Ein langer Weg

Edwyn Collins und Partnerin Grace Maxwell sprechen über die Aufnahmen zu „Losing Sleep“ und ein Leben nach dem Schlaganfall.

Wo sind die maßgeschneiderten Nadelstreifenjacketts? Wo ist die Elvistolle? Wo ist der Mann, der einst so triumphal „A Girl Like You“ knödelte? Fort! Ein anderer Edwyn Collins sitzt in der klimatisierten Anonymität eines Berliner Hotelzimmers, das karge Haar notdürftig in die Stirn gekämmt, an seiner Seite Lebensgefährtin Grace Maxwell. Die beiden sind seit 26 Jahren ein Paar. Sie half ihm 2005, als Collins zwei Schlaganfälle infolge eines Hirn-Aneurysmas erlitt. Collins musste ganz von vorn beginnen, Laufen und Sprechen neu lernen. „Sogar das Lachen“, ergänzt er.

Jetzt hat er mithilfe vieler Freunde zwölf neue Stücke geschrieben, eingespielt und veröffentlicht. Das Ergebnis heißt „Losing Sleep“. Im Titelsong beschreibt er seine Gefühle unmittelbar nach dem Schicksalsschlag. „Es geht darum, was es bedeutet, ständig von Angst erfüllt zu sein, und damit umzugehen“, erklärt Collins und stimmt sogleich den Refrain an: „I’m losing sleep/ I’m losing dignity/ Everything I owe is right in front of me/ And it’s getting me down.“ Wieder hochgeholfen haben ihm alte Freunde wie Roddy Frame, aber auch viele jüngere Künstler. Alex Kapranos von Franz Ferdinand, Romeo Stodart von The Magic Numbers und Ryan Jarman von The Cribs, um nur ein paar zu nennen. „Was für ein Glücksfall, mit so vielen talentierten Musikern zusammen zu arbeiten.“ Gegen Ende der Aufnahmen sei er erschöpft gewesen, so Collins, doch die Ideen seiner Kollegen hätten ihn auf Trab gehalten.

„Losing Sleep“ ist nun seine erste Platte seit der langwierigen Rekonvaleszenz. Das Album ist Vergangenheitsbewältigung und optimistische Perspektive. Zugleich markiert es aber auch die Reduktion aufs Wesentliche. „Ich bevorzuge jetzt einfache, schnelle Songs“, sagt Collins und schiebt mit milder Ironie nach: „Ich mag es halt simpel und rückwärtsgewandt.“ Grace korrigiert ihn: „Es soll eben sehr direkt sein. Spontaneität und Momentaufnahmen prägen das Album.“ Erste Songskizzen nahm Collins mit einem Stimmenrekorder auf, später lud er Freunde ein, die ihm die Gitarrensaiten im gewünschten Rhythmus zupften, während er mit seiner funktionsfähigen linken Hand die passenden Akkorde dazu griff. Bei seinen Gesangsübungen unterstützte ihn vor allem Grace. Immer wieder fällt auf, wie unersetzlich sie an der Seite von Edwyn Collins geworden ist.

Schon in den 80er-Jahren übernahm Grace Maxwell die geschäftlichen Geschicke ihres Partners als dessen Managerin. Heute erzählt sie Anekdoten, wie sie die Musiker im Tourbus von einem Konzerttermin zum nächsten chauffierte, wirkt aufgeräumt und fröhlich. Ihre Erfahrungen nach dem Schlaganfall hat sie in dem bewegenden Buch „Falling And Laughing: The Restoration Of Edwyn Collins“ niedergeschrieben. „Es war hart, zu begreifen, dass sich mit der Krankheit viele Dinge in unserem Leben ändern würden.“ An Musikmachen war da nicht zu denken. Collins halbseitige Körperlähmung hatte zu einer starken Aphasie (Sprachstörung) geführt. Sein Starrsinn blieb dagegen intakt: „Meine Sprache war auf ‚Ja‘ und ‚Nein‘ beschränkt. Aber in meinem Kopf habe ich unablässig diese eine Zeile wiederholt: ‚Die Möglichkeiten sind grenzenlos.'“ Mit seiner Aussprache hadert er nach wie vor, bleibt mitten im Satz hängen, wiederholt Wörter so lange, bis er sie vollständig artikulieren kann, obgleich ihm das nicht immer gelingen will.

Es ist ein bisschen, als ob Edwyn Collins‘ Geist nur Fragmente von dem preisgibt, was ihn seit jeher auszeichnet. Sein schottischer Akzent, sein listiger Humor, seine unbestechlichen Analysen. „Ich fühle mich besser als vor zwei Jahren, aber ich habe immer noch einen langen Weg vor mir“, sagt er nach langer Pause. Die schwere Krankheit hat indes auch ihre positiven Nachwirkungen. „Seit meinem Schlaganfall fallen mir Entscheidungen leichter, ich zweifele weniger an mir selbst. Stattdessen sage ich einfach: C’mon, let’s do it“, verkündet er mit einnehmendem Lächeln.

Edwyn Collins geht mit seinen körperlichen Beschwerden nicht hausieren, er will kein Mitleid. Lieber spricht er über seine Musik oder fängt an zu singen: „A simple life, a simple choice that makes the world a better place for us to share.“ Grace schmunzelt. Es scheint, als hätten diese beiden Seelenverwandten zu einer Art spiritueller Simplizität gefunden. Denn wer noch einen langen Weg zu gehen hat, sollte Umwege vermeiden. Max Gösche

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