Es war ein gutes Jahr. Arcade Fire im Interview

Ihr Album "The Suburbs" verkauft sich noch immer wie geschnitten Brot und ist laut unserer fachkundigen Leserschaft das Album des Jahres. Gute Gründe, um noch mal bei Gitarrist und Keyboarder Richard Parry nachzufragen, wie denn die Band selbst ihr Jahr so fand.

Als hätten wir es geahnt, dass sich der Siegeszug von Arcade Fire auch in unserem Jahrespoll wiederfindet, nutzten wir die Gelegenheit, die Band – bzw. stellvertretend Gitarrist Richard Parry (2. v. l.) – vor dem Konzert in Düsseldorf im November noch einmal zum Interview zu bitten.

Ihr werdet heiß gehandelt in der Kategorie „Album des Jahres“, ich habe schon die erste Nennung als „Live-Act des Jahres“ gelesen und in unserem Leserpoll könntet ihr auch noch zur „Band des Jahres“ werden. Was denkst du, wenn du so etwas hörst?

Sehr, sehr, sehr viele Menschen scheinen diese Band nun zu mögen – daran müssen wir uns alle erst einmal gewöhnen. In Sachen Popularität hat das alles inzwischen schon verrückte Ausmaße angenommen. Allein unsere zwei Shows im Madison Square Garden – wir hätten nie erwartet, dass wir so was mal bringen können. Aber ich versuche nicht, über dieses Zeug nachzudenken. Wir haben darüber keine Kontrolle mehr, wer uns wo und wie und weshalb gut findet. Es verdreht einem nur das Hirn, wenn man das noch begreifen und beeinflussen will. Wichtig ist für mich: Wir sind in diesem Jahr eine bessere Band geworden – im Studio und auf der Bühne. Die Weltherrschaft zu erlangen, steht bei keinem von uns auf der To-Do-Liste.

Ich sah euch auf dem Reading-Festival in diesem Jahr und war wieder einmal davon berührt, dass ihr auf der Bühne – egal wie groß die sein mag – wirklich wie eine Band-Band wirkt und nicht wie ein paar Auftragsmucker plus Frontmann. Und dass ihr auch so ein schwieriges Rock-Publikum rumkriegt, das einen Abend vor euch Guns N‘ Roses und einen später Blink 182 ertragen musste. Wie erlebst du eure Live-Auftritte?

Schön, dass das auch unten im Publikum so ankommt, wie du es beschreibst. Für uns ist das vielleicht der größte Triumph: Diese riesigen Shows zu spielen und es trotzdem zu schaffen, dass sich weder das Publikum noch die Band fehl am Platze fühlt.

Mich hat gewundert und erfreut, dass ihr trotz dieser Ausmaße eigene Wege gegangen seid, wenn es um die Vermarktung geht. In Deutschland seid ihr weiterhin bei City Slang und sonst habt ihr euer eigenes Label und nutzt nur den Vertrieb eines Majorlabels. Wächst euch das alles – rein organisatorisch – nicht über den Kopf?

Nicht wirklich. Wir bekommen das ganz gut hin und arbeiten größtenteils immer noch mit der Mannschaft, mit der wir damals begonnen haben – was sich nach wie vor sehr gut anfühlt. Bei größerem Erfolg sogar noch besser, weil man das als Teamleistung sehen kann. Und es ist ein Statement: Gerade in dieser Zeit, wo die alten Labelstrukturen bröckeln und es kaum noch Relevanz für Majorlabels gibt, muss es Leute geben, die sich Gedanken machen, wie man es anders machen könnte. Und es hält den Antrieb am Leben – nämlich die Musik.

Interessant das mal von einer Band in eurer Größenordnung zu hören. Ich habe schon oft Kommentare gehört nach dem Motto: „Es wurde einfach zu groß. Wir brauchten das abgewichste Management und den Majordeal einfach.“

Und das stimmt einfach nicht. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube – mehr nicht. Es ist doch so: Wenn du – wie wir nun glücklicherweise – in der Position bist, dass du mehr Platten verkaufst und ein größeres Publikum erreicht – dann sollte es doch auch so sein, dass du mehr Macht hast, oder nicht? Also hat man auch die Wahl ein kleineres System zu wählen.

Bei der Berichterstattung über euch und „The Suburbs“ fiel mir immer wieder auf, dass sich die Texte oft nur auf Win und Régine konzentrieren. Oder dass der Rest der Band vom Bandfoto geschnitten wurde – das gab’s auch schon. Das ärgert ja mich als Hörer schon, weil ich euch immer – gerade live – als Band-Band, also als lebendiges Kollektiv, begriffen habe. Wie ist es für dich?

Ich müsste lügen, wenn ich sage, das beschäftigt mich nicht. Manchmal ist frustrierend. Aber es ist auch interessant zu beobachten, wie sich die Tendenz durchsetzt, dass man das Konzept Band heutzutage immer so simpel wie möglich erklären will. Meist wird es dann runtergebrochen auf „einen Typen und SEINE Band“ – oder bei uns eben auf „zwei Hauptsänger und IHRE Band“. Und das stimmt eben in den meisten Fällen nicht. Bei uns auch nicht. Aber das ist meine interne Perspektive – aus Sicht der Musikjournalisten – und ich glaube, es ist ihre Sicht und nicht die der Fans – scheint es eben so zu sein, dass man diesen Blick auf eine Band als kleinsten gemeinsamen Nenner etabliert hat, oder als Schema, in dass man dann jede Band pressen muss, damit es pointierter wird. Als wir unser Debüt rausbrachten, war das komischerweise noch nicht so.

Bringt es dich um den Schlaf?

So schlimm auch nicht. Da gibt es wichtigere Schlachten zu schlagen. Sich darüber aufzuregen ist letztendlich Zeitverschwendung.

Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, nicht immer im Mittelpunkt und damit schnell auch in der Schusslinie zu stehen…

Da hast du Recht. Oft ist es angenehmer, sich auch mal hinter den Sängern verstecken zu können. Win und Régine wird es zuerst erwischen, wenn die Medien plötzlich so ein seltsames Celebrity-Interesse an uns entwickeln sollten.

Arcade Fire könnten bei unseren Redaktionscharts die Platte des Jahres werden. Ich glaube, gerade ist es ein unentschieden werden.

Wow. Mit wem?

Sufjan Stevens. „The Age Of Adz“.

Wenn die so gut ist, wie mir alle sagen, ehrt uns dass…

Worauf ich eigentlich hinaus wollte: Was ist deine Platte des Jahres?

Ich höre mich in den letzten Jahren eher in die Vergangenheit hinein. Das wird also schwierig. Wir könnten uns auf einen Re-Release einigen: Neil Youngs „Sugar Mountain – Live At Canterbury House“ kam bei uns in diesem Jahr noch einmal raus. Ich liebe das. Es ist der Wahnsinn! Dann gibt es noch Salem, die ich sehr mag. Das ist wohl das einzige New-New-Thing, das ich mir in diesem Jahr gekauft habe.

(Plötzliches, lautes Klatschen)

Ha! Das Album von Caribou kam auch noch! Wie konnt ich das vergessen? „Swim ist wirklich gut. Und es freut mich, dass Dan damit endlich auch ein größeres Publikum erreicht.

Nach all den Konzerten zu „Neon Bible“ habt ihr auf mich bei den letzten Festivalgigs geradezu erschöpft gewirkt. Ich kann mich an einen Abend auf dem Reading vor ein paar Jahren erinnern, bei dem ich kurz dachte: Jetzt haben sie’s verloren, dieses gewisse Etwas! Irgendwie war dieses Bandgefühl nicht mehr so sichtbar. In diesem Jahr schien es nun aber, als hättet ihr alles sehr behutsam aufgebaut, damit das nicht wieder passiert. War dem so?

Nun ja. Ich selbst habe nie wirklich aufgehört Musik zu machen. Ich habe an zwei anderen Alben mitgewirkt – z. B. an dem Album von Little Scream, das wirklich toll geworden ist. Außerdem hab ich noch an einer Compilation gearbeitet, bei Freunden ausgeholfen, z. B. bei The National auf ihrem „Vanderlyle“-Song. Mein musikalisches Schaffen umfasste schon immer mehrals Arcade Fire, deshalb war es schön, wieder an anderen Dingen zu arbeiten. Das Touren zu „Neon Bible“ war wirklich zermürbend. Diesmal gehen wir alles strukturierter an – gönnen uns mehr Pausen auf Tour, übernehmen uns nicht mit Promotionverpflichtungen – undsoweiter. Wir haben uns im Vorfeld viele Gedanken um das richtige Timing gemacht – und wundersamerweise ging alles auf.

Also alles in allem ein gutes Jahr?

Ein sehr gutes.

Das Interview führte Daniel Koch

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