Freaks wie Wir

Element Of Crime genießen ihre Einzigartigkeit

Seit 20 Jahren erzählen Element Of Crime von der Liebe und dem Leben in diesem Land – erst mit englischen, dann mit deutschen Texten, immer mit berauschender Musik. Inzwischen freuen sie sich über ihren Ausnahme-Status und die Distanz zu den gerade aktuellen Aufgeregtheiten. Diese Band hat noch einiges vor und mit „Mittelpunkt der Welt“ gerade wieder ein brillantes Album aufgenommen.

München, 25 Grad, die Sonne scheint. Sven Regener und Richard Pappik sitzen draußen im Hofbräukeller und reden, reden, reden. Der Sänger hat gerade das zweite große Bier bestellt, der Schlagzeuger lächelt darüber. Sofort hat man das Gefühl: Bei denen stimmt alles. Die ruhen in sich und sind doch nicht selbstgefällig. Vor allem aber haben sie endlich ein neues Album fertig, über das sie Auskunft geben wollen.

Element Of Crime können sich inzwischen den Luxus leisten, sich nicht beeilen zu müssen. Vier Jahre sind seit dem letzten Album vergangen. Im Sommer 2004 gingen sie auf eine kurze Tournee, „zum Warmmachen“, wie Regener es nennt. Und es passierte, was bei den Elements zum Glück immer noch regelmäßig passiert: „Da dachte man sich: Rock’n’Roll ist eben doch das Größte. Unser Lichtmann sagt immer, keine neuen Lieder, bevor die alten nicht aufgebraucht sind. Und wir dachten: Ein paar neue könnten jetzt aber auch nicht schaden.“

Also wieder ins Studio. „Mittelpunkt der Welt“ heißt das neue Album nun, dem Titel sollte man allerdings nicht zu viel Bedeutung zumessen. Bedenkt man, daß hier Neurosen, Klaustrophobien und Paranoia vorkommen, hätte die Platte auch „Psycho“ heißen können wie die von 1999. Bedenkt man, daß praktisch alle zehn Stücke Liebeslieder sind, wäre „Romantik“ auch eine Option gewesen, aber so hieß ja nun schon der Vorgänger. Element Of Crime nehmen zu neuen Aufnahmen immer viel Gepäck mit: große Erwartungen von den Fans, noch mehr von den Musikern selbst. Aber sie scheinen es Zu schaffen, sie vor der Tür zu parken. Laut Schlagzeuger Richard Pappik ist der Druck jedenfalls minimal im Vergleich zum Vergnügen: „Keine Angst, nur Spaß. Freude, daß es wieder losgeht.“ Wobei Regener durchaus anfängliche Zweifel zugibt: „Ich dachte eigentlich, es wäre schwieriger, dieses Schwungrad wieder anwerfen. Aber die Ideen kamen von allen Seiten. Es gibt natürlich schon Minuten dieser Angst: Mir fällt nie wieder was ein. Die kann man nur heilen, indem man ein Lied schreibt, dann vergeht das schnell. Diesmal gab es das komischerweise aber gar nicht. Das war ja die längste Pause, die wir je gemacht haben. Vielleicht waren deshalb alle heiß drauf.“

Genau das, so Pappik, sei das Tolle an dieser Band: „Die läßt sich an- und ausschalten. Solange sie wieder anspringt, ist das prima. Zwischendurch ist der Kontakt untereinander eher sporadisch. Wir wohnen alle ziemlich nahe zusammen, da läuft man sich schon mal übern Weg. Aber manchmal sehen wir uns auch lange Zeit gar nicht. Wir sind ja schon so viele Jahre zusammen, wir haben in so vielen Bussen gemeinsam gepennt, da macht das nichts aus.“ Regener trinkt einen Schluck Bier und zögert einen ganz kurzen Moment, aber dann wagt er es doch: „Ich sage es ja ungern, weil es so romantisch klingt, aber: Man liebt sich doch. Nach 15 Jahren hat man gemerkt, daß man die anderen gar nicht mehr verändern will. Die Leute denken immer, Streitereien wären so produktiv, aber die meisten sind das gar nicht, die fuhren oft nur zur Auflösung. Meistens hat es damit zu tun, daß man möchte, daß der andere so drauf ist wie man selber, alles so sieht wie man selber. Aber Jakob Ilja wird immer ein völlig anderer Freak sein als ich, und Richard Pappik auch. Irgendwann begreift man: Das ist auch genau richtig so. Dumm, daß man dafür so alt werden muß.“

Vier Freaks, die recht unterschiedlich sind – in der Kurzversion: Sven Regener, 1961 in Bremen geboren, Sänger, Texter, Trompeter – und nebenbei noch Bestseller-Autor („Herr Lehmann“, „Neue Vahr Süd“). Jakob Ilja, 1959 in Berlin geboren, Gitarrist, manchmal Mitglied beim experimentierfreudigen Musikanten-Kollektiv 17 Hippies, Theaterund Filmmusik-Schreiber („Narren“). Richard Pappik, 1955 in Holzminden geboren, Schlagzeuger, solo mit dem lustigen Projekt Bongogott unterwegs. David Young, 1949 in London geboren, Bassist, Gitarrist und Produzent – und Philosophie-Magister.

Im März 1985 wurden Element Of Crime gegründet; Regener und Ilja, der sich damals noch Jakob Friderichs nannte, waren von Anfang an dabei. Schon ein Jahr später, kurz nach der Veröffentlichung des Debüts ,ßasically Sad“ auf dem kleinen Label Ata Tak, kam Pappik dazu. Seit fast 20 Jahren steht also die Kernbesetzung der Band – eine Beständigkeit, die in dem Geschäft eher ungewöhnlich ist. Aber sie paßt zu diesen Männern: Was sie vereint, ist eine gewisse Sturköpfigkeit und die Weigerung, sich notfalls auch mal anzupassen. Muß ja nicht sein. Es ging immer so, untereinander kamen sie bei allen Streitigkeiten doch klar, und weitere Musiker kamen und gingen, ohne das Bandgefüge groß ins Wackeln zu bringen. An Instrumentalisten wurde nie gespart. Zuerst gab es noch einen festen Saxophonisten Jürgen Fabritius), in den 90er Jahren spielte Ekki Busch das Akkordeon und kam auch mit auf Tournee; Bläser, Streicher und Orgeln waren spätestens seit “ Weißes Papier“ immer recht prominent dabei.

Und dann ist da noch David Young, der als Toningenieur bereits 1987 bei den Aufnahmen zu „Try To Be Mensch“ in London dabei war. Produzent war zwar John Cale, aber wichtiger war vielleicht die Begegnung mit Young, der fortan alle Alben der Band produzierte. Seit 2002 ist er auch offiziell Bassist der Elements. Er übernahm den Posten von Christian Hartje, der sieben Jahre zuvor Gründungsmitglied Paul Lukas abgelöst hatte. Laut Pappik nahm Young die Besetzung selbst in die Hand: „David hat sich einfach einen Baß gekauft, als das Problem anstand.“ Und Regener ergänzt: „Krischan wollte nicht mehr, da kann man nichts machen. Dann sagte Dave: ‚I want the job‘. Niemand hatte ihn gefragt. Er hatte mir irgendwann mal erzählt, daß er so einen komischen Traum hatte, das war schon vor zehn Jahren: Ich war unheimlich fett, ich war schwarz, und ich spielte Baß. Hm, Dave, ja nun. Er hat auf den Job bestanden, und das war eine sehr, sehr glückliche Sache.“

Denn: Manchmal ist weniger eben doch mehr. Als Quartett klingen Element Of Crime ein bißchen knochiger, druckvoller. „Das Vierer-Ding steht den Elements gut“, findet Pappik. „Wir waren eine Zeitlang ja etwas opulenter, live mit sechs Leuten auf der Bühne. Das war auch schön, aber für mich ist es so lustvoller.“ Trotzdem steckt hinter der kleinen Besetzung kein Plan, das kam einfach so. Wie damals mit Ekki Busch: Er war halt da, einen anderen hätten sie fürs Akkordeon nicht gesucht. Wenn er in der Stadt ist, spielt er immer noch auf Elements-Alben mit. Wenn er nicht da ist, eben nicht. Natürlich hätten die Elements einen neuen Bassisten eingestellt, wäre Young nicht eingesprungen. Dann hätte er auf Tournee wieder Gitarre gespielt, wie all die Jahre zuvor.

Wenn Regener jetzt so darüber nachdenkt, dann wundert er sich über die erstaunliche Karriere seiner Band: „Vielleicht sind wir einfach vom Zufall Getriebene – mit glücklichen Momenten. So wie das bei uns gelaufen ist – ich war immer der Meinung, daß man keinem empfehlen kann, so einen Weg zu gehen. Da gehört auch viel Glück dazu. Vielleicht hätten wir das gar nicht so lange machen können, wenn es nicht plötzlich so einen Popularitätsschub gegeben hätte. Irgendwann kann man nicht mehr die PA selber schleppen und aufbauen, und irgendwann will man auch nicht mehr selbst so einen Kleinbus fahren.“

Es gab durchaus Zeiten, in denen das Ende der Elements erschreckend nahe war. 1991 war das, das erste deutschsprachige Album „Damals hinterm Mond“ war gerade erschienen – ein Werk, das Regener jetzt mal ganz unbescheiden und völlig korrekt als „wirklich gut und ungewöhnlich“ bezeichnet. Unter Kritikern war die Begeisterung groß, die Band erhoffte sich einiges. „Und dann passiert erst mal – nichts. Wir haben anfangs davon nicht mal 20 000 Platten verkauft.

Mittlerweile sind es 80- oder 90 000, aber in den entscheidenden ersten drei Monaten lief fast nichts. Da dachte ich, das geht nicht. Auf der Tournee waren teilweise weniger Leute als vorher. Das einzige Mal, daß wir sinkende Zuschauerzahlen hatten. Wir wußten nicht, warum. Nahmen die Leute das Deutsche nicht an? Hatten sie das Interesse verloren? Haben wir was nicht mitbekommen? Ausgezahlt hat sich alles erst mit ,Weißes Papier‘, die Platte ging durch die Decke. Aber vorher wußte ich nicht, wie lange ich das noch mache. Ich war 30, ich wollte nicht mehr im Heartbreak Hotel schlafen. In den 8oern haben wir uns ja auch ausgepowert, jedes Jahr eine Platte und eine Tournee gemacht.“

Inzwischen können Element Of Crime es ruhiger angehen aber vor allem können sie tun, was sie wollen. Sie haben längst alle Ängste hinter sich gelassen. „Anfangs haben wir uns immer Sorgen gemacht, ob wir uns selbst verraten und so“, gesteht Regener und stellt fest: „Alles Pipifax. Wir sind immer Element Of Crime. Für Single-B-Seiten haben wir jetzt ein paar Lieder gecovert, zum Beispiel ,Hamburg 75′ von Gottfried & Lonzo, da singt Andreas Dorau mit. Das ist schon ein bißchen Bummsmusik, aber das kann man alles machen, ohne daß wir Angst haben müssen, beim ,Blauen Bock‘ aufzuschlagen. Den es ja ohnehin nicht mehr gibt.“

Nach knapp 20 Jahren und elf Alben haben die Elements ein solides Repertoire, auf das sie notfalls zurückgreifen können, wenn sie sich über die Richtung eines neuen Stücks verständigen müssen. Da muß es manchmal lustig zugehen im Tritonus-Studio zu Berlin. Regener macht es jedenfalls umso mehr Spaß, je weniger Bedenken im Spiel sind. „Wir haben innerhalb der Band so sprachliche Krücken, weil man über Musik so schlecht reden kann. Zum Beispiel den Begriff Los Elementos. Dave sagt dann immer: I can’t smell the dirty blankets of Los Elementos. Die Jungs mit den schmutzigen Decken über der Schulter, die zusammen Gitarre spielen, ein paar Trompeten dazu, dieses leicht mexikanische Ding. Das stellt sich immer mal wieder ein, zumindest seit ’89. Aber man kann das natürlich nicht einfach wiederholen, das geht nicht.“ So kostet es doch jedes Mal viel Kraft, wenn vier Meinungen aufeinanderprallen und die Quintessenz gefunden werden muß. „Entspannt kann man das nicht nennen. Es ist schon ein Ringen um ästhetische Vorstellungen, aber diesmal ging es uns erstaunlich leicht von der Hand.“

Zehn Songs sind auf „Mittelpunkt der Welt“ zu finden, das muß reichen. Wenn zehn zusammengekommen sind, „dann ist sofort Schluß“, das war bei Element Of Crime meistens so. Das ist keine Faulheit, nein, nein, es liegt laut Regener an der musikalischen Sozialisation der Musiker: „Wir haben dieses Format

verinnerlicht: zehn Songs, Vinyl-Album-Länge.“

Und jetzt kommt einer dieser Vergleiche, die so typisch Regener sind — so irrwitzig einerseits und doch so nachvollziehbar. Wem fällt schon so was ein: „Ich trinke Tee immer aus Mugs, mit ’nem englischen Teebeutel drin, die bringt Dave mir immer mit. Und wenn ich so einen Becher angefangen und nicht ganz ausgetrunken habe, dann habe ich immer dieses Gefühl, der steht noch unausgetrunken rum. Wenn man mir jetzt ’nen größeren Becher gäbe, würde ich auch nur so viel trinken, wie ich gewohnt bin, und den Rest würde ich vergessen. Dasselbe hatte ich als Biertrinker mit Beck’s-Flaschen, als die 0,5er aufkamen. Ich habe in der Kneipe immer nur 0,3 getrunken und den Rest vergessen. Es gibt wohl so was wie ein anerzogenes Formbewußtsein. Und diese Band hat das Format für eine Langspielplatte verinnerlicht – als zehn Songs, 34 Minuten das Äußerste waren, was man machen konnte. Jetzt kommen bei uns zehn Songs ziemlich genau auf 40 Minuten raus.“ Und die sind eindrucksvoll genug.

So läuft das, wenn die Elements ein neues Album machen wollen: Sobald genügend musikalischer Stoff da ist, wird das Studio gebucht. Dann warten die anderen nur noch auf Regeners Lyrik. „Immer, wenn wir Zwei Texte hatten, dann haben wir das in vier Tagen aufgenommen. Dann mußte man das nicht alles im Kopf behalten, sondern konnte die neuen Stücke angehen. Das war sehr angenehm.“

Aber wenn drei Kollegen auf den fertigen Text warten — ist das nicht eher unangenehm? Es muß wohl so sein, anders geht es nicht. „Wenn ich keinen Druck habe… Das ist nicht wirklich Faulheit. Aber sich endgültig festzulegen, das zögert man gern hinaus. Das tut man auch zu Recht. Vielleicht wartet hinter der Idee, die man hat, noch eine bessere. Dann kommen so Zeilen wie ,Und das ist immer Delmenhorst‘, und man macht was daraus und freut sich, daß man Delmenhorst poesiefähig machen konnte. Das ist ja auch gar nicht so einfach.“

Delmenhorst, das Kaff bei Bremen, ist bekannt geworden durch Sarah Connor, aber – darauf besteht Regener – ROLLING STONE-Leser sollten auch wissen, daß die Dimple Minds dort wohnen. Genauer gesagt: in Huchting. Der Ortsteil taucht im Song auch auf: „Hinter Huchting liegt ein Graben, der ist weder breit noch tief/ Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann/ Sag Bescheid, wenn du mich liebst.“ Solche Texte schreibt kein anderer. Regener hat sie perfektioniert, die Kunst des großen Liebeslieds. Manchmal schlagen die Geschichten ins Bitter-Ironische um, oft ins Melancholische. Aber niemals sind sie kitschig, davor bewahrt sie Regeners Fähigkeit zur Distanz.

Er singt heute ja auch ganz anders als früher: Die Theatralik ist einer gewissen Beiläufigkeit gewichen, mit der er die Poesie seiner Sprache hin und wieder fast versteckt. Das klingt zunächst so lässig hingeworfen, aber dann hört man, was er da erzählt – und ist umso erstaunter. Deshalb gelingen Lieder, die „Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei“ oder „Richtig schön war’s nur mit dir“ heißen. Deswegen funktionieren solche Verse: „In die Straßenbahn des Todes, die heulend sich zum Stadtrand quält/ Werd ich mich klaustrophobisch zwängen/ Weil auch die kleine Geste zählt…“ Weiter geht das mit: „Wo die Neurosen wuchern, will ich Landschaftsgärtner sein/ Und dich will ich endlich wiedersehen“. Und so kann er auch beschreiben, warum jemand den Winter schätzen lernt, wenn er frisch verliebt ist („dann wird’s früher dunkel“) – eine neue Jahreszeit für Sven Regener, der so viel vom Herbst gesungen hat und vom Sommer in Berlin.

In der Band wird nicht viel über die Texte gesprochen, und das ist gut so, sagt Pappik: „Sonst könnten wir ja gleich einen Diskussionszirkel eröffnen. Nein, die sprechen für sich.“ Regener spricht allerdings schon gern über sie.

Hast du die Kollegen nie nach ihrer Meinung gefragt?

Früher bin ich immer reingekommen und habe gerufen: Hey, ich habe einen neuen Text, und dann mußten die sich den durchlesen. Aber was sollen die schon groß sagen? Höchstens was Negatives. Man will ja seine Kumpels auch nicht dazu drängen, daß sie sagen: Hast du gut gemacht, Sven!

Es war ja durchaus ein Wagnis, daß ihr 1991 beschlossen habt, nicht mehr englisch, sondern deutsch zu texten. War das innerhalb der Band umstritten?

Gar nicht. Das ging sofort, weil alle merkten, das ist möglich— – wir müssen uns deshalb nicht umbenennen, wir sind deshalb keine andere Band, wir müssen keine anderen Lieder machen deshalb.

Woher weiß man, was geht und was nicht?

1986 gab es Streit bei „Nervous & Blue“ – wegen der Zeile „I love you, I love you, I love you, I love you so.“ Da kam in der Band schon die Frage auf, ob das nicht etwas over the top ist. Bißchen zu schlageresk. Da war ich sauer und wollte das gar nicht mehr singen, aber dann haben sich alle beruhigt und gehofft, daß es schon gutgeht. Auf der ersten deutsche Platte ist gleich das erste Lied „Blaulicht und Zwielicht“ mit der Zeile Ja, ja, ja, ich liebe dich“. Das war für mich wichtig. Wenn man deutsche Texte macht, dann gleich in medias res, gleich den schlimmsten möglichen Fall. Damit man keine Hemmungen mehr hat. Das ist gut.

Seitdem gibt es gar keine Diskussionen mehr?

Ich glaube, die Jungs finden es schon okay, daß ich die Texte mache. Da hat noch keiner gesagt, ich will den Job. Durch die normative Kraft des Faktischen sieht der Element Of Crime-Text eben so aus, der ist anders als andere. Der hat einen bestimmten Stil, und den kriegt man eben nur von mir. Das sage ich einfach mal so.

Bei einer Musik, die mir über lange Strecken schön vorkommt, empfände ich es als eine Niederlage, wenn mir kein Text dazu einfiele. Aber ich schmeiße so viele Ideen weg, ich bin überkritisch, was meinen eigenen Kram betrifft. Die Band ist ein sehr starkes Korrektiv. Man bringt eine Idee an, manche zünden dann sofort. Bei anderen ist es so: Hm, ja, nett. Dann wird man nicht mehr sauer, sondern sagt: Okay, wollte euch auch nicht weiter nerven, vergessen wir’s.

Arbeitest du lange an den Texten?

So ’ne Musik, zu der man ’nen Text machen will, schleppt man wochenlang mit sich rum. Zuerst findet das alles im Kopf statt. Was man nicht im Kopf behält, ist es nicht wert. Das ist mein Filter. Was ich gleich wieder vergessen habe, hat mich wohl selbst nicht so beeindruckt.

Man muß sich ja erst mal trauen, „Paranoia“ auf „teuer“ zu reimen – wie in „Finger weg von meiner Paranoia/ Die war mir immer lieb und teuer/ Nie ließ sie mich so kalt im Stich wie du“…

Ich mache ja wenig Paarreime. Selbst da geht es gleich weiter mit „nie“, das ist also ein bißchen versteckt. Das rettet das über die Runden. Das ist eines unserer Geheimnisse: lieber Binnenreim als Paarreim. Paarreime sind immer ein bißchen schwer. „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind/ Es ist der Vater mit seinem Kind“, danke schön.

Sven Regener spricht das natürlich wie „Vadder“ aus, und so klingt Goethe tatsächlich albern. Abschließend stellt der wahrscheinlich beste Texter in der deutschen Rockmusik ganz trocken fest: „Man kann eigentlich über alles singen. Aber man muß es nicht.“

Element Of Crime waren immer anders als die anderen – auch musikalisch. Sie verwenden komische Instrumente, der Sänger trompetet, die Texte sind lyrisch und doch nicht verkünstelt, es gibt ein bißchen Rummel und ein bißchen Chanson und ein bißchen Pop und ein bißchen Rock und ein bißchen Folk und alles trifft den Kern gar nicht, denn Element Of Crime sind wirklich so einzigartig, daß sie es selbst nicht fassen können. Natürlich genießen sie die Sonderstellung in der deutschen Musiklandschaft, daraus macht Regener gar keinen Hehl: „Superangenehm, daß man sagen kann: Ist mir doch scheißegal, was sonst so läuft.“

Anfangs war die Außenseiterrolle freilich nicht immer nur angenehm, aber heute kann Regener darüber lachen. „Für eine junge Band ist es anfangs vielleicht leichter, wenn man einer bestimmten subkulturellen Szene zugeordnet werden kann. Aber später erweist sich das oft als Flucht. Da schreien die dann, ,ich bin kein Gruft, ich bin kein Gruft, während sie ihren Kajal auftragen…“

Trotzdem verteidigt er die jüngeren Kollegen: „Ich finde es gut, wenn überhaupt was passiert. Daß es viele junge deutsche Bands gibt, die was auf die Beine stellen. Ich finde es nicht gut, daß Juli, Silbermond, die Helden zuerst so gelobt werden und dann nur noch auf den Deckel kriegen. Die haben doch keinem was getan! Wir müssen uns ja nicht alle liebhaben, ich bin ja nicht auf dem Kirchentag unterwegs.

Aber man muß ja auch nicht zwanghaft alles ablehnen. Distinktionsgewinn durch Abgrenzung ist immer Quatsch. Diese negative Definition der eigenen Person: Ich bin nicht so wie der. Das ist doch keine Qualität! Wir machen nicht so Musik wie Iron Maiden was soll das denn? Was sagt mir das denn? Soll ich da stolz drauf sein? Um mal ein völlig absurdes Beispiel heranzuziehen. Ich habe Iron Maiden immer gemocht.“

Der Vorteil, den Element Of Crime immer hatten: Ihre Musik mag romantisch sein, die Musiker sind bei aller Begeisterung für ihre Sache aber auch pragmatisch. Immer gewesen, immer geblieben. Da wird nichts von Idealismus geschwafelt, da geht es auch ums Geschäft – wenn die Lieder erst mal aufgenommen sind. Wer wie die Elements bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag ist, der durfte in den vergangenen Jahren ja einiges mitmachen. Schon 1986 waren sie von Polydor unter Vertrag genommen ¿worden, ein paar Jahre später wurde Motor Music daraus, das angeblich so progressive, moderne Label unter Tim Renner. Jetzt heißt die Firma Universal, aber auf „Mittelpunkt der Welt“ soll wieder das alte Polydor-Label prangen. Man darf sich das neuerdings aussuchen. Natürlich, lacht Regener, hätte man auch Def Jam oder Geffen oder Atlantic nehmen können, irgendwas „Glamouröses“. Aber solche Petitessen spielen hier keine Rolle. „Egal, wo man rauskommt, an unserer Musik ändert das sowieso nichts.“

Falsche Kumpelei – nichts läge Regener ferner. „Mit der Plattenfirma ist das eine reine Geschäftsbeziehung. Wir machen die Musik, die sollen dafür sorgen, daß die Platte in die Läden kommt. So ist das viel angenehmer, als wenn man große Freundschaftsarien draus macht. Es geht nicht darum, den ganzen Tag zu schmusen, sondern das sauber zu trennen. Wir sind da gebrannte Kinder: Wir waren bei Ata Tak, und die waren am Ende pleite, wir sind verkauft worden. Das haben wir denen nicht übel genommen, im Gegenteil, aber ich hätte ein sehr schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich für deren Pleite verantwortlich gewesen wäre. Stell dir vor, du gehst zu einem Indie-Label von Leuten, die du echt gern magst, die pumpen richtig Geld rein- und dann floppt das Ding. Und dann muß der sein Auto verkaufen, weil du versagt hast als Musiker. Das ist doch viel zu hart, das finde ich gar nicht schön.“ Sie haben ein anderes Konzept: „Klassischer Rock’n’Roll: Plattenfirma trasht rum, die anderen können sich amüsieren.“

Und wie sie sich amüsieren: Von „Hamburg 75“ abgesehen haben sie als B-Seite für die Single „Delmenhorst“ auch noch „You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk“ von den Pet Shop Boys aufgenommen, als Exklusiv-Track für iTunes „Across The Universe“ von den Beatles. „Wir haben vor nichts mehr Angst“, stellt Pappik trocken fest. Regener singt hin und wieder immer noch gern englisch, aber das Bedürfnis, englische Texte zu schreiben, verspürt er nicht mehr. „Die Coverversionen machen viel Spaß, weil die Möglichkeiten so groß sind. Aber es gibt noch so viele gute deutsche Texte zu schreiben. Die ,Delmenhorst‘-Sache hat mich extrem gekickt. Das hingekriegt zu haben, macht mich schon froh.“

Außerdem war er immer genervt, wenn man ihm den deutschen Akzent vorwarf oder er befürchten mußte, poetische Formulierungen würden ihm nur als schlechtes Englisch ausgelegt. Stichwort: „die Hose, die du mir gehäkelt hast“, das hätte er auf englisch wohl nicht gewagt. Dafür gab es dann im Deutschen kein Halten mehr – und immer wieder tauchen Themen auf, die so gar nicht zeitgemäß sind und deshalb umso schöner. Man muß sich das trauen: In einer Welt, in der alle aufgefordert werden, möglichst lange jung, fit und dynamisch zu bleiben, feiern die Elements ständig das Phlegma. Wie viele Songs hat Regener schon über das Warten geschrieben? Darüber, daß immer alles irgendwie weitergeht, auch, ¿wenn man nichts tut?

In „Still wird das Echo sein“ macht er sich über das Klischee vom ewigen Wandel lustig: „Wichtig ist nur die Veränderung, daß man nie im Stillstand verharrt/ Und daß man sich auch in harten Zeiten seine Träume und Wünsche bewahrt/ Schön, das zu hören, doch was wirst du tun, wenn dir all die Weisheit nichts bringt/ Und du merkst, daß der Klang deiner Stimme mir keine Liebeslieder mehr singt?“ Und so sieht er das auch, beziehungsweise er sieht das eben nicht ein: „Wichtig ist nur die Veränderung, so was nicken alle sofort ab. Wieso eigentlich? Wieso muß ich mich denn dauernd verändern, wieso kann ich nicht im Stillstand verharren, wo ist denn das Problem? Aber die Leute greifen eben nach jedem Strohhalm, jeder Regel, die das Leben übersichtlicher macht. Verständlich, aber man muß auch mal sagen können: Nö!“

Neinsagen war nie kein Problem für Element Of Crime. Noch ein Grund, zu ihnen ja zu sagen.

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