ROLLING STONE hat gewählt: Das sind die Alben des Jahres 2024

Das sind die 50 Alben des Jahres 2024 – zusammengestellt von den Kritiker:innen des ROLLING STONE.

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Auch das Jahr 2024 hat wieder eine Vielzahl von Alben hervorgebracht – 50 davon haben die Redaktion des ROLLING STONE besonders begeistert – die komplette Liste hier.

50

Geordie Greep – „The New Sound“

Ob es nun bei black midi weitergeht oder nicht, Geordie Greeps erstes Soloalbum, „The New Sound“, könnte keine mutigere Abkehr von seiner Zeit mit der Band sein. Es treibt Prog-Rock-Elemente, Fusion-Jazz und lateinamerikanische Rhythmen mit einer oft humorvoll gebrochenen Theatralik aufeinander zu. Manchmal schleicht sich sogar etwas wie fragile Romantik ein.

Allein „Holy, Holy“, das munter Disco-Einflüsse mit tropischer Folklore vermengt, ist kaum in Worte zu fassen. Der Sänger erzählt im Gewand eines zynischen, wortmächtigen Priesters unerhörte Geschichten über Menschen, die ihre Seele verlieren. Er schießt mit finsteren Texten gegen Intellektuelle und besänftigt sich nach einem Rausch aus burlesken Samba-Rhythmen später immerhin selbst mit einem heiter-melancholischen Ritt in die Abendsonne („If You Are But A Dream“).

Obwohl die Exzentrik von black midi stets spürbar bleibt, ist die Platte weniger düster und apokalyptisch als Alben wie „Hellfire“. Sie gleicht mehr einem cineastischen Fiebertraum. Eingespielt wurden die elf fulminant richtungslosen Latin-Big-Band-Arrangements mit einem 30-köpfigen Orchester in London, zum Teil mit in Brasilien auf der Straße gecasteten Musikern. Greep bedient sich bei Steely Dan, Frank Zappa und Jacques Brel, selbst der Art-Pop von ABC ist nicht fern. Aber der Mentor hinter bis zu zwölfminütigen Exkursionen in bislang unberührte Klanglandschaften ist zweifellos Scott Walker.

Das ist alles auch ein großes kreatives Chaos, dem man sich besser nicht ungeschützt aussetzen sollte. Aber zweifellos inszeniert sich der Musiker hier bewusst als Unruhestifter, der eine seelenlose Popmusik, die sich in Formarmut, einem Überschuss an Gefühligkeiten und dem Zwang zu gesellschaftspolitischen Bekenntnissen festgefahren hat, mit Benzin übergießt und anzündet. Geordie Greeps Debüt ist die kathartische Neubesinnung eines Musikers, der fast schon manisch alle Fäden selbst in der Hand halten will. – Marc Vetter

49

MGMT – „Loss of Life“

Immer auf der Durchreise! Will man es kategorisieren, ist das amerikanische Duo schon wieder unterwegs. Die eigentlichen Psychedelia-Experten, die auch schon mit perfektem Synthie-Pop verblüfften, machen diesmal einen Abstecher in die Siebziger und zum damaligen Middle-of-the-Road-Sound. David Bowie, Steve Harley und Procol Harum winken bei der Abfahrt! Aber auch die Sonne Kaliforniens lacht plötzlich über Liverpool. – FL

48

Wayne Graham – „Bastion“

Vielleicht haben inzwischen mehr Menschen in Europa als in ihrer Heimat Kentucky kapiert, dass Wayne Graham zu den aufregendsten Americana-Adepten der Gegenwart zählen. Auf „Bastion“ würzt die Band um Kenny und Hayden Miles ihren an Little Feat, Grateful Dead und einigen Westcoast-Rock-Vorbildern geschulten Sound mit einem Schuss Jazz. Schönes Beispiel: das „Take Five“-ähnliche Klanggerüst von „The Patsy“. – MG

47

Porridge Radio – „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“

Ihre Albumtitel sind zu lang, aber in ihren Songs kommt die Britin Dana Margolin immer auf den finsteren Punkt. Das vierte Album von Porridge Radio dreht sich um Trennungen und Überforderungen. Tröstlich sind ihre hypnotischen bis frenetischen Post-Punk/Indie-Rock-Songs selten, dafür fassen sie sofort ans Herz. Und am Ende rafft sie sich doch zu Hoffnung auf: „Sick Of The Blues“! – BF

46

Maggie Rogers – „Don’T Forget Me“

Ein Sound, der die goldene Pop-Mitte zwischen Folk-Introspektion („All The Same“) und Dance („Drunk“) trifft. Vocal-Manierismen sollen für ganz große Emotion stehen. Dabei ist Maggie Rogers gerade dann gut, wenn sie’s eine Nummer kleiner macht, wie im Laid-back-Mac-Vibe von „So Sick Of Dreaming“ oder allein am Klavier mit „I Still Do“. – JF

45

Maya Shenfeld – „Under The Sun“

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, heißt es im Alten Testament. Dies könnte auch die Maxime sein, der die Minimal Music entsprang. Aber was gilt die Ästhetik der Wiederholung noch in einer Epoche der radikalen Erschütterung? In „Under The Sun“ erzeugt Maya Shenfeld mit Analog-Synthesizern, Holzbläsern, Field Recordings und Gesang das musikalische Spiegelbild einer Welt, die aus dem Gleichgewicht ist. – JB

44

Jake Xerxes Fussell – „When I’M Called“

Vorwärts reiten und offen zurückschauen: Das Cover ist ein gutes Bild für die Arbeitsweise des in North Carolina ansässigen Musikers, der wie kein Zweiter seiner Generation verinnerlicht hat, dass es nicht reicht, Folk-Tradition „authentisch“ nachempfinden zu wollen. Elegant, mit untrüglichem Timing, auch teils orchestral, überführt Fussell Field Recordings und andere Fund- und Versatzstücke in neue Kontexte. – JF

43

Jack White – „No Name“

Das beste White-Album seit Ende der White Stripes? Erst mal länger sacken lassen, die Songs. Aber der Garagerock in Stücken wie „Old Scratch Blues“ atmet den Geist frühester Don’t-give-a-fuck-Nummern. Die Distribution der Platte über Whites eigene Plattenläden ist falsch bescheiden, denn der umspannende Release über alle Verkaufskanäle stand ja fest – wäre auch ein Jammer, bliebe „No Name“ im Verborgenen. – SN

42

Nilüfer Yanya – „My Method Actor“

Eine unverwechselbare Stimme im britischen Indie-Rock (und eine dringlich kratzende Gitarre): Nilüfer Yanya hat nach „Painless“ die Beats auf TripHop-Temperatur heruntergepitcht und mit „My Method Actor“ ihr selbstbewusstestes Werk aufgenommen. Sie wirkt entspannt, obwohl ihre Lyrics anderes erzählen:

„I’ll dig my own grave / I don’t give a fuck / You know I’m not ashamed to jump in.“

Glaubt man ihr sofort. – SZ

41

Hurray for the Riff Raff – „The Past Is Still Alive“

Alynda Segarra nahm 2024 ein überraschend einfaches, glücklich machendes Americana-Album mit konzisen Songs und geradlinigen Melodien auf. Doch es steckt immense Trauer in dieser Musik. Sie verabschiedet sich vom verstorbenen Vater, aber auch von der untergehenden Welt:

„I used to think I was born in the wrong generation, but now I know I made it right on time / To watch the world burn, with a tear in my eye.“ – JS