Die Würstchenhaftigkeit des Menschen: Zum Tode von Loriot, dem Feinmechaniker des Humors

Arne Willander über Vicco von Bülow, den großen Psychologen und Menschenkenner. Loriot ist im Alter von 87 Jahren verstorben. Ein Nachruf.

Zuletzt sah man ihn als sehr alten Herrn bei den Feiern zu seinem 85. Geburtstag und im Berliner Filmmuseum, wo im Jahr 2009 eine Ausstellung seiner Werke als Würdigung seiner Lebensleistung zu sehen war. Das Universum des Vicco von Bülow, den wir als Loriot kannten, wird erst jetzt vollständig vermessen werden können. Die frühen Cartoons, die Zeichentrickfilme, die kleinen Filmrollen, die Moderationen, dann die berühmten „Sketche“, zwei Spielfilme, Opern-Inszenierungen. Der Einfluss, den Loriots Knollennasenmännchen, seine täppischen Spießer und verklemmten Frauen, Ordnungsfanatiker und Zwangsneurotiker auf die deutsche Kultur hatten, kann gar nicht überschätzt werden. Wer in den 70er-Jahren jung war, wird niemals jene sechs Sendungen vergessen, in denen von Bülow den Deutschen und dem Fernsehen (im Fernsehen!) den Spiegel vorhielt. Herr Müller-Lüdenscheid, das Frühstücksei und die Nudel im Gesicht gehörten damals eher zum Bildungsschatz als zur Popkultur; Loriots präzise Inszenierungen hatten stets den Glanz eines schönen Handwerks, einer Goldschmiedearbeit oder einer Uhrmacherei. 

Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow wurde am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren; sein Vater Johann-Albrecht war Polizeimajor. Viccos Mutter Charlotte von Roeder starb, als das Kind sechs Jahre alt war; ein Jahr zuvor hatte sie sich von Johann scheiden lassen. Vicco lebte einige Jahre bei den Großeltern in Berlin, zog 1938 mit Bruder und Vater nach Stuttgart, machte 1942 das sogenannte Not-Abitur und war drei Jahre als Berufs-Offizier an der Ostfront. Diese Erfahrungen haben sein Leben und seinen Geist nicht zerstört, später erzählte er allenfalls zurückhaltend  von dem Grauen, stets ohne Larmoyanz und Pathos. Doch die Einsicht, dass der Mensch des Menschen Wolf ist, bildet die Folie für manche Szenen über wild gewordene Kleinbürger, die sich um einen Parkplatz streiten, eine Formulierung oder eine Vorschrift. Die Pedanterie, das Ehrpusselige, die Prinzipienreiterei des Militärs findet man bei allen Loriot-Figuren, bei denen die vermeintliche Tugend zu Fetisch und zur Perversion geworden ist.

Vicco von Bülow studierte in Hamburg an der Kunstschule und zeichnete von 1950 an Cartoons für Zeitschriften, kurz auch für den „stern“. 1954 erschien bei Diogenes der erste Band mit Zeichnungen, das sprichwörtliche „Auf den Hund gekommen“. In zwei Kriegsfilmen, Bernhard Wickis „Die Brücke“ (1959) und dem Hollywood-Großprojekt „Der längste Tag“ (1963) über die Invasion der Alliierten, spielte er sehr kleine Rollen, das aber formvollendet. Ab 1967 moderierte er die Fernseh-Reihe „Cartoon“, schrieb auch die Texte und war Co-Regisseur. Für die „Aktion Sorgenkind“ zeichnete er 1971 den Hund Wum und gab ihm seine Stimme, später kam Wendelin bei „Der große Preis“ hinzu: Ihren Ruf „Thooooeeelke!“ nach dem Quizmaster, der lustigerweise Wim hieß, kannte jedes Kind. Nach einer Sendung zum Besuch der britischen Königin 1974 inszenierte er 1976 sechs Folgen von „Loriot“ – aus dieser Reihe stammen beinahe alle seine berühmten Arbeiten, die Cartoons wie die Dramolette mit Evelyn Hamann. In der Schauspielerin, die so gut das Dröge mit dem Blasierten verbinden konnte, fand Loriot seinen weiblichen Konterpart. Wenn er sie als säftelnder Molch bedrängt, spielt sie ganz die empörte Unschuld. Das peinlichste Abendessen überhaupt („Sagen Sie jetzt nichts!“) entsteht durch die Diskrepanz zwischen den romantischen Absichten und der schwadronierenden Selbstgefälligkeit des Mannes – und der Begriffsstutzigkeit und Tantenhaftigkeit der Frau.

Loriot hat darauf hingewiesen, dass seine Komik aus Kommunikationsstörungen entsteht – das Aneinander-Vorbeireden, das Salbadern, Prahlen, Labern und Vortragen gehört zu all seinen Gestalten, die sich stets aufgeblasen als Meister ihres Schicksals geben. In „Ödipussi“ (1988) zeigte Loriot – wie Woody Allen – die Mutter als übermächtige Matrone, Zuchtmeisterin und Geliebte des ältlichen Sohnes – unvergessen, wie sie ihm aufgebratenes Kartoffelpüree serviert. In „Pappa ante Portas“ (1992) beweist Loriot, dass ein Mann keinen Ruhestand kennt und im trauten Heim nur Schaden verursacht – seine Frau versteht er nicht, der Haushalt ist ihm fremd, und ohne Verantwortlichkeit ist er bloß ein armes Würstchen. Die Würstchenhaftigkeit des Menschen, die er eigentlich in aller Brutalität ausstellt, hat dieser leise Herr stets mit versöhnlicher Milde bemäntelt.

Noch spät erfüllte Vicco von Bülow sich den Wunsch, den „Freischütz“ zu inszenieren und einmal die Berliner Philharmoniker zu dirigieren (ein entfernter Verwandter leitete einst das Orchester). Fürs Fernsehen wollte er seit den 80er-Jahren nicht mehr arbeiten; die Produktionsweisen waren ihm fremd geworden, das Allotria schien ihm zu derb, der Anspruch zu bescheiden. Man muss sagen: Alles, was heute Comedy genannt wird, war eine Beleidigung für den exzellent gebildeten Feinmechaniker und Psychologen des Humors. Nicht bloß in den Festreden zu seinem 85. Geburtstag bekannte jeder einzelne Laudator ohne Umstände, dass niemand der Meisterschaft Loriots folgen kann. Es wird nie wieder jemanden wie ihn geben – hier stimmt es einmal. Und es ist unser Verlust.

Gestern starb Vicco von Bülow, der amüsanteste aller Deutschen, im Alter von 87 Jahren. Und er war nicht einmal ernstlich krank.

Sehen Sie hier die von der Redaktion ausgewählten, besten Sketche des Vicco von Bülow.

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