Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Kreuzung des Lebens

Ein Besuch im Plattenladen zwischen Vinylreinigungsgerät, Glockenläuten und einer Platte von Dave Pegg mit dem Gesichtsausdruck von Didi Hallervorden

Folge 176

Als ich gestern auf der Suche nach einer Anregung für meine Kolumne durch die Stadt lief, war da erst mal wenig mit Popmusik. Erstaunlich eigentlich, ist sie doch angeblich so enervierend allgegenwärtig. Ich ging dorthin, wo Popmusik nun wirklich nie lange auf sich warten lässt: in den Plattenladen.

Hier war die Hölle los. Drei ältere Herren gruben stumm in irgendwelchen Fächern nach Ware. Der Besitzer des Geschäfts war mit der Reinigung alten Vinyls beschäftigt, wofür er ein höllisch lautes Gerät betätigte, das sich anhörte wie ein Hochdruck-Laubgebläse. Musik lief keine. Da haben wir’s: Auch  in Plattenläden läuft keine Musik mehr, man lauscht vielmehr dem Dröhnen von Vinylreinigungsmaschinen.

Auch ich vergrub mich, wenn auch ohne allzu großes Interesse. Binnen weniger Minuten fand ich zehn Platten, nach denen ich jahrelang vergeblich gefahndet hatte, die mich inzwischen aber nicht mehr interessierten. Das ist oft so in meinem Leben, ich habe mich damit ­abgefunden.

Alm-Abtrieb am Kölner Dom

Ich entdeckte aber auch Ulkiges: Im Country-Fach fand ich die mir bis dahin völlig unbekannte Platte „The Cocktail Cowboy Goes It Alone“ von Dave Pegg, auf dessen Hülle der mir unbekannte Künstler mit Didi-Hallervorden-Gesichtsausdruck und einer umhängenden grotesken Doppelhals-­Gitarre an einer Kneipentheke ein Bier trinkt. Von allen Covern, auf denen mit Didi-­Hallervorden-­Gesicht Bier getrunken wird, ist dies definitiv mein liebstes (Didi­Hallervorden-Platten eingeschlossen).  Das Album habe ich mir dennoch nicht gekauft, zu groß war die Angst vor Enttäuschung. Was sollte man hier auch erwarten? Country-Musiker neigen bekanntlich nicht zu sonischen Experimenten. Ganz gleich, wie verführerisch bizarr das ­Cover aussehen mag, die Musik bleibt eben Country.

Da betrat ein Mann das Geschäft. Ob denn ein paar für ihn interessante Sachen eingetroffen seien, fragte der weißhaarige Herr mit schneidender Stimme. Ja, kam zur Antwort, ein paar Aufnahmen mit Glockengeläut seien für ihn zurückgelegt worden, Sekunde bitte. Oh, wie schön, freute sich der Mann, ob er denn bitte mal reinhören könne. In der Folge begann es in dem kleinen Laden zu läuten, als wäre schon wieder Alm-­Abtrieb am Kölner Dom. Der Herr gab sich bald ungefragt, als hätte man es nicht geahnt, als Liebhaber jedwelchen Glockengeläuts, ja als ausgewiesener Fachmann der Materie zu erkennen und behauptete gar, alle europäischen Glocken am Klang erkennen zu können. Der Plattenladenbesitzer versuchte dem zunehmend ausufernden Monolog des Glocken-­Aficionados mit seiner Vinylreinigungsmaschine tapfer Paroli zu bieten, doch wann immer das Gerät verstummte, setzte es idiosynkratische Glocken-­Infos zum absurden, seit nunmehr 30 ­Minuten anhaltenden Vinyl-Läuten.

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Ich ergriff die Flucht. Wenn schon in Plattenläden keine Musik mehr lief, war ich hier wohl fehl am Platz. Wieder zu Hause machte ich mich sogleich daran, alles über Dave Pegg, den Cocktail-­Cowboy mit dem Didi-Hallervorden-Bier-­Cover, zu recherchieren. Pegg stellte sich als Mitglied von Fairport Convention und Jethro Tull heraus, der vor ein paar Jahren gar eine Autobiografie veröffentlichte, in der er unter anderem schonungslos über das Tragen mittelalterlicher Klamotten während der Spätsiebziger-Phase von Jethro Tull berichtet. Gepriesen wird er von Fans gemeinhin für sein hochmelodisches Bassspiel. „The Cocktail Cowboy Goes It Alone“ ist sein erstes Album, aufgenommen 1983 in Peggs Woodworm-­Studio in Barford St Michael, einem Dorf im Südosten Englands. Der Sohn des örtlichen Gemeindepfarrers spielt auf Peggs Platte Keyboards, auch sonst sind wohl überwiegend Musiker aus dem Dorf mit von der Partie. Die Hauptattraktion von Barford St Michael ist übrigens die St Michael’s Church mit ihrem normannischen Glockenturm.

Vermutlich hätte allein die Erwähnung der Kirche bei meinem Glockenfreund aus dem Plattenladen für glühende Ohren gesorgt. Es gibt viele Kreuzungen im Leben, an denen man falsch abbiegen kann: Werde ich auch Glocken-Connaisseur – oder womöglich doch nur später Dave-Pegg-Bewunderer? Noch bin ich ­unentschlossen.

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