Fußball-WM in Brasilien: Weltmeister des Scheiterns

Spanien und die Niederlande stehen seit Jahrzehnten für die wohl wichtigste Lektion, um die es im Fußball geht: Nicht siegen, sondern Niederlagen hinnehmen, zivilisiert und mit Anstand zu scheitern lernen.

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Verlieren, nicht siegen lernen, und das mit Anstand – dies ist die wichtigste Lektion des Fußballspiels – WM-Blog, Folge 2

„Es ist immer dieselbe Idee: Tore erzielen, Tore verhindern, mit allen Möglichkeiten, die man gerade hat.“ Wer möchte da Volker Finke, Oberstudienrat und im Nebenberuf 16 Jahre lang Trainer beim SC Freiburg, inzwischen Nationalcoach von Kamerun, schon grundsätzlich widersprechen? Gut, dass es in Brasilien jetzt losgegangen und die fußballfreie Zeit vorbei ist. Nur, so fragt man sich bange, wer hat denn welche Möglichkeiten?

Und wie steht es überhaupt um das Fußballspiel?

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Vier Tore für die Brasilianer im ersten Spiel, das war schon ein guter Anfang. Blöd nur, das eines davon Marcelos Eigentor war. Es war also gleich eine ganz harte Nummer für den Gastgeber. Vor allem die Frage, wie Brasilien mit dem Druck fertig werden würde? Auch die Kroaten traten auf wie erwartet: Ein unangenehmer, nicht wirklich ebenbürtiger, aber immer gefährlicher Gegner. Und typisch, dass sich gerade die deutschen Fußballkommentatoren sofort und über das Spielende hinweg mit den Kroaten solidarisierten.

Bei Marcelos Eigentor dachte man: oh, der Arme. Und dann: „Eigentlich das beste, was passieren kann. Der Außenseiter führt gegen den Favoriten. Aber ausgerechnet die Kroaten … Pfff …“

Nur gibt es noch lange keinen Grund, jetzt den brasilianischen Sieg kleinzureden. Brasilien war deutlich besser, offensiver, mitunter genial. Neben Neymar beeindruckte vor allem die Defensive: Luiz, Silva, Alves. Die Kroaten spielten in erster Linie defensiv und auf Zerstörung angelegt.

„So einen Elfmeter pfeift man nicht.“ behauptete Bela Rethy und im Gefolge behaupten es viele andere. Da übersehen die Kollegen aber die Tatsache, dass der kroatische Verteidiger deutlich nach der Schulter des Brasilianers grabschte. Man kann das also sehr wohl pfeifen.

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Am heutigen Freitag-Abend können die deutschen Zuschauer wählen, ob sie im ersten Spiel der Gruppe B mit dem Favoriten Spanien ziehen, oder mit dem Underdog Holland jubeln, der sich schon in seiner Nationalhymne „von deutschem Blut“ ableitet, und zuletzt so deutsch spielte, wie die Deutschen bei der letzten WM holländisch.

Spanien und die Niederlande stehen seit Jahrzehnten für die wohl wichtigste Lektion, um die es im Fußball geht: Nicht siegen, sondern Niederlagen hinnehmen, zivilisiert und mit Anstand zu scheitern lernen. So war es unbedingt höhere Gerechtigkeit, dass im letzten WM-Finale diejenigen beiden Länder unter den großen Fußball-Nationen standen, die bislang ohne Titel waren, die bislang die unangefochtenen Weltmeister des Scheiterns waren.

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