Die Stimme aus dem Untergrund

Wie der für tot gehaltene obdachlose Junkie und geniale Songschreiber Dan Treacy mit der Hilfe von Freunden seine Band Television Personalities reanimierte. Von Jürgen Ziemer

This is where Syd Barrett lives …!“ Dan Treacy kriegt sich vor Lachen kaum noch ein. Mit einem Bier in der Hand steht er vor einem windschiefen, ziemlich bunten Kinderhäuschen aus Plastik. „Ha ha ha ha ha hah“, schallt sein gutgelauntes Meckern durch den Hinterhof eines heruntergekommenen Pubs namens The Lion & The Unicorn. Dazu sollte man wissen: Dan Treacy und seine Band Television Personalities hatten vor knapp 30 Jahren einen kleinen Hit – „I Know Where Syd Barrett Lives“. Mit raunender Stimme erzählte der Songwriter da von einer Begegnung mit dem mysteriösen Pink-Floyd-Musiker: „He was very famous once upon a time/ And no one cares even if he’s alive (we do)/ But I know where he lives and I visit him/ In a little hut by the edge of the wood.“

Dan Treacy ist selbst eine Art Syd Barrett. Ein genialer Songwriter, ein Wunderknabe des DIY-Pop, der in der zweiten Hälfte der Neunziger komplett von der Bildfläche verschwand. Zehn Jahre lang gab es weder neue Songs noch Konzerte – nur Gerüchte über Heroin, Obdachlosigkeit und Knast.

Wenn man Treacy heute im Pub gegenüber steht, weiß man sofort, warum Freunde ihn liebevoll „Scruffy Dan“ nennen: Die krumpeligen Jeans und das fleckige Hemd haben schon seit langem keine Waschmaschine mehr gesehen, ein abgebrochener Schneidezahn erzählt von harten Zeiten, das Gesicht ist bleich und stoppelbärtig, eine speckige Wollmütze klebt trotz frühlingshaften Wetters fest auf seinem Kopf. Doch wenn Treacey lacht – und das tut er oft beim Erzählen seiner hartgekochten Schnurren – wirkt er jung und voller Leidenschaft. Dann strahlen die wasserblauen Augen, und die Sätze reihen sich zu ironisch treffenden Aphorismen. So kennen und lieben ihn seine Fans: „Dan Treacy’s smile/ Leaves you to trying to decide/ Who’s the victim, what’s the crime“, singen MGMT in ihrer Huldigung „Song For Dan Treacy“. Und nun erscheint mit „A Memory Is Better Than Nothing“ auch noch ein Television-Personalities-Album, das wieder an die großen Zeiten der Band anknüpft.

Doch wer ist dieser Typ überhaupt, Dan Treacy? Unsere Geschichte beginnt im Londoner Stadtteil Chelsea, wo Treacy aufwuchs: „Alles, was mich an Pop interessierte, passierte hier -Psychedelia, Mod, Kings Road, Carnaby Street, selbst Punk“, schwärmt er noch heute. „Meine beiden Schwestern waren sieben und acht Jahre älter als ich, echte Sixties-Girls, die genauso aussehen wollten wie Twiggy. Ihre Boyfriends waren Mods, und ich liebte schon als Kind diese ganze Kultur – die Musik, die scharfen Klamotten. Während der Ferien half ich oft in der Reinigung meiner Mutter und erledigte Botengänge. In Chelsea bedeutete das, an den Türen von Popstars zu klingeln: x{201a}Entschuldigung Mister Bowie, hier ist ihre Wäsche.‘ Es war eine so farbenfrohe Welt! Vor allem wenn man bedenkt, dass die Menschen im Norden Englands inmitten von schwarzen Wolken lebten.

Als Teenager wollte Treacy unbedingt selbst ein Teil dieses Pop-Traums werden. Mit seinen Schulfreunden Joe Foster, Ed Ball, sowie John und Gerrard Bennett spielt er Coverversionen von The Who, Pink Floyd und anderen Lieblingsbands. „14th Floor“, die erste selbstgeschriebene Single der Television Personalities, wie sich die junge Band bald nennt, wird umgehend von John Peel gespielt.

Doch erst die mit Ed Ball im Duo aufgenommene „Where’s Bill Grundy Now?“-EP begründet 1978 den Ruhm der TVPs. Die Musik rumpelte und schlingerte an allen Ecken und Enden, der Gesang war eher ein munteres Grölen. Doch was die TVPs von Anfang besonders machte, waren ihr Charme und ihr Hipster-Wissen: Malcolm McDowell, Oliver Reed, Mary Quant, The Jam, Rita Tushingham, Charles Manson, Andy Warhol, David Hockney – alles Figuren aus den Songs. Das Cover des Debütalbums „And Don’t The Kids Just Love It“ zierte ein Foto von David Bailey: Twiggy und John Steed aus „The Avengers“. „This is my ideal world“ singt Treacy in „My Favorite Films“ – man glaubt es gerne.

Das bandeigene Label Whaam!, wo unter anderem die Karrieren der Pastels und von Tracey Thorn begannen, war benannt nach einem Bild von Roy Lichtenstein. Das Management des „Last-Christmas“-Duos Wham war trotzdem empört über die Neugründung: „Sie boten mir 500 Pfund als Entschädigung an, wenn ich auf den Namen verzichte“, empört sich Treacey noch heute. „Ich sagte Nein! Whaam! schrieb sich schließlich mit zwei A, und der Name nahm Bezug auf ein Kunstwerk, nicht auf George Michael. Daraufhin erhöhten sie den Betrag, bis wir irgendwann bei 5000 Pfund landeten. Eine Menge Geld; deshalb gab ich nach und gründete das Label Dreamworld, in das ich die Abfindung steckte.“

Alan McGee war hingerissen von so viel Chuzpe und formte sein einflussreiches Creation-Label nach diesem Vorbild. Vor einigen Wochen schrieb der ehemalige Oasis-Manager in seinem Blog für den „Guardian“: „Ich bin kein Nostalgiker, aber der erste TVP-Gig, den ich 1982 sah, veränderte mein Leben. Die beiden Alben x{201a}And Don’t The Kids Just Love It‘ und x{201a}Mummy, You’re Not Watching Me‘ etablierten Treacy als britische Version von Jonathan Richman so, wie sich das ein Ray Davies vorstellen würde. Die Live-Auftritte der TVPs waren ebenfalls außergewöhnlich; holprig, schrullig, camp und exzentrisch. Er eroberte die britische Popkultur auf eine ganz eigenwillige Art, und ich folgte ihm, wohin er ging.“ Wenn auch nur bis zu einem gewissen Punkt, doch dazu später mehr.

Die Television Personalities waren nie eine echte Band, sondern stets Dan Treacy plus ein paar Freunde: „Es ist wie mit The Fall und Mark E. Smith – auch wenn wir sonst kaum etwas miteinander gemein haben.“ Entsprechend unterschiedlich sind die Alben, deren Klangfarben, Themen und Texte im Verlauf der Jahre dunkler und realistischer werden. Das bright sunny smile der frühen Jahre verschwindet langsam aus Treacys Gesicht. Auf „The Painted Word“ spielt der dunkle Pop-Entwurf von Velvet Underground eine ebenso große Rolle wie Attitüde und Themen der Beatniks. „A Sense Of Belonging“ und „A Life Of Her Own“ formulieren, für viele Fans überraschend, erstmals so etwas wie Gesellschaftskritik. Das unfassbar schöne „Someone To Share My Live With“ wurde später von Jens Lekman auf Platz zehn der schwedischen Charts katapultiert. Doch nur das Original besitzt jene raue Verwundbarkeit und Sehnsucht, die fast wie eine Utopie aufscheint: „I don’t want a girl who hangs on every word I say/ Who shows me off to her parents over roast beef on Sunday/ I don’t want a girl who thinks she has to fake/ I don’t want a girl who laughs at every little joke I make/ I just want someone to share my life with.“

Für Dan Treacy liegen solche Lieder heute endlos weit zurück: „Ich schreibe Songs ziemlich schnell und es ist mir schon oft passiert, dass ich irgendwelche Leute gefragt habe: x{201a}Was läuft da eigentlich?‘ Und die Antwort lautete: x{201a}Das bist doch du, Daniel!'“

Scruffy Dan wirkt überhaupt ein wenig unkonzentriert. Liegt natürlich an den Drogen, die er schon seit Jahrzehnten nimmt. Trotz seiner Vorliebe für Pink Floyd und Psychedelia kann er sich allerdings weder für LSD noch für Cannabis begeistern: „Beim Kiffen hat mich immer das aufwendige Zusammenbringen der einzelnen Komponenten gestört. Ich bin eher ein Pulver-Typ.“ Als Dan gerade mal elf Jahre alt war, mixten ihm die Mod-Freunde seiner Schwestern Speed in den Drink, um ihn loszuwerden: „Ich rannte abends um zehn wie ein Wilder durch die Straßen und dachte nur: Wow, ich fühle mich super! Erst Jahre später haben sie mir erzählt, was damals los war. Meine erste Erfahrung mit Drogen war also eher ein Zufall. Doch irgendwann fing ich an, mir selber Speed zu besorgen. Irgendwann gab mir der Typ, bei dem ich einkaufte, ein Pulver, das anders aussah, und ich fragte, was das sei. Er antwortete: x{201a}Oh, Shit, Dan, das ist nichts für dich, du nimmst ja kein Heroin, oder?‘ Ich sagte: x{201a}Ach, lass mal, ich will das mal probieren.‘ Und dann habe ich es immer wieder getan. Warum? Weil ich Probleme hatte. Probleme, Probleme, Probleme.“

In seinen Songs gelang es Treacy, die Realitäten des Lebens in Pop zu verwandeln. Selbst die traurigsten und sentimentalsten Lieder kamen mit einem ironischen Grinsen daher, das zu sagen schien: Welcher Schauspieler sollte in einem Film über mein Leben die Hauptrolle spielen? Wer wäre ein passender Regisseur? Doch in der zweiten Hälfte der Neunziger ging überhaupt nichts mehr – weder Platten noch Auftritte. Die Single „Now That I’m A Junkie“ ist ein morbider Abschiedsgruß vor einer langen Reise in die Nacht. Wie konnte es so weit kommen?

„Wir waren pausenlos auf Tournee, pendelten zwischen Japan, den USA und Europa. Dann starben meine Eltern. Das war hart, aber das Ende einer langjährigen Liebesbeziehung traf mich noch viel schlimmer. Danach verlor ich jedes Interesse an der Welt, ich hatte nichts mehr zu sagen. Alles, was ging war: „Sky, blue, I love you“.

Treacy sagt, dass er über diese Dinge nicht gerne spricht. Doch er kann einfach nicht aufhören, darüber zu reden und erzählt von den besetzten Häusern, in denen er zunächst unterkam, bis er schließlich komplett auf der Straße landete. Die neuen „Freunde“, mit denen er dort gemeinsam Heroin nimmt, wissen nichts von den Television Personalities. „Ich finde Drogen nicht inspirierend. Aber sie sorgen dafür, das ich ein bisschen weniger Angst vor anderen Menschen habe und ein wenig mehr Selbstbewusstsein“, sagt er wie zur Entschuldigung.

Mehrfach wird Treacy wegen Ladendiebstahls verurteilt. Ein Coup in der CD-Abteilung von HMV sorgt dafür, dass er 2004 mehrere Monate auf einem Gefängnisschiff verbringt. Viele glauben damals, der Mann wäre längst tot, man wendet sich anderen Themen zu. Erst als Dan Treacy auf der Website eines Fans eine Nachricht hinterlässt, bekommt er so etwas wie eine zweite Chance.

Alte Freunde wie Ed Ball und Laurence Bell, der Besitzer des Labels Domino, sind erschrocken über das tragische Schicksal des Songwriters und bieten ihre Hilfe an: „Laurence gab mir ein bisschen Geld. Das Comeback-Album x{201a}My Dark Places‘ erschien dann auch bei Domino – und es ist nicht schlecht geworden“, findet Dan, und der fragende Unterton in seiner Stimme zeigt, dass er sich da nicht ganz sicher ist.

Die aktuellen Mitstreiter von Treacy heißen Texas-Bob Juarez und Mike Stone. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen: Ohne diese beiden hätte es kein weiteres Album gegeben. Der elegante Mike, der bis vor kurzem noch einen gut dotierten Job bei der britischen Telekom besaß, hat alle Studiokosten vorgestreckt. Er hat Treacy ein Zimmer besorgt und sich wie ein Sozialarbeiter um ihn gekümmert. Der etwas verspult wirkende Texas-Bob ist ein exzellenter Gitarrist, der in Dan das Bindeglied zu seinem Idol Syd Barrett sieht. Er war es auch, der über MySpace die Band MGMT kontaktierte. Deren Sänger Andrew VanWyngarden meldete sich schon kurze Zeit später. Es folgte eine ganze Reihe gemeinsamer Konzerte und der bereits erwähnte „Song For Dan Treacy“. „Wir hoffen, dass die Leute Dan Treacy und die Television Personalities durch uns entdecken“, sagt dann auch Andrew VanWyngarden in einem Interview mit der „taz“.

Dan Treacy kann sich für dieses Lob leider nichts kaufen. Er hat nicht einmal ein Konto, die Rechte an vielen seiner Songs hat er vor langer Zeit für ein Butterbrot weggeben. Vinita Joshi, die Betreiberin des Labels Rocket Girl, kümmert sich zurzeit um seine Finanzen und die vielen Außenstände. Treacy freut sich darüber, er hat wieder Hoffung: „Wenn ich vor vier Jahren nicht Mike und Bob getroffen hätte, würde ich heute überhaupt nichts mehr machen.“

Auf dem gut produzierten „Memory Is Better Than Nothing“ sind es die leisen Songs, die am meisten beeindrucken: „If You Don’t Want Me“ oder „Come Back To Bed“ erinnern an das Spätwerk von Jonathan Richman. „Ihm fühle ich mich nahe“, sagt Dan nachdrücklich. Im von der Schwedin Johanna Lundström gesungenen „The Good Anarchist“ bewegen sich die TVPs derweil eindeutig auf Syd-Barrett-Terrain. „Barrett war gar kein Hippie – Paul Weller hingegen schon“, stellt Treacy zum Ende unseres Treffens noch klar. Der Modfather war ja schon immer jemand, an dem sich Treacy gerne abarbeitete. Die alte Hassliebe hat offenbar Bestand: „Der Kerl hat fünf Kinder und zwei Häuser – er ist ein echter Profi, ein x{201a}respektierter Singer und Songwriter‘. Ich möchte in meinem ganzen Leben kein x{201a}respektierter Singer/Songwriter‘ sein.“

Auch wenn das Leben ihn grausam abgestraft hat – Dan Treacy will nicht ablassen vom großen Versprechen des Pop. Und dafür lieben wir ihn noch immer.

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