Der Mensch als Fehlschlag

In Kürze gibt es endlich Neuübersetzungen der Geschichten von John Cheever, dessen Protagonisten immer wieder versuchen, Einsamkeit mit Exzessen zu bekämpfen

In einem Interview hat der amerikanische Schriftsteller John Cheever einmal den Satz gesagt: „Ich glaube, dass zu jedem Menschen eine große Einsamkeit gehört.“

Seine inzwischen auf deutsch mehr oder weniger vergriffenen Romane und Short Stories sind allesamt Variationen dieses einen Satzes. Gefahrvolle Idyllen, hinter deren Fassaden bizarre Apokalypsen abrollen, die das Leben als Serie unabwendbarer Niederlagen beschreiben – und den Menschen als Fehlschlag der Natur. Cheevers Bücher handeln von Menschen, die äußerlich das Normale, ja Gewöhnliche mit geradezu irritierender Akkuratesse bejahen, um in aller Heimlichkeit ihren selbstmörderischen Exzessen zu frönen: dem Alkohol, ihrer sie selbst heftig quälenden Homosexualität und dem Nihilismus von Menschen, denen auf Erden nicht zu helfen ist. Das Resultat sind in sich geschlossene, literarisch messerscharf entworfene Universen; traurige, mit aufgesetzter Fröhlichkeit kaschierte Endspiele, die sich nicht nachlassend Begriffen wie Einsamkeit. Verlorenheit oder Eifersucht widmen – und ihre Wucht aus der Hartnäckigkeit beziehen, mit der sie auf ihren zumeist düsteren Einsichten beharren.

Cheever starb 1982 mit 70 Jahren. Doch wer war jener Mann, der sich selbst einmal als „Spion in einer fremden Welt“ bezeichnete? Auf dem Höhepunkt seiner Krise angelangt, schrieb er in seinen erschütternden „Tagebüchern“ über sich selbst: „Ich bin einer von diesen Männern, die die schmerzerfüllten Berichte stark trinkender, selbstzerstörerischer Autoren lesen… in der Hand ein Glas Whiskey. Als Fitzgerald tot umfällt, breche ich in Tränen aus.“

John Cheever, der „Tschechov der Vorstädte“, wie ihn die „New York Times“ nannte, zählt neben Hemingway, F. Scott Fitzgerald oder Richard Yates zweifellos zu den großen US-Autoren der zweiten Hälfte des zurückliegenden Jahrhunderts. Mit seinen verwehten Romanen und Erzählungen, die der Kölner DuMont-Literaturundkunstverlag ab dem kommenden Frühjahr Zug um Zug in Neuübersetzung vorlegen wird, avancierte der 1978 für seine „Gesammelten Stories“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Schriftsteller zum unerbittlichen Chronisten der gehobenen Mittelschicht Neu-Englands. Doch erst mit den nach seinem Tod 1982 publizierten „Tagebüchern“ wurde die hochgradige innere Zerrissenheit dieses Autors deutlich, der in der Mimikry des tweedbekleideten Aristokraten bis zuletzt auf dem Außenbild des gut situierten Country-Clubbers bestand, in Wahrheit aber bereits zerrüttet war vom Kampf gegen den Alkohol und die eigene, jahrzehntelang unterdrückte Homosexualität.

Cheever zelebrierte seine privaten Weltkriege mit größtmöglicher Härte gegen sich und die Seinen – und jede Geschichte, die er sich in diesem Klima des Selbsthasses abrang und an „Esquire“ oder den „New Yorker“ verkaufte, war auch der Versuch, das eigene Künstlerdasein zu legitimieren. Denn Cheevers Leben war ein ständiger Tanz über die Abgründe, und der Druck seiner Lebenslüge auf ihn selbst nahm mit jedem Tag zu. „Ich wache fürchterlich niedergeschlagen auf und versuche mich daran zu erinnern, wer ich einmal war“, heißt es in seinen Journalen“. Und an anderer Stelle, kurz vor seinem Tod, schreibt er: „Ich glaube, ich hatte eine Art Nervenzusammenbruch da draußen. Ich hatte keinen Speichel mehr, alle Schmiermittel waren aus meinem Herzen gewichen, und alle Säfte oder was es sonst war, was meinen Beinen bisher zu aufrechter Haltung verholfen hatte, ließen mich im Stich.“

1964 aber gehörte dem Mann mit dem gepflegten Äußeren die Show für kurze Zeit ganz allein: Das „Time Magazine“ brachte eine Cheever-Titelgeschichte mit der Überschrift „Ovid in Ossining“, nachdem er bereits 1958 für seinen Roman „The Wapshot Chronicle“ den renommierten National Book Award, Amerikas höchste literarische Auszeichnung erhalten hatte. Der 1912 als Sohn eines Schuhverkäufers in Quincy, Massachusetts geborene John Cheever umschrieb sein neu gewonnenes Selbstverständnis: „Ich bin jetzt ein Markenname wie Cornflakes oder Coca-Cola.“ Sein Ruhm war in der Tat gewaltig, und nicht wenige Autoren wie Richard Ford, Tobias Wolff oder auch Raymond Carver folgten ihm in seiner Art zu schreiben – sie beschworen ebenso wie Cheever ein vom Verlust der Träume verdüstertes Amerika.

Dort aber, wo Carver ausnahmslos Kleinbürger in der Gefangenschaft ihres Alltags und in ihrer ganzen Desillusion zu spiegeln verstand, sind es bei Cheever durchweg die Bewohner von Villen und Landhäusern, denen er mit chirurgischer Präzision in die zerquälten Seelen blickt. Bis zuletzt ließ sich der Mann aus Quincy auf das Wagnis ein, das mithin Unerklärliche menschlicher Regungen zu beschreiben. In ihrer virtuosen Mischung aus Heiterkeit und Entsetzen kommen seine Arbeiten dem Geheimnis unserer Existenz einen Schritt näher. Und so schrieb der nicht minder exzessiv veranlagte Truman Capote „Cheever zelebrierte seinen Wahnsinn auf die vorstellbar großartigste Art und Weise. Und wenn ich sage wahnsinnig, dann meine ich wahnsinnig im klassischen Sinne, also ohne Scheu vor dem Dramatischen. Doch er blieb bis zuletzt ein Meister des Understatements – selbst in der Ausgestaltung seiner täglich als solche empfundenen Hölle.“

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