Der Tag, der Boris Becker zur Ikone machte

Vor 30 Jahren, am 7. Juli 1985, gewann Boris Becker Wimbledon. 25 Jahre später sieht er sich das Spiel noch einmal an. Ein Dramolett in vier Sätzen. Von Benjamin von Stuckrad-Barre

TENNIS

1. Satz

Kommentator: Sonntag, der 7. Juli 1985, wenige Minuten vor dem Endspiel, welches ein historisches werden könnte.

Aus dem Spielereingang zum „heiliger Rasen“ genannten Centre Court treten die Finalisten Kevin Curren und Boris Becker – ja, die hellblaue Trainingsjacke! Mittlerweile ein weltweit gefragtes Museumsexponat. Zwischen Beckers Lippen eine goldene Halskette, ein Geschenk der Mutter, er kaut darauf rum.

Elias: Papa!

Boris Becker (stolz): Ja, guck mal, die gleichen Haare wie du, siehste das? Und immer mit Pullunder, ich liebe Pullunder, da lachen immer alle, aber ich bin ein absoluter Pullunder-Fan, damals wie heute, ich habe vorhin sogar überlegt, mir heute auch einen anzuziehen, habe es aber dann gelassen.

Er trägt heute ein schwarzes Lou-Reed-T-Shirt. Warum? Nun, ganz einfach, Lou Reeds Hit „Walk on the wilde side“ sei eines seiner absoluten Lieblingslieder.

Kommentator: Nie bisher seit 1877 siegte hier so ein krasser Außenseiter, nie ein Deutscher, nie ein so junger Spieler. In diesen zwei Wimbledon-Wochen hat sich die Welt für Boris Becker verändert. Er ist in dieser Zeit wohl mehr als 14 Tage älter geworden. Zwischen ihm und dem Sieg steht noch Kevin Curren.

Becker: Man sieht hier, ich überhole Curren beim Gang auf den Platz, das war mir wichtig, da schon Entschlossenheit zu zeigen, vor meinem Gegner den Platz zu betreten, und ich wollte mir den Stuhl beim Schiedsrichter aussuchen können. Und immer, hier sieht man’s, mit dem rechten Fuß zuerst auf den Rasen zu treten, das war auch so ein Ritual von mir. So, und dann wird per Münzwurf ausgelost, wer zuerst aufschlägt, Wappen oder Zahl, Kevin Curren hat die Wahl gewonnen, und ich habe mir noch gedacht, warum wählt denn der damals weltbeste Aufschlagspieler Rückschlag – was für’n Schwächling! So, Curren schüttelt sich die Beine aus, man sieht, der ist nervös.

Hoppla, weiße Tennisbälle! 1985 war das letzte Jahr, in dem bei solchen Weltturnieren noch mit weißen, nicht neongelben Tennisbällen gespielt wurde. Ha, die Erinnerung trügt, im Gedächtnis sind gelbe Bälle abgespeichert – und beckersches Bananenessen unterm Handtuch, aber auch das kam erst bei späteren Turnieren.

Kommentator: So kommt Becker schnell zum ersten Satzball. Ausgerechnet der zehn Jahre ältere Curren zeigte Nerven. Schon dieser erste Satzgewinn kommt ins Wimbledon-Buch der Rekorde, denn nie gewann ein Ungesetzter einen Satz im Endspiel.

Becker: 25 Jahre … Wenn ich diese alten Bilder sehe, ist mir vieles noch erstaunlich präsent, aber wie ich mich dann vom Kind zum jungen Mann zum Familienvater entwickelt habe – das kommt mir vor wie 100 Jahre, was in diesen 25 Jahren menschlich mit mir und um mich herum passiert ist. Dünn war ich, hm, Lilly?

Lilly: Ach, du bist immer noch dünn, Schatzi, du bist immer noch dünn!

Advantage Becker!

Auf der nächsten Seite geht es zum zweiten Satz.

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