Die Toten Hosen in: Fünf Quanten Trost

Ausgerechnet "In aller Stille " heißt das neue Album der Toten Hosen. Dabei sind die fünf doch Spezialisten im Krachmachen — und gönnen sich eher selten ein bisschen Kühe. Aber was machen Campino und Kollegen eigentlich, wenn sie tatsächlich mal Zeit für sich selbst haben? ROLLING STONE hat die Hosen an ihre Lieblings-Orte in und um Düsseldorf begleitet — vom Fußballstadion bis zum Friedhof.

Wenn die Toten Hosen im Proberaum warten müssen, dann meistens auf den Sänger. Darüber sind sich alle einig, als an diesem sonnigen Sonntagmittag einer nach dem anderen eintrudelt. Kuddel, von der Band gern scherzhaft „der Musiker“ genannt, weil er anfangs der Einzige war, der sein Instrument tatsächlich beherrschte, stimmt schon mal Gitarren und klampft ein bisschen herum. Breiti, Andi und Vom unterhalten sich lieber. Schließlich trifft auch Campino ein, er hatte beim Fußballspielen die Zeit vergessen.

Die Toten Hosen proben gerade neue und alte Stücke für die anstehende „Machmalauter“-Tournee. Passend zu diesem Motto heißt ihr neues Album „In aller Stille“. Es ist die 14.Studio-Platte der Düsseldorfer – und eine voller Überraschungen.

Zum ersten Mal haben die Hosen auf ihren Stammproduzentenjon Caffery verzichtet. „Wahrscheinlich die schwerste Entscheidung“ bei den ganzen Aufnahmen, wie Campino unumwunden zugibt: „Dass man sich, auch wenn’s vielleicht nur vorübergehend ist, von jemanden trennt, der 27 Jahre mit dabei war, ist kein schönes Gefühl. Andererseits waren wir mit unserer eigenen Leistung, was neue Stücke angeht, in letzter Zeit nicht so zufrieden, und wir fanden, dass ,Zurück zum Glück‘ (das Vorgänger-Alb um von 2004) zu schwerfällig ausgefallen war, mit zu vielen Lückenfüllern. Das hat natürlich überhaupt nichts mit dem Produzenten zu tun, sondern eigentlich mit uns. Aber: Wir hatten definitiv das Gefühl, wir müssen ändern, was wir ändern können, um woanders hinzukommen. Und das Problem ist, dass wir uns ja schwer selbst rausschmeißen können! Da hört der Wille zur Erneuerung auf, an dem Ast wollen wir alle nicht sägen. Und die nächste Person, die es dann treffen muss, ist der Produzent. Wenn die Wege nach all der Zeit so ausgetreten sind, dann reizt man den anderen vielleicht nicht mehr genug, dass der auch mal ein paar Schritte weitergeht.“

Der Neue heißt Vincent Sorg und ist vor allem für seine Arbeit mit In Extremo und den Donots bekannt. Den Hosen gefiel, dass er so „unvorbelastet“ war und die natürlichen Grenzen der einzelnen Bandmitglieder gar nicht kannte. Er spornte sie also immer noch an, wenn Caffery mit all seiner Erfahrung vielleicht schon aufgegeben hätte. Trotzdem schließt Campino nicht aus, dass der Brite irgendwann zurück kommt. „Letztendlich war es auch so, dass wir anfingen, undankbar zu werden und manche Dinge auf den Sound zu schieben. Deshalb der Entschluss, jetzt einfach mal eigene Wege zu gehen.“

Die zweijährige Bandpause scheint den Toten Hosen gut getan zu haben – auch wenn Campinos Kollegen wenig begeistert waren, dass der nach dem „Dreigroschenoper“-Theater auch noch die Hauptrolle in Wim Wenders‘ „Palermo Shooting“ übernahm.

In zwei langen Band-Sitzungen musste er Überzeugungsarbeit leisten, um ein weiteres Hosen-freies Halbjahr herauszuschlagen. Er wollte die Chance einfach nicht verstreichen lassen: „Ich habe mit der unfairen Argumentation gewonnen: Meint Ihr, dass das gut ist, wenn ich unglücklich im Proberaum sitze?“

Das wollten die Freunde natürlich nicht. Als es dann endlich wieder gemeinsam ans Werk ging, war die Band umso motivierter. „In aller Stille“ nahmen sie ungewöhnlich schnell auf, alle waren hoch konzentriert. „Ich bin keiner, der zum Beispiel während der ,Dreigroschenoper‘ dann abends ins Hotel geht und noch irgendwelche Texte schreibt“, gibt Campino zu, aber in der Zwischenzeit hatten sich naturgemäß zumindest viele Ideen angesammelt. Um die 35 Songs hatten die Hosen anfangs, dann wurde gnadenlos ausgesiebt, in „Tage und Wochen andauernden Diskussionen“.

Unter anderem wurde lange über Für und Wider eines „Party-Liedchens“ gestritten. Das nun – noch eine Überraschung! – nicht auf dem Album ist. Campino erklärt, wieso: .Wenn man wochenlang textet und jede Menge ernste Gedanken dabei sind, dann kommt irgendwann ein Rappel, und man albert vor sich hin. Wir haben das Lied dann auch aufgenommen, und viele fanden es lustig, aber wir hatten das Gefühl: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir unsere ernsten Aussagen auf jeder Platte mit einem humoresken Lied relativieren wollen. Dass wir damit immer die Sachen, die klarzustellen sind, abschwächen. Warum kam bei ,Auswärtsspiel‘,Kein Alkohol ist auch keine Lösung‘? Sogar bei,Opium‘ kam aus Angst vor der eigenen Courage wegen dieser Abhandlung über Moral und Philosophie dann Jägermeister‘. Das war damals vielleicht auch in Ordnung, weil wir Panik hatten, dass man uns sonst als erwachsen bezeichnen könnte. Aber heute finde ich: Eine Erwartungshaltung bedienen zu wollen, das darf als Argument nicht reichen.“ Auch etliche politische Songs fielen „durch den Qualitäts-Rost“. Eine eigene Version des „Moorsoldatenlieds“ wurde verworfen, weil es zu harmlos klang und die Hosen nicht wie Juso-Bedenkenträger wirken wollten. „Die letzte Schlacht“ blieb, ein wütendes Manifest gegen Überwachungsstaat und Marketingmanipulation, auch „Pessimist“ kann man durchaus als

Sozialkritik verstehen. Doch Campino weiß um die Gefahr, die in solchen Stücken liegt: „Wenn du gerade von unten durchstartest, ist es leichter, einfach so ein Ding rauszuhauen gegen ,die da oben‘. Wenn du 26 Jahre lang in Deutschland größtenteils relativ erfolgreich lebst und irgendwo auch Teil des Establishments, ein Rädchen im System bist, dann ist es schwierig, sich hart zu äußern, ohne unglaubwürdig zu werden. Da musst du genau überlegen, wie du die Kritik ausdrückst.“

Als es ans Texten ging, beschloss Campino, sich zum ersten Mal seit Jahren weder ins Hotel noch ins Kloster zurückzuziehen. Also sich nicht zu verstecken, sondern einfach zu Hause zu bleiben – trotz all der Ablenkungen, die dort warten könnten. Und prompt lief der klassische Verdrängungs-Mechanismus an: Er räumte erst mal die Wohnung auf, schaute Rechnungen durch, sortierte Briefe. Dachte, er müsse sich jetzt unbedingt eine neue Leselampe kaufen. Und plötzlich, als er schon glaubte, sich irgendwie an den Schreibtisch zwingen zu müssen, ging alles fast wie von selbst.

„Es gibt ja sowieso nur fünf, sechs Grundthemen, die alle schon tausendfach besungen wurden“, schätzt er die Lage realistisch ein. Mit Glück stolpert man beim Variieren dann über die eine oder andere Inspiration. Im krachenden „Innen alles neu“ geht es um einen Typen, der ständig betont, dass er von außen vielleicht fertig und ausgebrannt aussehe, im Inneren aber völlig okay sei. Die Idee stammt von einem Möbelhaus-Plakat, das Campino zufällig sah. „Ich schreibe mir viel auf. Wenn ich mit meinem vierjährigen Sohn rede, sagt er manchmal unglaubliche Dinge – wenn ich die nicht aufschreibe, vergesse ich zu viel. Das eigentliche Texten ist dann aber ein bewusster Arbeitsprozess, da reichen die Notizen nicht. Ich glaube, die Kreativ-Quelle in unserem Inneren versiegt nie, aber man findet sie nicht immer. Ich versuche am Anfang meistens, mich zu verstecken, und gefällige Sachen zu schreiben, statt ehrlich zu sein. Man sollte nicht vorgeben, mehr zu sein, als man ist.“

Eines von Campinos Lieblingthemen ist immer noch die Vergänglichkeit. In Krachern wie „Leben ist tödlich“, der Ballade „Ertrinken“ und auch „Tauschen gegen dich“, das nur aus Gesang und ganz leiser Instrumentierung besteht, geht es um die Unmöglichkeit, etwas festzuhalten, und die Willkür des Glücks. Sehnsucht, Zweifel, auch an Gott – das alles spielt hier zusammen, nur eins interessiert den Sänger überhaupt nicht mehr: die ewige Frage, ob und wann man zu alt für Rockmusik sein könnte. „Seit mein Junge da ist, setze ich mich mit dem Alter überhaupt nicht mehr in Form von Jammern oder eines gewissen Bedauerns auseinander. Die Frage, ob es langsam Zeit wird, etwas Seriöses zu machen – das hatte ich alles im Leben davor. Auch die Frage, wie man älter werden kann, ohne peinlich zu sein, das hat mich früher wirklich beschäftigt. Aber das ist jetzt vom Tisch. Ich habe gar keine Zeit, mich mit sowas zu befassen.“ In „Wir bleiben stumm“ singt er: „Es war gut, wie es war, und es ist gut, wie es ist.“

Eine weitere Überraschung, die vielleicht gar nicht gleich auffällt: Diesmal ist gar kein englisches Lied dabei. Dafür ein Duett! „Auflösen“ singt Campino mit der wunderbaren österreichischen Schauspielerin Birgit Minichmayr, die er bei der „Dreigroschenoper“ kennenlernte. Und jetzt offenbart er auch einen lange gehegten Wunsch: „Ich träume seit vielen Jahren von einem Duett. Johnny Cash und June Carter, Nick Cave und Kylie Minogue – wie haben die das hinbekommen? Mir fehlten die richtigen Worte und die richtige Person. Es ist schwer, in Deutschland eine Sängerin zu finden, mit der es nicht so wirkt, als wäre das ein strategischer Schachzug, eine kommerzielle Überlegung. Eine gute, unverbrauchte Stimme findet man nicht so einfach. Bei den Proben zur ,Dreigroschenoper‘ habe ich Birgits Stimme gehört und wusste: Jetzt oder nie.“ Aber wie verkauft man nun den Toten Hosen, dass man sowas machen will? „Nach 26 Jahren Männergemeinschaft kennt man gewisse Tricks. Ich habe das nicht als Duett angekündigt, sondern gesagt: Sie kommt mal vorbei und singt was…“ Und dann waren alle gleich begeistert, und über dieses Lied gab es ausnahmsweise keine Diskussion.

Das erste Stück, das Hosen-Fans von „In aller Stille“ zu hören bekamen, war „Strom“. Die Single stand auf der Band-Website eine Woche lang als kostenloser Download zur Verfügung. „Mir war gar nicht klar, ob das überhaupt noch eine große Meldung ist – ein kostenloser Song“, gibt Campino zu. „Aber nach ein paar Tagen hatten sich das 100 000 Leute runtergeladen, die interessiert das also durchaus.“ Die Aktion war eigentlich vor allem als kleiner Dank gedacht – die Dezember-Tournee war so schnell ausverkauft, dass sofort noch etliche Konzerte im nächsten Jahr nachgelegt wurden. Nun sind es Die Toten Hosen freilich gewöhnt, dass die Hallen voll sind, aber die Geschwindigkeit, mit der die Tickets weggingen, wunderte sie doch. Zumal das neue Album ja noch längst nicht veröffentlicht war. Ganz bescheiden betont Campino: „Wir sehen es nicht als selbstverständlich an, dass da wieder so viele hinwollen – den Fehler würden wir nicht machen. Nach einer längeren Pause schwingen immer auch Ängste und Sorgen mit, und das ist dann natürlich eine Bestätigung und macht Mut. Aber die Leute würden es merken, wenn man selbstgefällig wird und nicht mehr 100 Prozent gibt. Ein bisschen Panik im Nacken zu haben, das schadet nie.“

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