File under future

Lange verschoben, jetzt doch endlich da: Die Branchenplattform Phonoline soll die digitale Musikdistribution in Deutschland revolutionieren. Technische Mankos, hohe Betriebskosten und die Konkurrenz aus dem Ausland werden es dem hiesigen Online- Musikmarkt zunächst allerdings nicht gerade leicht machen.

Es sollte das entscheidende Signal für den Beginn einer neuen Ära der digitalen Musikdistribution in Deutschland werden. Mit entsprechender Spannung war nun die mehrfach verschobene, aufwändig inszenierte Eröffnung der Branchenplattform Phonoline auf der CeBIT erwartet worden. Würde der erste Download tatsächlich klappen? Drückt Gerhard Schröder auch wirklich die richtige Taste? Dazu kam es bekanntermaßen nicht, denn aufgrund eines so überraschenden wie unsinnigen Störmanövers der GEMA durfte der Kanzler den PR-Aktivitäten des Phonoverbands lediglich in lächelnder Untätigkeit beiwohnen. Zum Ausgleich wurde dafür erschöpfend über Doris Schröder-Köpfs Projekt „Die Nummer gegen den Kummer“ berichtet. Ob die Musikindustrie da wohl auch schon mal angerufen hat?

Aber, oh Wunder, irgendwann wummerte dann doch ein harmloses Liedchen einer freilich austauschbaren, zur Eröffnung jedoch immerhin anwesenden Blondinen aus den Boxen. Ob der Song nun de facto runtergeladen wurde oder bereits vorher auf dem Rechner vorlag, vermochte allerdings niemand der zahlreich anwesenden Journalisten zu beurteilen. Die etwaige Vorsichtsmaßnahme wäre anhand des beschwerlichen Wegs bis zum Start durchaus verständlich gewesen.

Begleitet von immer neuen technischen Pannen, viel Spott in der Presse und Konkurrenten wie den Briten von OD2, die ihre Hausaufgaben zunächst besser und vor allem auch früher gemacht hatten, war der Erfolgsdruck zuletzt massiv angewachsen.

Die Tatsache, dass in den USA durchschnittlich rund zwei Millionen Songs pro Woche bei mit dem klassisehen Tonträgermarkt vergleichbaren Margen verkauft werden, lässt das Marktsegment Online-Musik wichtiger erscheinen denn je. Was bei den freien Tauschbörsen 1999 begann, soll der gebeutelten Musikindustrie nun fünf Jahre später unter kontrollierter Führung wieder Auftrieb verschaffen. Ein erster Schritt dahin: die juristische Verfolgung von Tauschbörsennutzern (siehe Kasten). Der zweite, möglicherweise wichtigere Vorstoß: Phonoline.

Denn die nun doch noch funktionierende technische Plattform für den digitalen Musikvertrieb ermöglicht die Einpflege von Songs inklusive Rechteverwaltung und anderer Leistungen. Jedes Label, egal ob Indie oder Major, könnte auf diese Weise sein Repertoire nach eigenem Gutdünken zur digitalen Verfügung stellen – ohne selbst in Technik und Wissen zu investieren.

Für die Händler bedeutet dies, dass sie im Idealfall eine potenziell sehr große Menge an Musik unterschiedlichster Couleur von nur einem einzigen virtuellen Großhändler abrufen können. Das Dumme an der Sache ist nur, dass die Rechte an den jeweiligen Stücken mit jedem Label selbst geklärt werden müssen – was einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand für den Händler darstellt. Nach eigenen Angaben stellt Phonoline hierfür aber einen speziellen Ansprechpartner bereit Und auch sonst sollen die Markteintrittsschranken für Shop-Anbieter laut dem deutschen Sony Music-Chef Balthasar Schramm so niedrig wie möglich gehalten werden. Jeder kann, jeder soll grundsätzlich mitmischen können. Ist Phonoline also tatsächlich der Schlüssel für die blühende Zukunft des Online-Musikmarkts?

Janko Röttgers, der die Entwicklung als Fachautor seit Jahren beobachtet und seine Erkenntnisse in dem lesenswerten Buch „Mix, Burn & R.I.P“ zusammengefaßt hat, gibt sich skeptisch. „Ich bezweifle, dass Phonoline in der näheren Zukunft eine große Rolle spielen wird. Das Angebot setzt auf eine extrem komplizierte Technologie und ist damit meilenweit vom Komfort des Apple-Music-Shops entfernt, kritisiert Röttgers. „Zudem sind die Betriebskosten so hoch, dass die Phonoline-Plattformen als teure Zuschussgeschäfte angesehen werden müssen.“

Dessen ungeachtet gibt es mit dem unlängst renovierten Popfile und Eventim Music immerhin schon zwei Shops, die die neue Technik nutzen. Daneben existieren in Deutschland noch weitere Angebote, unter anderen vom Media Markt, T-Online und dem Musiksender MTV. Grundsätzlich also genügend Auswahl an digitalen Plattenläden, sollte man meinen. Doch die entscheidende Frage lautet: In welchem Umfang und wie einfach kann man denn nun seine Songs im Internet einkaufen?

Grundsätzlich muss der Kunde ausreichend Geduld mitbringen, wenn er die gewünschten Lieder finden möchte – so es diese denn überhaupt schon bei den Portalen gibt. Die Suche nach Musik von den White Stripes oder Coldplay führte weder bei Eventim Music noch Popfile zum Erfolg – dafür wird man bei letzterem an prominenter Stelle auf Songs eines gewissen Brolle Jr. oder der Band Etwas hingewiesen. Möglicherweise nicht unbedingt das, wonach man begierig Ausschau gehalten hat.

Weitere Stichproben hinterlassen am Ende einen ziemlich gemischten Eindruck – zwar gibt es fast den kompletten Katalog von Steely Dan, aber keinen Song von Townes Van Zandt, nichts von Will Oldham und nur sehr wenig von Elvis Costello. Die Rolling Stones sind immerhin in Auszügen beim Anbieter Musicload erhältlich. Noch ist es also mangels eines entsprechenden Angebots nicht möglich, seine Einkäufe bei Bedarf komplett auf die Download-Plattformen umzulagern – jedoch soll der Anfangsbestand von 250000 Songs sukzessiv und umfangreich aufgestockt werden. Ein wesentliches Kriterium, um den freien Tauschbörsen auf Dauer halbwegs Paroli bieten zu können.

Doch es gibt noch andere Baustellen. Verbessert werden müssen insbesondere die Zusatzdienste der meisten Portalseiten, die es aktuell am deutschen Markt gibt. Negativ fällt da vor allem auf, dass die Angebote über das nackte Anpreisen von Downloads hinaus nur wenig brauchbare Informationen über die Künstler anbieten. Travis werden mit dem äußerst erhellenden Kommentar „Große Gefühle, Bewusstsein, wunderbare Melodien und die schöne Stimme von Fran Healy“ zusammengefasst, The Darkness haben angeblich „das beste Rockalbum unserer Zeit“ gemacht – redaktionell betreute Inhalte vermisst der nicht ganz auf den Kopf gefallene Musikfreund hier schmerzlich. Exklusives Material gibt es aber immerhin schon: Wer das neue Album von Prince haben wollte, konnte es rund zwei Wochen vor der Verfügbarkeit des physischen Tonträgers als Download bei Musicload erwerben – für stolze 16,95 Euro allerdings.

Überhaupt lassen sich preislich durch den Kauf von Downloads gegenüber einem physischen Tonträger bislang kaum größere Vorteile erzielen – „Geiz ist geil“ funktioniert hier nicht. Es sei denn, der Konsument hat es lediglich auf einzelne Songs abgesehen, die es losgelöst von einem Album nicht im traditionellen Handel zu kaufen gibt. Andernfalls dürfte es den meisten Kunden schwer fallen, zu verstehen, weshalb sie trotz des Verzichts auf einen Tonträger mit Cover und Booklet einen annähernd gleichen Preis bezahlen sollen – und manchmal sogar deutlich mehr.

Doch der Preiskampf zwischen den einzelnen Online-Händlern hat bereits begonnen. Während Popfile pro Song nun rund 1,49 Euro haben möchte, stieg Eventim Music pauschal mit 99 Cent für den Download eines Titels ein. Einen noch deutlicheren Vorstoß wagte die Kaufhauskette Karstadt, die neben Heizlüftern und Couchgarnituren ebenfalls Online-Musik im Sortiment hat und in einer ersten Sonderaktion die Preise auf bislang einmalige 50 Cent pro Stück drückte. Ein Trend, der mittlerweile auch in anderen Ländern zu beobachten ist. Doch wenn man den Informationen der Phonobranche trauen darf, rechnen sich derartige Niedrigpreise für den Anbieter nicht Zählt man die Abgaben an Plattenfirma, Künstler und GEMA sowie die Aufwendungen für die technische Infrastruktur zusammen, müsste ein Betrag von 139 Euro als gerade noch kostendeckend angenommen werden. Unter diesen Prämissen sind Angebote wie die von Eventim derzeit also stark subventioniert – und werden nach neuesten Studien von den meisten Nutzern noch immer als vergleichsweise zu teuer empfunden. Die Musikindustrie scheint diese Tatsache zu ignorieren: Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ diskutierten Vertreter der Branche kürzlich darüber, den Preis für den Download eines stark nachgefragten Stückes von derzeit 1,25 auf rund 2,49 Dollar anzuheben.

Noch einmal richtig aufgemischt werden dürfte der hiesige digitale Musikmarkt, sobald es die amerikanischen Download-Shops endlich nach Deutschland geschafft haben. Neben Napster 2.0, MusicMatch und Rhapsody wird vor allem die europäische Version von Apples iTunes Music Store mit Spannung erwartet Inwieweit dieser an seinen heimischen Siegeszug anknüpfen kann, ist indes noch längst nicht gesagt. „Apple genießt nicht zuletzt deshalb in den USA einen so großen Erfolg, weil die Firma ihren Kunden so viele Freiheiten bietet wie keine der großen Konkurrenzplattformen“, erklärt Janko Röttgers. Und sieht erste Probleme: „Songs können dort beliebig oft auf CD gebrannt und problemlos auf bis zu drei PCs abgespielt werden. Zu derartigen Zugeständnissen ist die Branche hier zu Lande offenbar noch nicht bereit“

Und noch ein weiteres, allerdings länderübergreifendes Problem muss dringend gelöst werden: Die Kompatibilität derzeit gängiger Digital-Rights-Management-Verfahren mit den mobilen Abspielgeräten. Apples iPod beispielsweise kann, was kopiergeschützte Formate betrifft, nur seine eigenen DRMgeschützten AAC-Files abspielen. Die meisten Download-Dienste nutzen aber das WMA-Format von Microsoft – und auf das versteht sich Apples Bestseller noch nicht. Wer seinen iPod also mit legaler Musik aus dem Internet füllen möchte, kann dies derzeit ausschließlich über den i-Tunes Music Store bewerkstelligen. Und auch die anderen am Markt erhältlichen Geräte beherrschen mal das eine, mal das andere zusätzliche Format – von einer Interoperabilität zwischen Geräten und Media-Software ist man aber noch weit entfernt Ein Manko, das jetzt schnellstens behoben werden muss, will sich die Musikindustrie bei ihren Bemühungen um einen wirklich attraktiven Online-Musikmarkt nicht wieder selbst ausbremsen.

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