mindestens 99 Prozent des Wahlvolks“. Eine Rechnung, die am Ende freilich nicht aufging. Kinky schlug sich in Versammlungen zwar prächtig, er hatte die Sympathien auf seiner Seite, die Lacher sowieso, doch ging ihm bald das Geld aus. Abgesehen von erklecklichen Spenden eines Shampoo-Magnaten, finanzierte Friedman seine zeitweise recht hoffnungsfrohe Kampagne mit dem Verkauf von T-Shirts und Auto-Aufklebern. Da half es wenig, dass politische Prominenz für den unabhängigen Kandidaten Friedman freundliche Stimmung machte. Bill Clinton etwa, erklärter Fan von Kinkys Kriminalgeschichten, gab dem WahlkämpferGratis-Ratschläge. Oder Laura Bush, die seine Songs liebt, insbesondere „I’m Proud To Be An Asshole From El Paso“, obschon ihr Gatte gar nicht aus El Paso stammt, ja nicht einmal gebürtiger Texaner ist. Hatten Umfragen ein paar Wochen vor dem Wahltag noch 26% für Friedmans „Fight Versus Apathy“ prognostiziert, erbrachte die Auszählung der Stimmen schließlich davon nur die Hälfte. „Damn it“, fluchte der vierte Wahlsieger und dankte seinen Wählern auf Kinkster-Art: „May the God of your choice bless you.“

Zurück an den Schreibtisch – die Nachfrage nach bissiger, kaum ein Fettnäpfchen auslassender Friedman-Prosa scheint ja ungebrochen. Sogar eine Tournee ist angedacht, mit Lesungen und Gesang. Die dann auch wieder hierher führen könnte, nachdem Kinky Friedman schon Vorjahren zwar keinen Frieden mit Germany schloss, sich aber immerhin schweren Herzens zu einer Annäherung durchrang. Es ist nicht lange her, als er jede Einladung, auf deutschen Bühnen aufzutreten, noch entschieden ablehnte. Niemals, so glaubte er, könne er in einem Land singen, wo systematisch Judenvernichtung betrieben wurde. Die Deutschen seien nur sein zweitliebstes Volk, erklärte er, sein liebstes sei der Rest der Welt. Daran änderten auch lukrative Angebote nichts. Erst der unangemeldete Besuch von einem deutschen Fan, mit dem Friedman ungezwungen ins Gespräch kam über dies und das, eingehüllt in verbindenden Zigarrenqualm, schwächte die Aversion. Seither trat der Kinkster wiederholt hier auf, freundete sich gar mit Einheimischen an. Einem schrieb er die Widmung ins Buch: „To one of my favorite second favorite people“.

Künstlerisch schwer dingfest zu machen bleibt der komplizierte Charmeur trotz solcher Anflüge von Altersmilde, ideologisch ohnehin. „Kinky, Mozart, Shakespeare“, fragte Joseph Heller einst, „with what can I compare them?“ Auf eine sinnige Antwort wird er wohl nicht hoffen.

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