Ein schuldiger Mann

Nach 13 Jahren kehrte Billy Joel aus dem Unruhestand nach Deutschland zurück - und spielte den Rock'n'Roll populistisch und unwiderstehlich wie stets

Frankfurt, Festhalle: Es ist bereits eine Willensleistung, den Bau der nur durch ihre Kuppel überhaupt noch erkennbaren Frankfurter Festhalle zu erreichen. In gleißender Sonne latschen die Besucher über einen weiten Vorplatz, um in der Halle derselben Hitze ausgesetzt zu sein – kein Luftzug, nirgends. Die Preise bei den Schwarzmarktverkäufern fallen rapide: eine Karte für den Innenraum unter 50 Euro. Dort wird schon die erste La Ola mit zappelnden Händen angestoßen, und später – vor den Zugaben- irritiert das Gegröle vom „Finale, oh-oh-oh!“.

Freilich ist Grölen dem Künstler selbst nicht fremd. Um gegen die schiere Lautstärke seiner notorisch kompakten Band anzusingen, hat er sich ein Jahrmarktsbravado angewöhnt, das im Laufe des Konzerts gegen den auftrumpfenden Bombast obsiegt. Die klassizistischkitschige Donner-Einleitung, hernach „Angry Young Man“ und „My Life“ funktionieren überhaupt nicht, ehe „Honesty“ immerhin Joels Stimme durchscheinen lässt. Er heißt radebrechend in der „Schwitzhalle“ willkommen, in der 1993 ein Joel-Konzert gefilmt wurde – seitdem war er nicht mehr in Deutschland. Doch den Bau mit der dröhnenden Akustik schätzt Joel offenbar, durch die Mischung aus Fuß- und Tribünenvolk entsteht eine erstaunliche Euphorie. Zunächst navigiert der Songschreiber, immer mal wieder den Sitzort wechselnd, durch ein Pflichtprogramm mit „Zanzibar“, „Movin Out“, „Billy The Kid“, „The Entertainer“, „She’s Always A Woman“.

Doch bei der Einleitung von „An Innocent Man“ – ein paar Takte von „Stand By Me“ – ahnt man, dass es doch noch ein außerordentlicher Abend werden würde. Mit nach Rock’n’Roll-Art geschwungenem Mikrofonständer wirft Billy sich in diese Schnulze, lässt bei dem etwas dumpfen „I Go To Extremes“ die Band von der Leine, legt mit „Keeping The Faith“ noch einmal Sixties nach.

Und nun, beim „In the middle of the night…“ von „River Of Dreams“, springt das Publikum auf der Galerie hoch, als wüsste es, was kommen würde. Denn jetzt stellt Joel einen Gitarren-Roadie namens Chainsaw vor und greift zur Gitarre, derweil der junge Mann „Highway To Hell“ bellt. Da es kein Halten mehr gibt, wird „We Didn’t Start The Fire“ abgefeuert, Billy nutzt die Rampen an den Bühnenseiten, turnt ausgelassen umher, leert Wasserflaschen ins Publikum, albert gar mit einer schwarz-rotgoldenen Kappe: das verzögerte „Big Shot“, „Uptown Girl“ als reine Feier, „Its Still Rock’n’Roll To Me“, in diesem Moment unvermeidlich, dann das bierzeltselige „You May Be Right“. Fassungslos sieht man, wie eine nicht mehr ganz junge Frau zehn Minuten auf und ab hüpft, offenbar alles vergessend, was sich zwischen sie und die Lieder schieben könnte, die sie lauthals intoniert.

Es kommt noch toller, als Billy nach „Only The Good Die Young“ und der länglichen Inszenierung der „Scenes From An Italian Restaurant“ („A bottle of rot, a bottle of weiß“) zum letzten Mal zurückkommt und die Kadenzen von „Piano Man“ anschlägt. Das Publikum in der Festhalle singt von der ersten Zeile an mit, manchmal singt es ohne Joel, die ganze tragikomische Geschichte, den ganzen langen Song. Danach schüttelt Billy jede Hand, die ihm am Bühnenrand entgegengestreckt wird. Und als er unter Ovationen abgeht, zerstört sofort das Saallicht diese unwirkliche Hysterie.

Wir gehen dann in ein italienisches Restaurant, und der Kellner bedient eine Gruppe junger Mädchen, die Sangria bestellen. Ist klar, wir sind nicht cool.

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