Dieter Meier über die schwulstige Selbstfindug der Neuteutonen als ideenlose und harmlose Pose

Die Frage, ob es sich bei den Neuteutonen um Faschisten handelt oder ob allenfalls in ihrem Tun wenigstens faschistoide Tendenzen aufzuspüren sind, erübrigt sich. Jedes Kunst- oder Musikstück ist per Definition anarchistisch und progressiv, weil es ja darum geht, die eigene Identität im Sinne eines „Werdet wie die Kinder“ freizulegen. Der Versuch führt in jedem Fall zu einer noch nie gesehenen oder gehörten Hervorbringung, die von der Welt, wie sie ist, zuerst einmal abgelehnt wird, weil sie Angst hat vor dem Neuen, Anderen, Unbekannten, das bei diesem Prozeß notwendigerweise entsteht, von Rembrandt, Brahms, Webern bis zu Jimi Hendrix und Kraftwerk.

Wenn dieser Prozeß des Sich-Erfindens, aus welchen Gründen auch immer, schon unmittelbar unter der Oberfläche der Individualität vom röhrenden Hirsch gestoppt wird, entsteht stets Kitsch, der sich vor allem durch die Eindimensionalität von Abziehbildern bestehender Formwelten auszeichnet und den Artisten zum Hampelmann macht, an dessen Schnürchen gezogen werden kann, auf daß er die immer gleiche, bekannte Bewegung vollziehe: manchmal den Arm zum Gruß ausgestreckt, manchmal nur die Beine gespreizt – in jedem Fall einerlei.

Ob die von Einfallslosigkeit gebeutelten Burschen des koketten Deutschtums in Text, Bild und Musik auf Insignien des Faschismus zurückgreifen, ob sie das ironisch meinen, zynisch oder gar aufklärerisch, ist nur von fünftrangiger Bedeutung. Tragisch scheint mit; daß die Herrn aus dieser Liga bei größter Anstrengung aus dem Gefängnis der in ihnen gewachsenen Ideenlosigkeit nicht herauskommen und sich beim verzweifelten Aufbäumen um ein bißchen Aufmerksamkeit und ein bißchen Geld in den Schatzkammern des Dritten Reichs bedienen, wohl kalkulierend, daß sie damit eine verwirrte Jugend und ihre pubertären Proteste bedienen. Die ganze Nummer ist erbarmungswürdig für die Künstler, denen offensichtlich nur der Schwulst der Waldlichtung bleibt, aber auch recht harmlos, wie von diesen traurigen und oberflächlichen Zitaten aus dem braunen Jargon keine echte Gefahr hervorgeht.

Den röhrenden Hirschen wünsche ich noch viele brünstige Zusammenkünfte, und wenn der eine oder andere Konsument dabei dazu kommt, sich mit Bauhaus und Leni Riefenstahl auseinanderzusetzen, hat dieses unbedeutende Phänomen doch noch Sinn gehabt. So sollten wir die verzweifelten Pennäler und Altrocker nicht mit dem Bad ausschütten, sondern sie mit ihren Plastikenten spielen lassen, auch wenn das Quack ein Heil wird oder ein paar Landser, Stukabomber oder gar aufgeblasene Hakenkreuze im Wasser schwimmen. Stellt ihre Badewannen auf den Kinnes und erklärt Euren Kindern, wieso sich jene im rosa-braunen Wasser so pudelwohl fühlen.

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