Eher Speer als Spector

WENN MAN BEdenkt, dass Grant Hart mit Hüsker Dü den „Land Speed Record“ für sich reklamierte, überrascht seine Bedacht am Telefon. Er denkt hörbar nach, setzt die Worte sehr sorgfältig -auch jene, mit denen er sanfte Versuche umlenkt, beim Gespräch über sein neues Soloalbum „The Argument“ nebenbei auch Hüsker Dü einzuflechten. Andererseits liegt die Trennung der wohl einflussreichsten Band des US-Hardcore 26 Jahre zurück.

Der einst barfüßige, singende Drummer, schon in seinen Hüsker-Dü-Songs ein auffälliger Melodiker, produziert heute als Multiinstrumentalist an Gitarre und Keyboard. „The Argument“ ist, die beiden schönen Alben mit den kurzlebigen Nova Mob mitgerechnet, Harts siebtes seit 1988 -und zweifellos sein ehrgeizigstes. Denn diesmal nimmt er sich nichts Geringeres als John Miltons monumentales Versepos „Paradise Lost“ von 1667 vor, in dem es anhand der Schöpfungsgeschichte um alles geht: ums Ringen von Gut und Böse, um Gott, Mensch und Luzifer, Kirche, Politik und Macht. Harts Anstoß war eine unveröffentlichte Variation von William S. Burroughs, die Hart, der mit dem Schriftsteller gut bekannt war, lesen durfte.

„In Bills Entwurf sind die gefallenen Engel Raumreisende, nicht unbedingt Außerirdische, das bleibt offen. Das hat mich insofern beeinflusst, als ich praktisch die gesamte Religion aus ‚Paradise Lost‘ streiche und mich auf die menschlichen Beziehungen konzentriere. Milton stand aufseiten Galileos und zwischen den Zeilen ging es um den Streit zwischen empirischer Wissenschaft und Religion.“

Zu den zentralen Themen Miltons gehörte auch die Idolatrie, und man könnte meinen, Hart hätte damit eine gewisse Erfahrung. „Gerade hat mir jemand nicht unschlüssig Parallelen zwischen meiner Biografie und der Geschichte Luzifers erklärt. Ich meine dazu, wer eine Helden-oder Antiheldengeschichte erzählt, identifiziert sich zumindest stark damit. Wie bei Siegel und Shuster: Superman stand natürlich für sie selbst, für Immigranten, Fremde, Neuankömmlinge, die sich in dieser neuen Welt behaupten konnten. Schwach, von außen betrachtet, aber mit großer verborgener Kraft.“

So ähnlich vielleicht wie auch Harts letztes Album, „Hot Wax“, dessen gewohnt hübschen Songs man vor vier Jahren eine gewisse Unterproduktion vorwarf. Über einen Mangel an inspirierten Arrangements und einer eindrucksvoll abwechslungsreichen und originellen Fülle in Struktur und Farbe der Titel muss man sich wiederum auf „The Argument“ nicht beklagen.

Interessanterweise widerspricht Hart nicht, wenn man sich gelegentlich – etwa im Titelsong -an Andrew Lloyd Webbers „Jesus Christ Superstar“ erinnert fühlt, sondern schwärmt singend von dessen Ouvertüre. Die musikalischarchitektonische Arbeit im Studio wiederum erklärt er ohne Weiteres zu „eher Albert Speer als Phil Spector, wobei Speer bei der Reichskanzlei mit den seiner Meinung nach aufwendigsten Sachen -den Teppichen -begann, ich jedoch die Songs und die Versstruktur fertig hatte, aber erst ganz zum Schluss die Texte beendete und wie bei Karaoke zur produzierten Musik sang“.

Harts Sorgfalt und Leidenschaft kann man hören. Ebenso spürt man im Gespräch auch den Stolz auf das Album -das er gleichsam auf den Trümmern seiner Existenz baute. 2010 musste Hart seinen pflegebedürftigen Vater aus den Händen einer Betrügerin klagen, im Jahr darauf brannte sein Haus in St. Paul aus, das seit 1919 im Familienbesitz war, und kurz darauf starb seine Mutter: „Ich hatte eine interessante Zeit im Leben“, sagt er vorsichtig. „Aber diese Turbulenzen haben sicher dazu geführt, dass das Album so gelungen ist -als hätte ich die alte Existenz gegen eine neue ausgetauscht. Das Museum ist verbrannt, der alte Grant Hart hat aufgehört, zu existieren.“

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