Für eine Handvoll Hits mehr – Videodreh mit Fury In The Slaughterhouse

Die große weite Welt fest im Blick, zog es Fury In The Slaughterhouse aus grauer Städte Mauern. Kai Wingenfelder über eine Video-Expedition nach Arizona

Freitag, 3.1.97 TWO EGGS „SUNNY SIDE UP“, BACON, white toast, orange juice und Kaffee – wenn man die transparente amerikanische Abart des Bohnengetränkes noch als solchen bezeichnen will. Bin schon seit drei Wochen in den Staaten, einmal kreuz und quer durch das sonnige Kalifornien, das sich in diesen Tagen allerdings durch Dauerregen und sintflutartige Überschwemmungen auszeichnet.

Um unseren Videodreh planmäßig über die Bühne zu ziehen, hätte die Band gestern um 20 Uhr in Phoenix landen sollen. Ist sie aber nicht. Acht Leute von den unterschiedlichsten Plätzen der Welt punktgenau und zeitgleich nach Arizona zu bringen war wohl doch eine Illusion. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Um 2 Uhr morgens trudelt der letzte ein. Bis zum Drehort, der Navajo Reservation in Utah, sind es noch sechs Stunden Autofahrt; bis 17 Uhr, so versprechen sie uns am Telefon, werden sie’s schaffen. Allgemeines Aurarmen. Nick, der Regisseur, und ich hatten schon die Alternativ-Version (ein Sänger und fünf Musiker-Dummies) in Erwägung gezogen, sind aber dankbar, daß wir diese Notlösung schnell wieder vergessen können.

1. Drehtag. 5 Uhr Weckruf, draußen ist es noch dunkel. Nach dem typisch amerikanischen Frühstück fahren wir ins Monument Valley: ein grandioser Sonnenaufgang in einer großen Landschaft, die einem klarmacht, wie klein die Menschen sind. Es sind 5 Grad, soll aber bei Sonnenschein gegen Mittag wärmer werden. Ich bin als erster dran. Auf den kalten Steinen liegend und in doppelter Geschwindigkeit singend, habe ich das Vergnügen, vier Zuni-Apachen dabei zu beobachten, wie sie als Büffel verkleidet – ihre Kreise um mich ziehen, während die Kamera fortwährend von oben auf mich herunter- und wieder zurückfährt. Ich frier mir den Arsch ab – und die Indianer vermutlich noch was mehr.

Beim Drehen in der Reservation sind Respekt und Feingefühl das, was am meisten gefordert ist. Ich habe noch nie ein Volk erlebt, das so konsequent bemüht ist, seine Traditionen, Werte und religiösen Rituale zu erhalten und gegen die Einflüsse der westlichen Konsumgesellschaft zu verteidigen wie die Navajo. Wir hatten geplant, ein Hirschgeweih auf den Set zu bringen, aber es wurde uns unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß der Hirsch ein heiliges Tier sei und im Fernsehen nichts verloren hätte. Mir war selten so unangenehm zu Mute wie in diesem Moment.

Christof hatte derweil aufgrund seines frappierend authentischen Kostümes den Beinamen „Daniel Boone“ und sah wirklich so aus, als habe er immer hier gelebt und noch nie eine Konzertbühne gesehen.

Um 16 Uhr, nach etlichen Einzelaufhahmen, wechseln wir den Drehort. Die Sonne geht unter, und wir sitzen mit einem alten Medizinmann in einem Hogan, einer ohne Nägel gebauten achteckigen Hütte, die mit Lehm verkleidet wird. Wir sollen mit ihm eine Pfeife rauchen. Dummerweise hat keiner an Tabak gedacht, aJso muß Christofe „Schwarzer Krauser“ dran glauben – der dem alten Mann aber schier die Lunge umdreht Seine anschließende Demonstration, wie man die Pfeife zu rauchen habe, überzeugt uns, diesen Part doch lieber ganz aus dem Drehbuch zu streichen. Sehr zum Leidwesen unseres Regisseurs.

Nichtsdestotrotz beginnt unser Schamane zu erzählen, langsam, mit sonorer Stimme, ich weiß nicht wie lange, und obwohl keiner ein Wort versteht, sitzen wir alle im Kreis und hören gebannt zu, schauen aufsein gegerbtes Gesicht, das im Schein des Feuers zu flackern scheint, und vergessen alles um uns herum. Virgil, unser Navajo-Scout, übersetzt uns später seine Worte. Er erzählte uns das Geheimnis des Feuers.

2. Drehtag, Das größte Übel, das hätte passieren können, ist eingetreten. Schftee! Es schneit ununterbrochen, es ist bitterkalt – und vor allem: Nichts sieht mehr so aus wie gestern. Wir fähren trotzdem raus. Unsere Bemühungen um authentische Kleidungsstücke zeitigen nun leider auch unerwünschte Nebeneffekte: Geros und Christofs Schuhe sehen zwar klasse aus, sind aber leider saudünn und haben diverse Löcher – was bei Schnee bekanntlich gravierende Nachteile hat. Die Crew hat eine Begräbnisstätte nachgebaut, mit Totempfählen und allem Brinjborium. Nur den Schnee hat-Jen sie nicht einkalkuliert. Irgendwie sieht die Szenerie mittlerweile aus wie „Leichen pflastern seinen Weg“ mit Klaus Kinski.

Der heiße Kaffee hält seine Wärme fiir maximal zwei Minuten, und außer Ines, der Maskenbildnerin, die den ganzen Tag im warmen Garderobenmobil sitzt, gibt es niemanden auf dem Set, der nicht erbärmlich friert. Um 15 Uhr kommt dann des Sängers große Stunde: Man hattet mich bereits vorgewafht, daß das Drehbuch vorsieht, mich kopfabea an einen Pfahl zu här? gen. So weit, so gut In der Realität sieht das dann doch etwas anders -u4£um einen ist das GeiQirr, an dem ich aufgehängt werde, viel zu eng, und zweitens hat mich niemand cferauf vorbereitet, daß ich in dieser mißlichen Lage auch noch doublespeed mitsingen soll. In der Mitte des ersten Refrains erscheinen dann auch prompt die ersten Sterne – und dann wird es schwarz.

Als ich wieder zu mir komme, sehe ich noch die gesamte Crew wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend rennen, ohne daß mir so recht klar wjrd, was überhaupt passiert ist. Ich war 20 Sekunden ohnmächtig, soll dabei aber eigentlich noch ganz manierlich ausgesehen haben – wie mir später zu meiner Beruhigung bestätigt wird. Drehtag Ende!

3. Drehtag. Thorsten, Gero und Christian sind schon gefahren, also sind nur noch drei übrig zuni Drehen. Es hat aufgehört zu schnekfi, (dafür sind die Temperaturen gesunken: 15 Grad unter null.‘ Wirt^ben unsere Zuni-Büffeltänzer zurück lach New Mexico geschickt, denn bei diesem Wetter kann man keinem zumuten, die Hose runterzulassen. Wir entscheiden uns trotzdem, weiter zu drehen.

Zunächst darf ich mich in den Schnee legen, danach kommt die Nummer mit den Pferden, die Nick mit der. Frage eröffnet: »Frag dok mal die Band, ob sie Pferde fahren kann?“ – was zur allgemeinen Erheiterung ungemein beiträgt. Mittlerweile hat sich die Sonne verabschiedet, was zur Folge hat, daß die Temperaturen noch weiter sinken. Die letzten 25 Navajos ziehen in einem sogenannten trail of tears, leicht bekleidet mit Hund und Pferd, hinter mir durch den Schnee, während ich zum 10L Male „Bring me home“ in den Himmel brülle.

Es ist 18 Uhr, alles wird verladen – und im Dunkeln machen wir uns auf den 400-Meilen-Trip nach Phoenix. Später, glücklich am Flughafen angekommen, erfahre ich, daß an jenem Abend in Flagstaff 300 Menschen im Schneesturm verunglückten. Wir hatten Glück. Weiß der Henker, was die Zuni sich da für uns zusammengetanzt haben.

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