Die Hölle des Infantilen

Es war wieder einmal an der Zeit, Goodbye zu sagen, als Henry Maske nach guter alter DDR-Art seinen Gegner Virgil Hill zermürbt hatte. Schon früher war der Schentelmän notorisch für seine Verteidigungsstrategie, für Beton-Deckung und Klammern, was ihm unter Kennern die Bezeichnung „Stinker“ eingebracht hatte. Es war begreiflich, dass ihn der unrühmliche Abschied aus dem Box-Ring zehn Jahre lang verfolgte, denn nach dem Geschiebe gegen denselben Hill hatte er nach Punkten verloren und im Anschluss stammelnd Verschwörungstheorien verbreitet: Der fiese Ami habe den aufrechten Deutschen jetzt wieder da, wo er ihn haben wolle – nicht am Boden freilich, aber in die Box-Provinz zurückgeschlagen.

Seitdem massierte Henry sich Shampoo in die Haare, die trotzdem ausfielen, saß immer seltener in Talkshows und überwachte mehrere Bulettenbuden, die er vom Ami gepachtet hat. Sein weniger verschlagener Kollege Axel Schulz wurde dann bei seiner Wiederkehr bös verprügelt und erlitt später einen Schlaganfall, den er als Glücksfall deutete, denn er überlebte ihn. Henry Maske bereitete sich viele Monate lang vor, Sparringspartner berichteten bereits von „Patschehändchen“, dem Kämpfer fehle der Punch. Der fehlte aber immer schon – deshalb gingen die meisten Kämpfe bei RTL über zwölf Runden. Auch diesmal war es so, und als wie auf Zuruf ein Cut über dem Auge den kreglen Virgil Hill behinderte, schlug Maske auch mal ernsthaft zu. Vroni Ferres, die stets an ihn geglaubt hatte, sprang im Publikum blutrünstig auf. Nach dem Kampf tropfte echtes Maske-Blut auf ihre weiße Hose, die sie begeistert herzeigte.

Das Vorprogramm zum Maske-Fight hatte nur etwa zwei Stunden gedauert. Einen Tag zuvor waren es fast drei Stunden bei der Auseinandersetzung Regina Halmich gegen Stefan Raab. Zwar gab es keinerlei Spannung bei diesem Jahrmarktsvergnügen, bei dem bereits 2001 die Halmich gewonnen hatte. Raab, rätselhafterweise stets ehrgeizig bei der albernen Sache, hatte diesmal besser trainiert und Gewicht verloren; über Monate trommmelte er in „TV Total“ für seinen Auftritt als „Killerplauze“. Und es hatte tatsächlich eine gewisse Komik, wie der grienende Witzbold in einer Panzer-Attrappe in die Halle gefahren wurde, während die Halmich – für ein Honorar von etwa einer Million Euro – in einem Käfig in die Arena herabgesenkt wurde. Nachdem eine armenische Kampfzwergin sich als Nachfolgerin der Halmich empfohlen hatte, begann das eigentliche Ereignis, bei dem Raab ein paar Treffer landete und gegen Ende richtig aggressiv wurde, als er nur noch die Chance des K.o.-Sieges hatte. Regina Halmich gewann ohne nennenswerte Blessuren, Raab gab seinen Rücktritt vom Boxen bekannt.

Gäbe es Max Schmeling selig noch – Stefan Raab würde ihn aus dem Retiro holen. Mit der „Wok-WM“ liefert er seit fünf Jahren den Höhepunkt der Sport-Saison – das Kajolen auf einer Bob-Bahn ist ebenso bizarr wie langweilig, entlarvt dabei aber Schlitten- und Bobfahren als die randständigen Seppl-Sportarten, die sie ja sind, und Teilnehmer wie den Hackl Schorsch als von Geltungssucht zerfressene Parvenüs. Der enigmatische Joey Kelly – auch bei anderen Raab-Spektakeln stets am Start – zeigt sich als asketischer Extremsportler, Pappnasen wie der Raab-Parasit Elton eiern bleiern hinterher. In einer der zahlreichen Pausen hampeln die Fantastischen Vier über die Bühne, ein Ensemble, das wie Raab selbst offenbar irgendwann beschlossen hat, die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts müssten als ewiger Kinderspielplatz fortgesetzt werden.

Wie Stefan Raab winzige und Gar-nicht-Prominenz als immerwährenden Kinderspielplatz inszeniert – und das auch noch mit Recht Wenn sich Erwachsene wie der Regisseur Dieter Wedel darüber beschweren, dass auf dem Fernsehschirm jeden Abend das freche Mondgesicht von Stefan Raab aufgeht, dann heißt das allerdings, dass Raab im Recht ist. Fernab von Klimawandel, Irak-Krieg, der Atomspaltung im Iran und der Johannes-B.-Kemer-Welt zelebriert Raab das Infantile als immerwährende Peinlichkeit, als Changieren zwischen der winzigen Prominenz eines Poker-Profis und den 15 Minuten eines Mädchens, das bei Heidi Klums Model-Wettbewerb entlassen wurde. Erst kommt das Tunten- und Fotografen-Volk bei der Klum, um heulende hübsche junge Dinger vorzuführen, die Konkurrentinnen „Frettchen“ nennen, dann kommt Raab, um sich gleich über alle Beteiligten zu amüsieren. Bei „Schlag den Raab!“ klettert er verbissen auf immer mehr gestapelte Getränkekisten, bis der Herausforderer stürzt.

Es ist eben doch so, dass sich Hegels Dialektik vielleicht in den Denkerstuben durchgesetzt hat – aber gewonnen hat naturgemäß Darwins „survival of the fittest“.

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