Dreigroschen-Popper

The Dresden Dolls aus Boston beschwören Bertolt Brecht, mögen die Illusion aber ganz gerne

Zugegeben, etwas Besonderes sind die Dresden Dolls schon. Das Duo aus Boston (Mann am Schlagzeug, Frau an Piano und Gesang) vermengt Zwanziger-Jahre-Musikdrama mit düsterer Violent Femmes-Wut und schrägem Kunstpunk (ohne Gitarre, wohlgemerkt), dass es einem manchmal fast ein bisschen bange wird. Dazu kommt das ungewohnte Bühnenbild: Die Dresden Dolls tragen Make-up und Melone und machen aus Konzerten intensive Performances – im Infobrief der Plattenfirma wird sicherheitshalber Bertolt Brechts Theatertheorie erklärt. Schaden kann es ja nicht „Als wir den Begriff vom ‚Brechtian Punk Cabaret‘ einführten, wollten wir damit nur eine Haltung beschreiben“, stöhnt Amanda Palmer, die jetzt ständig mit Journalisten über Kunsttheorie sprechen muss. „Ich konnte schon als Teenager diese zuckrigen Liebeslieder und den typischen Singer/Songwriter-Bullshit nicht ertragen. Vielleicht in einer ähnlichen Weise, wie Brecht die Nase voll hatte von Lessing, Aristoteles und dem klassischen Drama samt seiner ausgelutschten Klischees.“

Dabei ist es zunächst ein Zufall, dass die Dresden Dolls in die Niederungen der Popularmusik abgestiegen sind. Denn begonnen hat hier alles nicht in der Rock-, sondern der Kunstszene von Boston. Amanda Palmer, studierte Dramaturgin und Gelegenheits-Regisseurin, startete dort vor einigen Jahren einen Künstlertreff- in ihrem Wbhnzimmer. „Es war so eine Art Zwanziger-Jahre-Salon, ein regelmäßiges Happening mit Kunst-Ausstellungen, Performances und Konzerten von Freunden“, schwärmt der blass geschminkte Schlagzeuger Brian Viglione, der ebendort Amanda Palmer zum ersten Mal auf einer Bühne sah. „Als wir uns kennenlernten, spürten wir sehr schnell eine sehr spezielle Chemie – irgendwie wie ein ständiges Duell.“

In der Tat, das stimmt Viglione, der mit zittriger Stimme immer ein bisschen zwischen Unsicherheit und Jähzorn zu schwanken scheint, reagiert oft angriffslustig auf die bisweilen sehr scharfzüngigen Bemerkungen seiner Partnerin, und die Spannung ist, nun ja, spannend. „Die Leute spüren das, wenn sie uns auf der Bühne sehen: den Dialog, die Konzentration, die innere Verbindung. Wenn dann am Schluss das Make-up im Schweiß zerflossen ist, zerbricht auch diese Maskerade.“ Das haben die Zuschauer schon beim diesjährigen Haldern-Festival erlebt. Gesungen wird auf dem ersten Album der Dresden Dolls übrigens alles andere als theoretisch über Liebeswut, Selbstzweifel und Sterbensangst, über ganz alltägliche Dinge im Leben einer jungen Frau also. Ob Brecht applaudieren würde? „Er hat’s ja genauso gemacht!“ ruft Amanda, „hör doch mal ‚Seeräuber-Jenny‘ an -jede junge Frau, die sich von irgendetwas befreien will, findet sich da doch wieder.“

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