Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Iss noch mehr Steine, Pocahontas

Unser Kolumnist wollte neue Lieder schreiben –  aber da kam ihm Klaus Kinki in die Quere. Und die beste deutschsprachige Band seit langem.

Folge 106

Ich möchte meinem Land ein Lied schenken. Ein Lied, das mein Land verdient. Den Titel hab ich schon: „Iss noch mehr Steine, Pocahontas“ will ich die Ode nennen. Den Song selbst gibt es noch nicht, aber Titel sind ja bekanntlich alles.

Entscheidend ist, dass ich in dem Lied zwei deutschsprachige Erfolgslieder, die ich absolut nicht kapiere, zu einem neuen Song zusammenzuklatschen gedenke.

Wichtig für die Realisierung des Liedes scheint mir, dass die folgenden Voraussetzungen erfüllt werden:

1. Handgemachtheit/Bodenständigkeit/Dingsbums.
Das Lied muss straßenmusikerprobt sein, und es muss auf vor altem Holz nur so knirschenden Instrumenten gespielt werden.
2. Sentimentalität/Nostalgie/Weinerlichkeit.
Das Lied muss kläglich irgendetwas Vergangenem hinterherjammern. Kein Problem, das kann ich.
3. Reibeisenstimme und/oder weinerliches Genöle.
Hier könnte es schwierig werden. Alles Klaus-Lage-hafte geht mir leider ab. Ich werde es mit Nölen versuchen.

Gewiss, bei der Realisation des Projekts steht mir meine zunehmende Jugend im Weg, aber das schaffe ich auch noch. Sie hören von mir, Pocahontas, äh, Deutschland!

***

Anderes Thema: ein Musikfilm. Und zugleich vielleicht das beknackteste Musiker-Biopic, das je gedreht wurde.

Gestern Abend habe ich vorm Zubettgehen versucht, den Klaus-Kinski-Film „Kinski Paganini“ zu schauen. In Deutschland ist dieses Kleinod (immerhin Kinskis einzige Regiearbeit!) leider nie erschienen, ich habe meine DVD vor Jahren in einer italienischen Grabbelkiste entdeckt.

Leider blieb es bislang beim Versuch einer Sichtung, da ich schon nach kurzer Zeit so laut lachen musste, dass meine Frau mich dringend bat, zum Tagesausklang doch bitte einer gesitteteren Tätigkeit als dem Konsum später Kinski-Filme nachzugehen.

Während der ersten zehn Minuten ist erwartungsgemäß nur der späte Kinski (mit schwarz gefärbter, schütterer Mähne) zu sehen, der – ebenso erwartungsgemäß – völlig irre auf einer Geige herumschraddelt, derweil sich zahllose Frauen im Auditorium vor sexueller Wallung geradezu winden und krümmen. Ganz klar: Klaus will uns Paganini als frühen Popstar von immensem Sex-Appeal präsentieren. Vor allem aber will er mal wieder sich selbst als Star von immensem Sex-Appeal präsentieren.

Kinski sieht übrigens überhaupt nicht aus wie Paganini, sondern variiert im Grunde seine diversen Vampir-Darstellungen. Der Moment, da ich endgültig zusammenbrach, kam konsequenterweise in jener Szene, in der eine weibliche Nebenfigur den enthemmten Geigerich ergriffen als „un vampiro del violino“ bezeichnete.

Irgendwann werde ich mich wieder gefangen haben, den Film zu Ende schauen und Sie über die Ergebnisse dieser Sichtung in Kenntnis setzen. Aber erst muss ich ja den Pocahontas-Song schreiben.

***

Das Gegenteil von „Friss Steine, Pocahontas“ sind übrigens Isolation Berlin.

Spät aber besser als nie möchte ich mich hier als Fan dieser besten deutschsprachigen Band seit langem zu erkennen geben. Diesen Gentlemen tut hörbar etwas weh, das mehr ist als die Abwesenheit des Vergangenen. Und dass ihnen der Schuh auch noch zu ausgesprochen eingängigen simplen Schrammelsongs, die bei allem Krakeele auf jede peinliche Härtevortäuschung verzichten, drückt, macht die Sache umso erfreulicher.

Einige ältliche Zausel meinen ja, Isolation Berlin klängen doch letztlich nur, als würden Wolf Maahn und Rio Reiser an einem depressiven Tag das Frühwerk von Die Ärzte singen, aber das sagt weniger etwas über Isolation Berlin, als vielmehr über diese ältlichen Zausel aus. Zwar finde ich das Album bislang noch nicht ganz so steil wie die tolle „Aquarium“-EP von 2014, aber das ändert nichts an der Überzeugung, Isolation Berlin könnte die Band einer wie auch immer zu benennenden Generation sein. Hoffentlich vergeigt die Generation das vor lauter Steineessen nicht!

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