Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Krise mit Vokuhila

Was die Glorreichen der Rockmusik mit 50 Jahren machten – und weshalb man auf seine Frisur acht­geben sollte

Folge 194

Kürzlich bin ich 50 geworden. Anders als erwartet, war es nicht besonders schlimm. Mir scheint das mit dem Alter schlicht nicht so dramatisch: Man sieht halt einfach immer mehr aus wie abstrakte Kunst, der Rest bleibt eigentlich gleich. Wo aber findet man Halt und Orientierung an jenen Tagen, da man die Sache nicht ganz so heiter sieht? Natürlich in den Biografien der Pop-Ikonen! Ich habe mal nachgeschaut, was die großen Alltime-­Heroen der ROLLING-­­STONE-Leser so in ihrem 50. Lebens­jahr getrieben haben.

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Beginnen wir mit Bob Dylan, der 1991 seinen 50. Geburtstag feierte. Zwar hatte Dylan seine desorientierte Achtziger-Phase da schon hinter sich, so richtig rund lief es aber dennoch nicht. Nachdem er 49-jährig die recht dürftige Platte „Under A Red Sky“ veröffentlicht hatte, gab es 1991 gar keine neue Musik. Überhaupt schrieb Dylan in jener Phase kaum Songs. Totaler Krisenmodus. Immerhin wurde ihm 1991 der Preis für sein Lebenswerk zugesprochen, was ich für mich auch gerade ganz okay fände. Paul McCartney konnte sich im Jahr seines 50. Geburtstags, 1992, ebenfalls über eine Auszeichnung (den Polar Music Prize) freuen. Ansonsten fiel er überwiegend mit einer bedenklichen Vokuhila-­Frisur auf und veröffentlichte – nichts. Bruce Spring­steen wiederum nutzte 1999 das Jahr seines 50. Geburtstags dazu, die E Street Band mal wieder zum Zwecke des Live-Spielens zusammenzuführen. Auch hier gab es keine Veröffentlichung.

Bowie feiert seinen 50. Geburtstag im Madison Square Garden, NYC

Schockschwerenot: Legt man obige prominente Beispiele zugrunde, scheint es, als ständen mit 50 alle Zeichen auf Krise und Ausgebranntheit, nur notdürftig kaschiert durch Rückbesinnungsmanöver, Verwaltung des Erreichten oder Annahme von Preisen. Lou Reed war 1992, als er sein sechstes Lebensjahrzehnt eröffnete, mit einem bösen Fall von Frisur geschlagen wie McCartney, veröffentlichte aber mit „Magic & Loss“ immerhin ein solides Album, auf dem er klang wie immer. Ganz anders David Bowie, der seine Fünfziger mit der Veröffentlichung der nicht unbedingt gut gealterten Platte „Earthling“ eröffnete. Haare waren auch hier ein Thema. Neil Young zeigte sich gegenüber Neuerungen auf dem Frisurenmarkt angenehm unaufgeschlossen, suchte im Jahr seiner Fünfzigwerdung aber ebenfalls den Austausch mit Jüngeren – und geriet dabei an Pearl Jam. Prince wiederum veröffentlichte 2008 ein Coffeetable-Buch mit beiliegender CD; er hatte es mal wieder mit der Musikindustrie. So richtig Hoffnung macht das alles jetzt nicht.

Die findet man eher bei weiblichen Popstars. Ein ausgesprochen umtriebiges Geburtstags­jahr verbrachte 2008 Madonna. Als Regisseurin veröffentlichte sie gleich zwei Filme, brachte das Album „Hard Candy“ heraus und ging auf „Sticky & Sweet“-Tour – die erfolgreichste Welttournee, die bis heute von einer Pop-Sängerin unternommen wurde. Eine denkbar gute Art, das Jahr des 50. Geburtstags zu verbringen, wie mir scheint. Auch wenig krisengebeutelt zeigte sich Björk: Sie brachte gleich zu Beginn ihres Jubeljahres das Album „Vulni­cura“ heraus, an dem sich – grundsätzliche Björk-Zugeneigtheit vorausgesetzt – nichts aussetzen lässt. Erst 2019 feierte PJ Harvey ihren 50. Geburtstag, wir sind also in etwa gleich alt. Die Künstlerin aus Somerset nutzte das Jahr ihrer Fünfzigwerdung, um Neuland zu betreten, und veröffentlichte den sehr guten Soundtrack zu dem Film „All About Eve“. Im Hinblick auf ihre Frisuren ist allen drei Frauen übrigens nicht das Geringste vorzuwerfen.

PJ Harvey

Meine zugegebenermaßen halbwegs zufälligen Ermittlungen in Sachen „Popstars mit 50“ lassen folgende Schlussfolgerungen zu: Frauen werden kreativer und inter­essanter 50. Bei Männern hingegen besteht die Gefahr der Trägheit, wenn nicht gar die Gefahr von Pearl Jam. Das Kramen in der Folk-und-Blues-Kiste kann zum Auffinden eines Wanderplans durch die hügelige Landschaft der späten Jahre führen, zumindest wenn man Bob Dylan heißt. Alle anderen sind gut beraten, eine E Street Band zur Hand zu haben, die man notfalls wiedervereinigen kann. Coffee­table-Bücher mit beigelegten CDs waren schon 2008 nicht die Zukunft. Preise annehmen ist okay, bringt aber wenig. Und vor allem sollte man mit 50 auf seine Frisur aufpassen.

KMazur WireImage
Pacific Press LightRocket via Getty Images
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