Die Hamburger Band Selig dreht den zweiten Teil eines komischen Films

Als wollten sie sich permanent entschuldigen: Selig geben auf der Bühne gern die kernigen, wilden Männer, nachmittags im Cafe aber sind sie zahm. Das Leben ab Rocker in Hamburg ist nicht ganz einfach. Wer sich zu langen Haaren und jaulenden Riffs bekennt, und damit – der Sündenfall auch noch erfolgreich ist, hat sofort verloren bei Presse und Szene.

Das aber ist Selig „völlig wurscht“. Sie sind befremdet über die einseitigen Abgrenzungen, mögen jedoch ihrerseits nicht polemisieren. Sänger Jan Plewka sinniert, „noch nie Leute aus der Szene kennengelernt“ zu haben. Kein richtig böses Wort, vorsichtig, beinahe kleinlaut wägt er ab: „Keine Ahnung, ob man sich verstehen würde.“ Natürlich würde man sich nicht verstehen. Wozu auch? Selig wollen das ja auch nicht wirklich, das Blumfeld-Umfeld ist ihnen, sie sagen das tatsächlich so, „zu kopflastig“. Ein Vorwurf? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, nein, nein, da seien „ja auch schöne Sachen dabei“. Bloß keine Konfrontation, jeder möge doch bitte „sein Ding“ machen.

Sind Selig schüchtern? Eigentlich nicht. Nachdem ihr letztjähriges Debüt-Album dank Omnipräsenz auf den meinungsbildenden Musik-Kanälen weit mehr verkaufte als alle Platten der Bands der „Hamburger Schule“ zusammen, könnte ihnen Kritik aus dieser Richtung eigentlich herzlich egal sein. Der apologetische Habitus jedoch bleibt erhalten. Plewka bekennt sich mit Schulbubenlächeln zu „schlechtem Gesang, oder wie man das nennen will“. Will man das so nennen? Man kann durchaus. Plewka kreischt, jammert, fleht – das ist natürlich nicht gut gesungen, aber stark empfunden.

Seligs neue Platte „Hier“ ist noch emotionaler angelegt als der Vorgänger. Stilistisch verhalten sie sich geradezu vergnügt nostalgisch: Eine süßliche Wolke Siebziger-Ambiente umweht die Songs, Lenny Kravitz auf hanseatisch. Laut und ausufernd durchbrechen sie die Kitschmauer. Keine Frage, Plewkas Intention, „so naiv wie möglich“ zu sein, wird durchweg erfüllt. Ist das romantisch oder verboten?

Das turbulente letzte Jahr sei „ein komischer Film“ gewesen, so Plewka, und mit „Hier“ läge jetzt eben der Soundtrack dazu vor. Die Band erzählt von den vielen neuen Situationen, von „P.A.-Getrage einerseits, und Schulterklopfen andererseits“. Jeden Abend der Applaus, die vielen Menschen, das sei „einfach ein schönes Leben“. Selig haben ihren Traum erfüllt: Die großen Augen verraten sie noch als Neulinge, wenn sie verklärt von „einer Welt, wo Du Sternchen siehst“ erzählen. Und das mitten in Hamburg, wo andere Musiker unter Kant gar nicht anfangen zu sprechen. Plewka – schon wieder rechtfertigend gibt pflicht- und schuldbewußt zu, „nicht mal Abitur“ zu haben. Selig sind – Wunsch erfüllt naive Rocker, die Poesiealbenlyrik mit ambitionierter Retro-Musik verbinden und auf Fotos gern auch mal die Lederklamotten bemühen.

Entwaffnend, daß sie all dies unverhohlen bekennen. Sie sind der GAU des guten Deutschrock-Geschmacks und deshalb darf es sie geben. Selig werden immer höflich bleiben und sich vor den Konzerten gegenseitig die nackten Oberkörper anmalen. Das nennen sie dann „Motivation oder sowas in dem Dreh“. Sie wissen es nicht besser. Seligs größter Vorteil ist, daß sie keine Studenten sind. Sonst sähe alles anders aus.

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