Vom Glück, am Leben zu sein

WENN EDWYN COLlins mit den Worten nicht mehr weiter weiß, fängt er zu singen an. Er singt „Sunday Morning“ von Velvet Underground und die (für die Band ungewöhnlich lebensbejahende) Zeile „There’s always someone around you who will call“. Er singt Jonathan Richmans „Hospital Song“ und die Zeile „Let me back into your life“. Und er singt sich selbst, „That’s me, that’s me all over “ von der neuen Single „Dilemma“. Dass Edwyn Collins nicht mehr weiterweiß mit den Worten, passiert öfter. Dann stockt er beim Reden und sieht aus, als suchte er nach einem Ton in seinem Kopf.

Edwyn Collins ist seit einem halben Menschenleben im Pop-Geschäft, irgendwie immer mit dabei und von den meisten Kritikern mit Wohlwollen begleitet – aber er hat selbst einmal gesagt, er hätte schon gern mehr Hits geschrieben. Zu einer Ausnahmeerscheinung in der Branche wurde er, so blöd das klingen mag, durch seine beiden Schlaganfälle im Jahr 2005. Die Überlegung, die Krankheitsgeschichte einfach auszusparen und mit ihm über was auch immer zu reden, erübrigt sich nach dem ersten flüchtigen Hören seiner neuen Platte „Understated“. Der Schotte möchte über sich und den Wert des Lebens sprechen. Das kann er haben.

Doch Edwyn Collins wiederzutreffen, ist eine ziemlich ernüchternde Sache. Irgendwie dachte man – eigentlich hatte man es sogar erwartet -, dass es ihm gesundheitlich besser ginge. Nach den Schlaganfällen hatte er von vorn anfangen müssen: Er musste lernen zu laufen, er musste seine Liedtexte wieder lernen, er musste seine gesamte Sprache aufs Neue lernen. Übernahm den harten schottischen Akzent seiner Frau Grace Maxwell mit – oder hatte er den, selbst in Schottland geboren, immer schon?

Vom Jahr 2006 aus betrachtet, machte sein Gesundheitsverlauf erstaunliche Fortschritte. Vom Jahr 2013 aus betrachtet, ist er stagnierend. Er läuft noch immer am Stock, hat noch immer Schwierigkeiten damit, aus der Jacke herauszukommen , und noch immer ist seine Motorik ruckelnd. Die rechte Hand ist ständig zu einer Faust geballt, er kann seinen Speichelfluss nicht immer kontrollieren, gelegentlich rutscht ihm seine Stimme weg, er wiederholt sich, und er hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Und weil das alles so ein Jammer ist und man weiß, was für ein arrogantes und schüchternes und schmales Kerlchen er zu seinen Orange-Juice-Zeiten war und wie sehr man ihm seinen Hit „A Girl Like You“ gönnte, möchte man ihn am liebsten in den Arm nehmen und so etwas wie „Alles wird schon gut, ganz sicher“ murmeln.

Worauf er gut verzichten kann. Denn Edwyn Collins braucht null Mitleid, ihm geht es prima. Seine neue Platte ist, in den Songs wie in den Texten, geradeheraus, einfach und vor allem existenzialistisch: „Understated“ ist eine einzige Hymne an das Leben, genau genommen: an sein Leben. „Vor meinen Schlaganfällen war ich nicht so optimistisch“, sagt er, „ich bin dankbarer geworden, ich bin voller Freude, dass ich mich wieder erholt habe.“ Zu seinem ersten Interview nach den Schlaganfällen schrieb der „Guardian“:“Das vielleicht Überraschendste ist der komplette Mangel an Ärger oder Frustration. Er spricht über seinen Schlaganfall mit pragmatischer Akzeptanz und über die Zukunft mit ungebrochenem Optimismus.“ Das hat sich nicht geändert. Ein Treffen mit ihm ist wie eine buddhistische Übung im Akzeptieren. „Wenn du begreifst, sind die Dinge so, wie sie sind. Begreifst du es nicht, sind die Dinge immer noch so, wie sie sind“, heißt es im Zen. Bei Collins klingt das wie folgt: „Ich will nicht an die Vergangenheit denken, ich will mit meinem Leben weitermachen.“ Bei seiner neuen Platte gehe es darum, wie es ist, reifer zu werden.

Und so ist es ein therapeutisches Werk geworden, für Collins und für den Zuhörer. Musikalisch liegt es irgendwo zwischen Johnny Cash und Richard Hawley: einsame, sehnsuchtsvolle, leicht verzweifelte Männer mit ihren Gitarren. Doch mit Zeilen wie „I am so lucky to be alive“ und „I got sunshine on a cloudy day“ liegt das Album irgendwo zwischen Brotherhood Of Man, Louis Armstrong und „Don’t Worry, Be Happy“.

Edwyn Collins weiß, was er verloren hat. „Ich war früher gut mit Worten. Ich war fast ein Intellektueller. Heute bin ich einfacher.“

COLLINS FÜR ANFÄNGER

Nach dem Ende von Orange Juice 1985 brachte der Stilist seine weithin gefeierten Soloalben heraus – und hatte 1995 seinen einzigen Hit

Das Solodebüt „Hope & Despair“ (1988), für das Collins nach Köln ausgewichen war und das er mit wenig Geld und wenigen Musikern als Katharsis und Innenschau anlegte. Musikalisch zurückgenommen, das Songwriting an Country Music geschult, tiefstimmig gesungen und – existenziell.

„Gorgeous George“ (1994) hätte beinahe keine Plattenfirma gefunden: Das Album oszilliert zwischen akustischen Balladen und aggressiver Fuzz-Gitarre; neben „A Girl Like You“ besticht die maliziöse und lustige Abrechnung „The Campaign For Real Rock“, ein Stück über den Wahnsinn von Rock-Festivals.

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