Eddie Cochran

Die steile Karriere des vielseitig talentierten Charismatikers fand ein jähes Ende, doch hinterließ er eine Handvoll Klassiker, deren schiere Riff-Potenz und rhythmische Prägnanz sie dazu prädestinierten, von Rockern ohne Roll vereinnahmt zu werden. Was Eddie Cochrans Einfluss erklärt, die Klasse seiner Originale indes natürlich nicht schmälert.

An der Wand mit den Heiligenbildern in Brian Setzers Haus hängt Eddie Cochran ganz oben. Neben Elvis, unter einer roten Gretsch. „Er war so unfassbar cool“, weiß der Hausherr, „Eddie war eins mit seiner Gitarre und völlig besessen von ihr. Die beiden waren unzertrennlich.“

Bis zum Ostersonntag des Jahres i960, als im Südwesten Englands ein Leihwagen auf den Betonmast einer Straßenlaterne krachte. Der Fahrer hatte eine Kurve zu schnell genommen, überlebte aber schwer verletzt. Ebenso wie Eddies Freundin Sharon Sheeley. Gene Vincent, mit dem Cochran eben eine wilde, immens erfolgreiche UK-Tour abgeschlossen hatte, kam glimpflicher davon, sollte jedoch in den Jahren darauf noch unter den Unfallfolgen zu laborieren haben. Nur wenig ramponiert überlebte Eddies Gitarre den Crash. Ein paar Dellen und Schrammen nur. Ihrem Besitzer indes war nicht das gleiche Glück beschieden. Eddie Cochran erlag seinen Verletzungen ein paar Stunden später in einem Hospital in Bath. im Alter von 21 Jahren.

Ein tragisch kurzes Leben. Und dennoch gerieten die Nachrufe nicht selten hymnisch. „Rock’n’Roll’s Greatest Talent Dies“, schlagzeilte der „Telegraph“, die „Times“ bemühte Vergleiche mit James Dean. Der Todesursache wegen natürlich, aber auch, weil Cochrans Appeal auf ähnlichen Ladykiller-Attributen beruht hatte: „mean, moody. magnificent“. Kaum ein Nachruf andererseits, der nicht auch zum Nekrolog auf den Rock’n’Roll stilisiert -worden wäre. Eddie Cochrans plötzliches Ableben wurde nicht nur von Schwadroneuren als letzter Nagel im Sarg eines Musikstils, ja einer Jugendbewegung wahrgenommen, die von Memphis aus die Welt verändert hatte. Argumente dafür mussten sie nicht suchen, die Grabredner des Rock’n’Roll, die wurden ihnen frei Haus geliefert von den Protagonisten selbst.

Nein, dass der Rock’n’Roll in bestechender Form gewesen wäre, konnte niemand mehr behaupten. Elvis hatte sich nach seinem Abstieg in die Army zwar mit einer brillanten, adäquat „Elvis Is Back!“ betitelten LP gerade erst zurückgemeldet, doch spielte Rock’n’Roll darauf nur noch eine Nebenrolle. Buddy Holly war tot, Little Richard zum Prediger degeneriert, Chuck Berry im Dauerclinch mit Gesetzeshütern, und Jerry Lee Lewis wunderte sich noch immer über den humorlosen Umgang der Medien mit dem ihm unverdächtigen Umstand, dass er seine 13-jährige Cousine geheiratet hatte. Die Rat-Pack-Lebemänner in Las Vegas machten sich schon lange lustig über die Kurzlebigkeit ihrer verhassten Antipoden. „Remember Rock’n’Roll, Dino?“, fragte Sammy Davis Jr. feixend seinen öligen Partner, und Dean Martin legte die Stirn in Falten: „Leider nein, ich muss wohl geblinzelt haben, da war er schon durch.“ Die US-Charts jener Tage scheinen den Schmäh zu bestätigen, jedenfalls in den oberen Regionen. „A Big Hunk O‘ Love“ von Elvis belegte im Sommer ’59 den Top-Spot, danach schlug das Pop-Pendel in die andere Richtung aus. Während Eddie Cochran und Gene Vincent in England Begeisterungsstürme auslösten, kam in Amerika nichts und niemand an Percy Faith und seiner schmalzigen Titelmelodie zu „A Summer Place“ vorbei. Kurzum, die große Zeit des musikalischen Aufbruchs und Aufruhrs gehörte im Ursprungsland der Revolte bereits der Vergangenheit an, indes man in Europa enormen Nachholbedarf in Sachen Teen-Rebellion hatte.

Immerhin war der Rock’n’Roll erst mit Verspätung im 1957 noch Skiffle-verrückten England angekommen, und heimische Rock’n’Roller wie Cliff Richard, Marty Wilde oder Billy Fury betraten frühestens 1958 die Showbühne. So ist zu erklären, dass Cochrans lässig fordernde, energiegeladene und subversive Rock’n’Roll-Statements wie „Summertime Blues“, „C’mon Everybody“ oder „Somethin‘ Else“ im UK durchweg noch erfolgreicher waren und durchschlagender wirkten als in den USA. Und dass Cochrans Tod in England schmerzlicher empfunden und nachhaltiger beklagt wurde als in seiner Heimat.

Beiderseits des Atlantik verloren die Fans einen erstklassigen Sänger, Songwriter und Gitarristen, einen Rockabilly-Stilisten, begnadeten Performer und Mädchenschwarm. Sowie einen Studio-Tüftler, dessen verzerrte, übereinander gelegte Gitarren-Sounds ungeheuren Drive erzeugten. Und den einen oder anderen Selbstzweifel bei Musikern, die ihm nacheiferten. Bei Cochran-Verehrer Jeff Beck etwa, der nicht glauben wollte, dass da nur ein Gitarrist auf den Platten am Werke war, bis er Eddie live erlebte und danach seine Gitarre eine Weile nicht mehr anfasste. „Es war seine verblüffende Schlagtechnik zwischen Aggression und Kontrolle in Verbindung mit dieser jungenhaften Nonchalance und Aus-der-Hüfte-Lässigkeit, die mein Selbstwertgefühl als Gitarrist in Mitleidenschaft zog“, erinnerte sich Beck in den Siebzigern, „Eddie was truly somethin‘ else.“ Der Verlust des Künstlers Eddie Cochran war mithin überall Anlass zu Bestürzung, doch das Gefühl, einen Helden und Hoffnungsträger verloren zu haben, stellte sich vornehmlich in England ein.

Durchaus begünstigt von den rührigen Label-Managern bei London Records. Drei Wochen nach Eddies Tod veröffentlichte man mit „Three Steps To Heaven“ einen Track als Single, der unmittelbar vor der England-Tournee aufgenommen wurde und auf fast morbide Art zum eigenen Epitaph taugt. Und Cochrans erster und einziger No.1-Hit wurde, postum. In den folgenden Jahren blieb Eddies Andenken lebendig, gefüttert von einer Vielzahl von Schallplatten-Veröffentlichungen sowohl eigener Aufnahmen als auch von Tribut-Songs seiner Bewunderer. Noch im August 1963, inmitten der grassierenden Beatlemania, schaffte es Heinz, einst Gründungsmitglied von Joe Meeks Tornados, mit seiner Ode „Just Like Eddie“ in die Top5 der UK-Charts: „Whenever my troubles

are heavy/ Beneath the stars I play my guitar/ Just like Eddie.“ In Amerika hätte man dem durchschnittlichen Plattenkäufer inzwischen erklären müssen, wessen Beistand da erfleht wurde.

Geboren wurde Edward Ray Cochrane am 3.Oktober 1938 in Oklahoma City als fünftes Kind hart arbeitender Eltern, die ihre Farm bald danach aufgaben und nach Norden zogen, nach Minnesota. In der Schule zeigte sich Ed begabt und wach, besonders wenn es um Musik ging. Er lernte Schlagzeug zu spieen, Klarinette, Gitarre. Wichtiger aber als Musizieren war ihm Musik hören. Im Herzen Amerikas empfing sein kleines Radio die Signale aus Detroit und Chicago, aus Memphis und Milwaukee. Nachts, wenn der eisige Wind aus Kanada über das Haus fegte, vergrub er sich in den Kissen und lauschte hinaus in eine fremde Welt. Die populären Songs der Zeit hatten es ihm angetan. Doch hörte er auch Country-Stationen und Sendungen mit Blues und Jazz. Ende 1945 verschlug es die Familie nach Los Angeles, wo andere Gesetze herrschten. Hast du was, dann bist du was.

Geblendet vom Glamour Hollywoods und mit jeder Menge Flausen im Kopf, bricht Ed die Schule ab, sehr zum Leidwesen von Lehrern und Eltern, und beschließt, sein Glück im Showbiz zu suchen. Inspiriert von Rhythm & Blues-Entertainern wie Johnny Otis und Country-Combos wie den Maddox Brothers, musikalisch ohnehin, aber auch monetär, zieht er durch Dancehalls und Nightclubs, spielt hier mit, holt sich dort eine Abfuhr. Er sei damals viel herumgeschubst und ausgenützt worden, erzählt Eddie später in einem Interview, doch buche er das unter „Erfahrungen“ ab, die ihm geholfen hätten, „tough zu werden, vor allem mir selbst gegenüber“.

Eddies Hartnäckigkeit beginnt sich im Herbst 1954 auszuzahlen. Er lernt den um zwei Jahre älteren Hank Cochran kennen, einen umherziehenden Gitarristen und Songwriter. dem nicht entgangen war, dass Hillbilly-Duos im Stile der Delmore Brothers oder Louvin Brothers gern gesehene, gut bezahlte Acts waren. Die beiden harmonieren, Hank bringt dem 15-jährigen Eddie ein umfängliches Song-Repertoire bei, Eddie lässt das ,e‘ im Nachnamen fallen, und fortan machen die Cochran Brothers die Runde in Honk Tonks und bei Tanzveranstaltungen. Durchaus nicht ohne Resonanz. Der Rapport zwischen den falschen Brüdern ist infektiös, ihre Stimmen ergänzen sich kongenial. Ekko Records, ein Label mit Büros in L.A. und Nashville, nimmt das populäre Gespann unter Vertrag, Studiotermine werden anberaumt, und im Juli ’55 erscheint die erste Single der Cochran Brothers: „Two Blue Singing Stars“, ein Tribut an Jimmie Rodgers und Hank Williams. Weitere 45s folgen, die sich ordentlich verkaufen, stilistisch innerhalb der Demarkationslinien des Country & Western und Genre-konform instrumentiert mit Steel-Guitars oder Fiddles. Dann ein Schock: Eddie wird getroffen „by a holt of lightning“, wie er es später ausdrückt. Der Blitz hat einen Namen: Elvis Presley.

Eddies erster Eindruck von Elvis ist ein mittelbarer. Die Cochran Brothers werden für das „Big D Jamboree“ in Dallas verpflichtet, eine landesweit ausgestrahlte Show aus einer Hangardimensionierten, einige tausend Zuschauer fassenden Halle. Backstage gibt es nur ein Thema: den Auftritt eines Jungen aus Memphis, dessen rebellische Attitüde, konvulsive Bewegungen und elektrisierender Gesangsstil Tage zuvor eine ungekannte Hysterie ausgelöst haben. Ein paar Cops zeigen die Kratz- und Bisswunden, die sie davongetragen hatten beim Versuch, die außer Rand und Band geratene Meute weiblicher Fans in Zaum zu halten. Eine Stampede sei es gewesen, so der Sheriff: „Hell, all them gals they damn near scratched us to pieces tryin‘ to get to him“.

Hank zeigt sich skeptisch, doch Eddie schleppt ihn nach Memphis, nachdem er Elvis im Radio gehört und für sensationell befunden hat. Über einen Radiosender dort ergattern sie Tickets für einen Elvis-Gig, Eddie ist aufgeregt, Hank kommt nur mit „to see what that damned kid was doin‘ that was eatin‘ them damned gals‘ mind up“.

Danach wissen sie es. Oder sie ahnen es wenigstens. Hank ist „knocked out“, Eddie nicht mehr derselbe. Eddie Cochrans musikalische Transformation ist impulsiv, aber wohl nicht radikal genug. Sam Phillips von Sun Records in Memphis ist nicht beeindruckt, als die Cochran-Brüder bei ihm vorspielen. Elvis hat die Barrieren zwischen weißem Hillbilly und schwarzem Rhythm & Blues bereits zum Wanken gebracht und ist drauf und dran, sie vollends einzureißen, da klingt der zwar beschleunigte, aber immer noch züchtige Hillbilly-Bop der Cochrans wie von gestern. Nicht so an der Westküste freilich, wo man noch nicht so weit ist wie in Memphis. Die Single-Sides „FooPs Paradise“ und „Tired And Sleepy“ erregen Aufsehen durch wildere Attacken aus Gitarren und Stimmbändern, noch nicht Rockabilly, aber beinahe. Während sich selbst in der Wolle gefärbte Country-Sänger wie Porter Wagoner und George Jones auf dieses neue Ding namens Rockabilly einlassen, letzterer unter den Pseudonym Thumper Jones, erweist sich Hanks Verwurzelung in Trad-Spielweisen zunehmend als Bremse für die Entwicklung des inzwischen 17-jährigen Eddie. Time to move on.

Das Jahr 1956 sieht einen Eddie Cochran, der zielbewusst an einem eigenen Stil arbeitet, währenddessen aber zahlreiche Gelegenheiten nutzt. Geld zu verdienen und den musikalischen Horizont zu erweitern. Er produziert Demos für den Songwriter Jerry Capehart, singt Doowop, absolviert Auftritte. Bei denen Elvis Pate steht, sowohl in Bezug auf passioniertes Singen als auch in Sachen Körpersprache. Eddies jahrelang gepflegtes, einst bei Lefty Frizzell abgeschautes, rhythmisches Zucken der Schulter hat sich ausgeweitet bis in die Zehenspitzen: Eddie Cochran zittert, bebt, windet sich. Im September erscheint „Skinny Jim“, seine erste Solo-Scheibe. Ein R & B-grundiertes, fetzig performiertes Stück Teenage-Frust: „I went to a party and met Skinny Jim/ My baby came with me but she left with him.“ Noch fehlt das gewisse Etwas, die Riff-Magie, der satte Sound, Souveränität und Coolness späterer Hits, doch es ist schon angelegt, muss bloß perfektioniert werden.

Wenige Monate und einige Demos für Crest später ist es so weit. Fast

gleichzeitig öffnen sich zwei Karriere-Tore sperrangelweit: Eddie wird wegen seiner Bühnenpräsenz für den Musikstreifen „The Girl Can’t Help 1t“ engagiert, und er erhält einen lukrativen Vertrag bei Liberty Records. Gleich seine erste Single, die Doowop-informierte Ballade „Sittin‘ In The Balcony“, wird ein Hit, doch ist es seine zweite, „Twenty Flight Rock“, die ihn zum hellsten Stern am Rock’n’Roll-Himmel der Westcoast macht. Mit einem ureigenen Sound, den Eddie seiner umgebauten, halbakustischen, mit einem Bigsby-Tremolo-Arm aufgerüsteten Gretsch verdankt. Und natürlich seinem sparsamen, rohen, Riff-betonten Spiel, das funky ist wie das von Bo Diddley, aber immer auf den Punkt, sich nie in Jams verlierend. Und weitaus variabler und eleganter als Diddleys rhythmische Monomanie. Wichtiger noch: Eddie hat sich von Elvis emanzipiert, nicht nur aufgrund seiner Saitenkünste, sondern auch als Vokalist und in der Art seines Vortrags. Die Manierismen sind nun seine eigenen, passend zu seinen Songs. Die drehen sich zwar auch nur um Teen-Angst, immerhin ist Eddie noch keine 20, als „Summertime Blues“ den Kids 1956 einheizt. Doch sind Cochrans Botschaften die eines Highschool-Dropouts an Highschool-Studenten: ironisch gebrochen, die Obrigkeit wie eigene Unzulänglichkeiten verspottend. Militant und missgelaunt nur im drohenden Grammeln der Gitarre. Deren Blues-geladene, Rock-antizipierende Riffs ganzen Generationen von Musikern als Blueprint dienen sollten. Für lautere und brachialere Versionen, bessere bestimmt nicht.

Leider weitgehend unbeachtet blieb indes Cochrans Arbeit als Session-Musiker, Arranger und Produzent. Wohl weil sie nicht auf den ersten Blick kompatibel zu sein scheint mit seiner weißgetünchten Herkunft und dem Hillbilly-Deluxe-Twang des auratischen Performers. Eddies Wortwitz nämlich und seine Vorliebe für Slang und verstellte Stimmen waren einer Tradition geschuldet, in der vornehmlich schwarze Gesangsgruppen zu Hause waren wie die Midnighters oder die Coasters. Cochran arrangiert etliche solcher Mini-Dramen im Ghetto-Jive jener Tage, entlockt seiner Gitarre bei R&fB-Sessions wunderbar raue Akzente, produziert für Crest, Vik und Dot. Er begleitet Ray Stanley, Jewel Akens und die Kelly Four, spielt mit schwarzen Soul- und Jazz-Musikern wie Pias Johnson und Earl Palmer. Wer Spurensuche betreibt, findet einige dieser „Race“-Elemente auch in Eddies eigener Musik. Im R&B-Swing von „Pink Peg Slacks“ etwa, in Blues-Standards wie Ivory Joe Hunters „I Almost Lost My Mind“, Eddie Daniels‘ „Little Lou“ oder Ray Charles‘ „Hallelujah I Love Her So“.

Eddie Cochrans wunder Punkt sind Balladen. Das Halten und Modulieren von Tönen will ihm nicht gut gelingen. Er ist sich dieser Schwäche wohl bewusst, Liberty nicht. So missrät Eddies erste LP titels „Singin‘ To My Baby“ über weite Strecken. Vielseitigkeitsbeweise in Form dubioser Evergreens, an denen sich der Sänger sinnlos abmüht und dann doch scheitert, während hinter ihm die Johnny Mann Singers schmachten. Taktile Klänge für saturierte Städter, Eddie auf Eis. Zum Glück nahezu unverkäuflich.

Am Ende steht ein überschaubarer musikalischer Output. Das Vermächtnis des Eddie Cochran umfasst ein paar Exploitation-Filme wie „Untamed Youth“, eine Reihe hörenswerter Platten, aber nur eine Handvoll Klassiker. Müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, zu welchen musikalischen Höhenflügen er noch angesetzt hätte, wäre er nicht so früh gestorben. Unsagbar traurig ohnehin.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates