Die Perfektion ihres Meisterwerks „Out Of Season“ wollen Beth Gibbons & Rustin Man live gar nicht reproduzieren. Trotzdem ist es schaurig schön

Berlin, Universität der Künste. Eine Figur wie ein Fragezeichen, der Kopf zwischen die schmalen Schultern gezogen wie eine Frierende, kein Wort ans Publikum. Beth Gibbons hat die Präsenz eines scheuen Rehs, das bittere Erfahrungen machen musste mit der Gattung Mensch. So steht sie am Mikro, in Jeans und Pulli, und tut nichts als singen. „God knows how I adore life“, hebt sie an, und der Konzertsaal wird zu einem magischen Gral, der Zuhörer verzaubert.

„Mysteries“ heißt dieser Song, mit dem auch „Out OfSeason „seinen wundersamen Reigen beginnt. Ein Album von seltener Schönheit, das auf der Klaviatur der Gefühle nur die schwarzen Tasten zum Klingen bringt und das doch inwendig jauchzen lässt. Musik, die – prosaisch ausgedrückt – die Endorphinproduktion anregt. Und uns Demut und Dankbarkeit beibringt vor dem Leben an und für sich. „I cannot ask for more“, lobpreist Beth, ergriffen.

Kein leichtes Unterfangen, dasgewiss beste Album seit vielen Jahren auf die Bühne zu bringen, die emotionale Resonanz eines musikalisch so ausgefeilten Werkes live zu reproduzieren. Das Sextett hinter Gibbons agiert redlich. Paul „Rustin Man“ Webb macht klugerweise gar nicht erst den Versuch, die Perfektion der Platte zu erreichen. Die Arrangements sind plakativer, die Songgemälde grobkörniger, Mandoline, Melodica und Akkordeon malen in herbstlich bunten Tönen, vor dem flächigen Wintergrau der Keyboards und Gitarren. Nur selten braust die Band auf, gerät in Rock-Nähe, etwa auf „Tom The Model“ oder auf Webbs Solo-Komposition „Sand River“, das hier via milder Psychedelik und blendender Lichtorgel die blumigeren Passagen von „Utnmagummd“ evoziert. Ein knapper Exkurs ins Floydianische freilich nur, sonst üben sich Beths Begleiter in Reduktion und widerstehen der Versuchung zum Sumptuösen. „Beauty’s got a hold on me“, kündet Gibbons, und lässt uns teilhaben an Lust und LabsaL Oder an genießerischer Melancholie, in „Funny Time Of Year“, ihrem Hohelied auf den Winter.

Die Akustik ist fein, das Publikum rezeptiv bis ekstatisch, der Kunstgenuss ungetrübt. Allenfalls, „Romance“, jene auf der LP äußerst gelungene Übung in Lady-Day-Blues, klingt live leicht anämisch. Und die ziemlich ausgeschnullte Velvets-Nummer „Candy Says“ hätte es als Zugabe nicht gebraucht. Danach jedoch tritt Beth Gibbons noch mal ans Mikrophon und schenkt uns zum Abschied eines kaum einstündigen und doch zehrenden Erlebnisses eine aufbauende Botschaft. „Let the show begin“, singt sie beschwörend, „let the clouds roll, there’s life to be found in this world“. Schon Goethe wusste: Der Schauder ist der Menschheit bester Teil. Hier spürten wir ihn. You cannot ask for more.

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