Drive – Die Nachtfahrt mit Männertränen

Endlich startet "Drive", der Sensationsfilm des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn, auch in den deutschen Kinos - als schweigsamer Triumph eines Hollywood-Außenseiters.

Fahrer und Steuermann

Lars von Triers Hitlerwitze entwickelten sich zum Hauptgesprächsthema, 2011 in Cannes, aber da war ja noch ein anderer, viel ehrenwerterer Däne. Nicolas Winding Refn, 41 – Mitternachtskino-Guckern vielleicht durch seine „Pusher“-Trilogie und viele, viele andere Filme mit Mads Mikkelsen bekannt – gewann mit „Drive“ den Regiepreis, wurde beim Photocall vom Hauptdarsteller Ryan Gosling auf den Mund geküsst. Und erlebte, wie sein Werk beim großen US-Start im September in fast 3.000 Kinos lief. Goldene-Palme-Sieger „The Tree Of Life“ kam auf 237 Leinwände.

Erobert Refn jetzt Amerika? „Nein. Es gibt schon zu viele Leute, die das alle gleichzeitig versuchen“, sagt der Regisseur am Telefon, während einer Drehpause des neuen Films „Only God Forgives“. „Wenn man heute etwas erobern sollte, dann China.“

Dass der wichtelhafte Refn im BBC-Frühstücks-TV die Moderatoren schockte (weil er „Violence is like fucking“ sagte), war ein einmaliger Unfall, denn gewöhnlich gibt er sich so lakonisch-schweigsam wie der Held von „Drive“, dem endlos gelobten Sensationsfilm, seiner ersten US-Produktion, die am 26. Januar auch in Deutschland startet. Gosling spielt den Fahrer, einen Hollywood-Stuntman, der nachts Fluchtautos für Gangster steuert, bis er in einen Mafia-Plot gerät. Und man kann sicher sein, dass das Filmplakat bald die alten „Pulp Fiction“-Poster in den WG-Küchen ersetzen wird.

Gosling selbst soll Refn für das Projekt ausgewählt haben. Bei einer gemeinsamen Nachtfahrt durch L.A. sei der Haarspray-Oldie „Can’t Fight This Feeling“ von REO Speedwagon im Radio gelaufen, sagt die Legende. Refn habe vor Rührung zu weinen angefangen, in dem Moment sei die atmosphärische Vision für „Drive“ geboren worden. Der Speedwagon-Song kommt im Film zwar nicht vor, trotzdem wirkt „Drive“ – vom pinken Schriftzug bis zum durch Jalousien in die Zimmer fallenden Licht – wie eine 80er-Jahre-Hommage. Was sich gar nicht vermeiden ließ, meint der Regisseur: „Wenn man in Los Angeles filmt, merkt man, dass diese Stadt noch immer in den Achtzigern gefangen ist. Die Architektur, das Lebensgefühl, die Kleidung. Da laufen ernsthaft Leute mit Schulterpolstern herum.“

Und obwohl Refn (der seine Kindheit in New York verbrachte) natürlich schlau genug ist, um das Land nicht erobern zu wollen: Er hat es mit „Drive“ tatsächlich geschafft, den Amerikanern ihre eigenen Klischees zu verkaufen. Weiterhin arbeite er lieber in Europa, sagt er, aber ein paar Filme werde er in Hollywood noch machen. Und denkt amüsiert an einen „sehr hohen Studio-Offiziellen“, der ihn nach der ersten „Drive“-Sichtung furchtbar angebrüllt habe. Kürzlich habe er den Mann auf der Straße getroffen, mit Tochter, die ihm vorgeschwärmt habe, wie toll sie „Drive“ finde. „Ich habe gefragt:, Weißt du, dass dein Vater mir damals gesagt hat, dass der Film eine Katastrophe sei?'“, erzählt Refn. „Und gleich nahm er alles zurück: Niemals habe er das behauptet! Das war ziemlich lustig.“ Dass man mit Kunstfilmen jetzt auch Geld verdienen kann, konnte ja keiner ahnen. joachim hentschel

Ryan Gosling (l., mit Carey Mulligan, Kaden Leos) in „Drive“. Mit Regisseur Nicolas Winding Refn (u.) dreht er nun auch „Only God Forgives“ und ein „Logan’s Run“-Remake.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates