Freibier, Freunde!

Wenn Sie dies lesen, Herr Doktor, wird der Spuk vielleicht schon vorbei sein. Andererseits befürchte ich, daß ich mir dann auch die Erklärung sparen kann, was TipTop ist, weil es bereits weltbekannt sein könnte. TipTop ist ein Pop-Duo, das aus dem Sänger der Sportfreunde Stiller, Peter Brugger, und seinem Bruder besteht. Der Bruder hat immer eine Pelzmütze auf, sie reden absichtlich mit komischem Akzent und singen ein Lied, ein recht schusselig kaschiertes „l’m too sexy for my cat“-Plagiat namens, aha, „TipTop“. So weit, so ignorierbar.

Das Dumme ist nur, daß der Auftritt der zwei bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ ausgerechnet von dem Privatsender präsentiert wird, den ich in Hoffnung auf ein paar bockstarke Neunziger-Hits in meinen Radiowecker reingedreht habe. Derzeit läuft dort eine Aktion, bei der die Hörer Gästelistenplätze für die große TipTop-Wahlparty gewinnen können – wenn sie erklären können, warum das supergeil wäre. Schon ab sechs Uhr früh muß ich fiebernd ertragen, wie Anrufer das „TipTop“-Lied nachsingen, in der S-Bahn kreischen und davon berichten, wie sie im Freundeskreis total auf diesen Scherz (darauf reimt sich „Scheiß“) abgehen. Zusätzliche Demütigung: Der Moderator der Show ist der deutsche Synchronsprecher von Seth Cohen aus „O.C. California“, der ja sonst nur für die erträglich langweilige Band Death Cab For Cutie wirbt. Genau, jeden Morgen kommt Seth Cohen zu mir und macht „TipTop“. Schlimmer wäre nur, wenn der Sender meine Nummer hätte und gezielt anrufen würde.

Die universellen Stichworte für den Ärger sind alle gefallen: Freundeskreis, supergeil. Und: Gästelistenplätze. Das auf schmierige Art Kumpelhafte, Schulterklopfende, komplett Distanzlose, das früher als typisch proletenhaft galt, ist längst im praktischen Wertekanon der sogenannten Indie-Szene angekommen – also in einem Kreis, der sich trotz hunderttausendfacher Umsätze noch immer als Solidarbund gegen den Massengeschmack versteht, als Villa Kunterbunt der künstlerischen Freiheit, als freigeistiger Mittelstand, wo jedes gemeinsam umgekippte Bier noch ein klitzekleines Statement gegen Spießer und obskure „Hipster“ sein soll.

Ich kenne keinen, der die Handynummer von Eminem hat, aber bei vergleichsweise vielen steht zum Beispiel Thees Uhlmann im Telefonbuch, Sänger der Band Tomte, die mit ihrer neuen Platte jetzt wohl in den Charts steht. Ein Indie-Bassist (der in diesem Zusammenhang sicher nicht erscheinen will) hat mal schlau gesagt, daß es in Deutschland nie mehr vernünftige Pop-Kritik geben könne, weil ja alle Leute untereinander befreundet seien – exakt so war der Eindruck, den die niederknienden Tomte-Rezensionen der letzten Wochen hinterlassen haben, die unbezahlten Werbetexte in Zeitungen, in denen Uhlmann gelegentlich selbst als Autor auftritt, die Reportagen aus seiner Berliner Wohnung, in der es mittlerweile ein extra Wartezimmerchen geben muß für all die Teams, die für „Homestories“ anrücken.

Wobei ich gar nicht bezweifeln will, daß die Tomte-Platte das Lob möglicherweise verdient hat. Das würde ich nur gerne von Leuten hören, die nicht in so extremem Ranschmierverdacht stehen – die Bundeskanzlerin haben wir doch auch gewählt, damit endlich mal jemand bei Putin tüchtig am Bommel läutet. Grundsätzlich: Ich will nie, nie lesen, was Leute über ihre Freunde oder ihre Schwester Gloria schreiben. Und wenn es so ist, wie der anonyme Bassist sagt, dann sollen die Bands ihre Platten in Gottes Namen selbst rezensieren. Das wäre wenigstens transparent.

Die Gegenargumente kennt man aus dem Kampf gegen Karnevalsmuffel. Eins: Daran seien die Künstler ja nicht schuld. Zwei: Man müsse doch Respekt haben vor Leuten, die sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hätten. Drei: Man sei zu „verkopft“. Vier: Man habe wohl kein Herz. Doch, ich habe geweint vor Glück bei den Konzerten, ich habe sie in Schutz genommen gegen die Spötter. Und heute schüttelt es mich, wenn ich sehe, wie sie sich beim Jägermeister-Band-Contest gegenseitig in die nächste Runde loben, bei doofen Rio-Reiser-Gedächtnisplatten mitmachen und sich von Sarah Kuttner notariell beglaubigen lassen, wie toll sie alle sind. Ekelhaft. Viele deutsche Indie-Typen bewundern die britische Szene, aber ein Schmäh-Maul wie Liam Gallagher wäre hier längst mit Button-Nadeln totgepiekst worden.

Noch mal zu Tomte – unter den vielen Textzeilen, die als unheimlich anrührend gelobt wurden, war die: „Ihre Katze heißt Links, die andere Rex, erzähl mir etwas, das lustiger war.“ Soll ich? Okay: Kommt ’n Mann zum Arzt: „Herr Doktor, niemand nimmt meine Beschwerden ernst!“ Sagt der Arzt: „Sie scherzen!“ Das ist lustiger. Und wenn ich die Zeichen am Himmel richtig deute, dann ist bald mal wieder Zeit für so etwas wie Punk. An diesem blutigen Abend wirst auch du nicht auf der Gästeliste stehen, mein Freund.

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