Die wichtigsten Punk-Alben aller Zeiten: 1965 – 1977

Die letzte Etappe ist nun auch geschafft: Im letzten Teil unserer Punk-Serie der besten Punk-Platten aller Zeiten bewegen wir uns in die epochalen Jahre von 1965 bis 1977. Sehen Sie hier Plätze 1 bis 10 unserer chronologischen Liste

In der Juli-Ausgabe des Rolling Stone hat sich die Redaktion dem Punk gewidmet. Neben Artikeln über die Helden und das Erbe des Punks, sowie der neuen Blondie-Platte als exklusive Beilage, gibt es auch eine chronologische Liste der wichtigsten Platten des Punk. In den letzten zwei Wochen gab es an dieser Stelle bereits die Plätze 11 bis 50, diese Woche fahren wir mit den Plätzen 1 bis 10 fort, die den Zeitraum von 1965 bis 1977 umfassen. Seit dem Erscheinen des Hefts ist eine rege Diskussion über die Liste der Punk-Platten entbrannt. Wenn Sie wollen, können sie hier im Forum mitdiskutieren.

Platz 1: The Sonics – Here Are The Sonics!!! (ETIQUETTE, 1965)

Um die Mär vom 77er-Punk als völlig neuartigem Genre zu widerlegen, reicht ein Blick auf die Geschichte des US-Garage Rock. So hatten sich die Sonics und andere Bands in den Sixties ursprünglich zusammengetan, um den Beatles nachzueifern. Da ihnen die Brillanz der Fab Four aufgrund mangelhafter Produktionsmittel und instrumentaler Fähigkeiten unerreichbar war, entstand quasi „aus Versehen“ eine weitaus rohere Rock’n’Roll-Variante – der Garage Rock. Das Debüt der Band aus Tacoma, Washington, ist ein Klassiker eines Genres, das spätere Generationen vor allem durch die „Nuggets“-Compilation wiederentdeckten. Jene 1972 von Lenny Kaye zusammengestellte Kopplung diente nicht zuletzt den Ramones als wichtiger Einfluss.

Platz 2: The Velvet Underground – White Light/White Heat (VERVE, 1968)

Die Grundlagen ihres zweiten Albums hatten sich The Velvet Underground mittels ausufernd krachiger Improvisationen auf der vorangegangenen Tournee angeeignet. Die Musiker trennten sich von Nico und Andy Warhol, nahmen das Werk in zwei Tagen auf. Den Frust über den ausgebliebenen Erfolg des Debüts und die Streitigkeiten hört man in jeder Note. Noten? Es war ein einziger Lärm! Aber was für ein herrlicher: Der Titelsong, das Avant-Experiment „Sister Ray“, die Spoken-Word-Kaskaden von „The Gift“ … Abermals ging es um Drogen, sexuelle Seltsamkeiten und dergleichen mehr. Erfolgreich konnte so was in jenen Tagen nicht sein, die Naivität der Hippies hatte keinen Platz im Werk dieser Band. Aber was für eine Pioniertat!

Platz 3: MC5 – Kick Out The Jams (ELEKTRA, 1969)

Schon im April 1969 nannte Lester Bangs diese Band aus Detroit in seiner Besprechung zu „Kick Out The Jams“ „a bunch of 16 year old punks on a meth power trip“. Das klingt fast wie ein Kompliment, aber so war es nicht gemeint. „Lächerlich, anmaßend, prätentiös“ fand er dieses Album, und irgendwie hat er damit ja auch recht. MC5 mischten Beat-Poetry, die Hippie-Lyrik von Sun Ra und linke Agitation und klauten dazu Tunes von John Lee Hooker und den Troggs. Aber es ist die wahnsinnige Energie der auf Free-Jazz getuneten Gitarren von Fred „Sonic“ Smith und Wayne Kramer, die dieses Live-Album so bemerkenswert macht. Die Haltung dahinter war schon Punk, die Musik zog auf dem nächsten MC5-Album „Back In The USA“ nach.

Platz 4: The Stooges – The Stooges (ELEKTRA, 1969)

1969: Vietnam wächst sich zum Trauma aus, die Mondlandung und Woodstock deuten eine Zeitenwende an. Und wovon singt Jim Osterberg alias Iggy Pop in „1969“? “ Well, there’s nothing here for me and you/ Another year with nothing to do.“ Es sind diese No-Future-Haltung und die Art, wie der Rock’n’Roll der Stones und Doors hier ad absurdum geführt wird, die das Stooges-Debüt zu einem der wichtigs-ten Früh-Punk-Album machen. „I Wanna Be Your Dog“ verhöhnt mit einem simplen Riff die sexuelle Revolution, und die zehnminütige Psychedelic-Ballade „We Will Fall“ zeichnet den Weg der Stooges bereits vor: “ And I’ll lay right down/ On my back/ On my bed/ In my hotel/ and I’ll be in love.“ Wenig später ist die Band auf Heroin.

Platz 5: Iggy & The Stooges – Raw Power (COLUMBIA, 1973)

Zeitsprung: Die Ur-Stooges hatten sich aufgelöst, Pop kurierte seine Heroinsucht in London und schrieb mit dem Gitarristen James Williamson neue Songs. Als die fertig waren, holte er doch wieder die Asheton-Brüder hinzu, da er in England keine ge-eigneten Musiker fand. Die massive Urgewalt von „Search And Destroy“ oder „Raw Power“ und der nihilistische Aplomb von „Gimme Stranger“ gingen noch einen ganzen Schritt weiter als die Original-Stooges. Mit der Gitarre von Ron Asheton war auch jegliche Psychedelia aus der Musik gewichen. Insofern ist „Raw Power“, koproduziert von David Bowie, das Proto-Punk-Dokument schlechthin. Stooges-Fans und Bowie-Hasser lassen nur die von Iggy selbst angefertigten Mixe gelten.

Platz 6: Ramones – Ramones (SIRE, 1976)

Der Beginn der neuen Zeitrech-nung: „Hey ho, let’s go!“ Mit dem Ramones-Debüt nimmt Punk seinen Lauf, alles passt: Rhythmus, Songs, Haltung, Look. Benannt nach einem Pseudonym von Paul McCartney, ge-küsst von der Muse der Beach Boys und angepisst von einer Mittelklassejugend in New York, erfinden die Ramones den Rock’n’R oll noch einmal neu. Mit drei Akkorden, zur Tür hereinplatzenden Popstücken und dem gebellten Einzählen von Dee Dee Ramone als Trademark: Onetwothreefour! Eine ganze Jugendkultur wird sich am Humor, der Boy-Girl-Romantik und dem infantilen Faible für Cartoons, B-Movies und Nazi-Sprech ausrichten. Da können Joey noch so wilde Gewaltfantasien befallen: Unschuldiger wird Punk nimmer.

Platz 7: The Modern Lovers – The Modern Lovers (BESERKLEY, 1976)

Nach Dylans Surrealismus, Lennons Seelenschau und Lou Reeds Hard-boiled-Camp, nach Vietnam, Protest und Psychedelia war Anfang der Siebziger nicht mehr viel übrig vom alten Rock’n’Roll. Da kam ein Teenager namens Jonathan Richman auf die irre Idee, die klassischen Topoi des Genres wiederzubeleben. Nur waren die Boys nicht mehr einfach Boys und die Girls nicht mehr nur Girls: Die Unschuld war verloren, in die naiv vorgetragenen Songs mischt sich ein beunruhigender Unterton, der durch die rohe Simplizität von John Cales Produktion noch verstärkt wird. Als das Album vier Jahre nach den Aufnahmen erschien, hatten sich die Modern Lo-vers getrennt, und Jonathan Richman verlor sich allmählich in der Putzigkeit.

Platz 8: The Damned – Damned, Damned, Damned (STIFF, 1977)

The Damned gefielen sich als scheußlich-fiese Spaßvögel, aber verdammt schnell waren sie auch: Als erste britische Punkband veröffentlichten sie eine Single, „New Rose“, am 22. Oktober 1976. Und sie waren auch die Ersten mit richtigem Album: Im Februar 1977 erschien „Damned Damned Damned“. Hinter dem sarkastisch-überreizten Rabatz, den sie in Nummern wie „Neat Neat Neat“ oder „Mess Up“ veranstalten, schielt immer wieder ungeniert der Pub Rock hervor – was auch daran liegen könnte, dass die Platte von Nick Lowe produziert wurde. Die Sahnetorten, die die Plattenfirma vor dem Covershooting besorgt hatte, waren in Wahrheit übrigens zum Verzehr bestimmt. Angeblich.  GR

Platz 9: The Clash – The Clash (CBS, 1977)

Nein, es ist eben nicht „London Calling“. The Clash waren auf ihrem Debüt am besten – und das nicht nur, weil bei diesen Songs noch niemand auf die Idee gekommen wäre, sie in einer Jeans-Werbung zu verheizen. Der US-Ableger ihrer Plattenfirma fand die Musik sogar zu derbe für eine Veröffentlichung – und verweigerte den Release. Lag es an „I’m So Bored With The USA“? Egal, die UK-Version wurde der bis dato erfolgreichste LP-Import in die USA. Auch wenn die Reggae-Anleihen und die Affinität zu Popmelodien schon hörbar waren – ungestüm giftend wie in „White Riot“ und „Garageland“ schafften es The Clash, die Widersprüche um die gutbürgerliche Herkunft von Sänger Joe Strummer und den CBS-Majordeal einfach wegzublasen.

Platz 10: Radio Birdman – Radios Appear (TRAFALGAR, 1977)

Die australische Guerillatruppe, in Uniformen und mit Armbinden, auf denen das Bandlogo so streng wirkte, dass sie gar unter Naziverdacht geriet. Auch wegen „New Race“, dem zackigen Erkennungssong, in dem es darum geht, dass die jungen Leute durch Rock’n’Roll zu fremden Wesen mutieren. Wie Besiedler eines leeren Planeten müssen sich Sänger Rob Younger und die anderen von Radio Birdman Mitte der Siebziger in Sydney auch vorgekommen sein. Weil keiner ihren Garagen-Surf-Detroit-Rock hören wollte, mussten sie sogar eine eigene Bar eröffnen, um auftreten zu können. Und blieben ein regionales Phänomen – obwohl sie mit dem Ur-Punk dieses ersten Albums so früh dran waren, dass England sie hätte umarmen müssen.

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