Die Voll-Bedienung

Wenn es nach dem MCE-Geschäftsführer Stuart Graber geht, dann werden die Programmdirektoren der deutschen Pop-Sender den 25. November 1994 als schwarzen Freitag in Erinnerung behalten. An diesem Tag startete in Rosenheim ein Pilotprojekt, das – vielleicht- geeignet ist, die werbefinanzierte Radio-Landschaft gründlich zu verändern.

Die Idee ist simpel und noch nicht einmal neu. Wenn es erstens stimmt, daß die meisten Radiohörer nur deswegen draußen an den Geräten sitzen, weil ihnen die Musik gefällt, und zweitens genau die Programme den größten Erfolg haben, die so weit wie möglich auf Moderationen verzichten, dann ist es nur konsequent, ausschließlich Musik zu senden.

Grabers Unternehmen „Music Choice Europe“ (MCE) hat sich vorgenommen, den Deutschen ein Produkt zu verkaufen, wie sie es noch nicht kannten: Radio im Abonnement, per Kabel, in CD-naher Qualität, und vor allem ohne dummes Moderatoren-Gequatsche, ohne Nachrichten und sogar ohne Werbung. Musik pur.

Zunächst kamen probehalber die 15.000 Kabelkunden der Rosenheimer Innenstadt in den Genuß des Angebots, aber spätestens ab März diesen Jahres will MCE nach und nach flächendeckend in Deutschland vertreten sein – sobald die für die Genehmigung zuständigen Landesmedienanstalten in jedem Bundesland ihr Placet zur Einspeisung gegeben haben.

Der Clou bei MCE ist die musikalische Vielfalt, laut Stuart Graber „a tremendous choice and variety“. Nicht eine Welle für alle bietet MCE (was bekanntlich ohnehin nicht funktioniert), sondern gleich 44 verschiedene Programme. Das beginnt mit einem Volksmusik-Kanal, je einem für Schlager, Deutschrock und Kinder, geht weiter mit fünf Klassik-Kanälen, drei Jazz- und zwei Country-Schienen und einem satten Dutzend für Rock und Pop.

Dazu Programme für Musicals, New Age, Blues, Reggae, Latin und Gospel.

Zum Empfang des gesamten Pakets braucht’s allerdings mehr als nur einen gewöhnlichen Kabelanschluß. Nötig ist ein Spezial-Empfanger (Decoder) samt Fernbedienung Modell „Maestro“, beides von MCE für 125 Mark zu haben, wovon sich 75 Mark als rückzahlbare Kaution verstehen. Für weitere 22 Mark im Monat darf dann gehört werden bis zum Abwinken. Die Musikmischung, die sich in Zufallsreihenfolge alle paar Stunden wiederholt, wird in London direkt von der Computer-Hard-Disc und datenkomprimiert per Satellit eingespielt.

Doch der Komfort ist nicht grenzenlos. Mitschneiden zu Hause ist zwar technisch problemlos möglich, bleibt aber unerwünscht: „Maestro“ zeigt nicht den oder gar die nächsten Titel an – für die Nutzer größter Schwachpunkt des Systems. Kein Zufall, denn die Vorschau würde den CD-Umsatz killen“, ist sich Daniel Schmid sicher. Die MCE-Eigner Time-Warner, Sony Software und EMI Music betrachten die Pay-Radio-Unternehmung eben eher als einträgliches Zusatzgeschäft mit Werbe-Effekt In Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien, England und der Schweiz, wo MCE seh etwa einem Jahr sendet, soll die Rechnung der Investoren mit angeblich fünf Millionen Kunden schon aufgegangen sein. Hierzulande, weiß Schmid, stehen die Anbieter von Pay-Radio noch vor der Schwierigkeit, daß die rund 15 Millionen Kabelkunden erstmal begreifen, was das ist“.

Zumal ein Konkurrenz-Anbieter, „Digital Music Express“ (DMX), schon im letzten Sommer im Städtchen Dorfen südlich von Landshut gestartet ist. Alle zusammen haben für das Produkt Pay-Radio noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. MCE schweigt sich über die Zahl der Abonnenten am Pilot-Standort aus. Bei DMX waren es nach einigen Monaten ganze elf.

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