George Harrison- Irgendwo auf Wolke 9

Zwei Nachrufe von Nachgeborenen auf George Harrison, der uns das Linkische und die Reise nach Indien vermittelte

Meine erste Schallplatte war „Cloud 9“ von George Harrison. Ich war elf Jahre alt, und beim öffentlich-rechtlichen Clipfenster „Formel 1“ tauchten wie selbstverständlich des öfteren die Videos zu „Got My Mind Set On You“ und „When We Was Fab“ auf. Mit dem Wörterbuch saß ich da, um herauszufinden, was „fab“ bedeutet. Und das war der Anfang von zahllosen Stunden unter Kopfhörern, der Grund für zu wenig Taschengeld und dafür, dass ich mich heute noch am Ende des Monats sparsam ernähren muss, weil das ganze Geld für Schallplatten draufgegangen ist.

Die Beatles-Platten habe ich natürlich längst alle und mein Interesse ließ auch irgendwann nach. Doch eine Woche vor Georges Tod streifte ich noch durch St. Pauli, um mir die Plätze anzusehen, an denen die vier bzw. fünf Anfang der 60er Jahre gespielt, gehaust und sich die ein oder andere spätere Vaterschaftsklage angelacht hatten: das ehemalige „Bambi Kino“, den früheren „Top Ten Club“, den Kaiserkeller, die „StarClub“-Gedenktafel.

Die Nachricht von Georges Ende traf mich zwar nicht unerwartet, doch wünscht sich wohl niemand, vom „RTL-Morgenmagazin“ über den Tod eines Weggefährten informiert zu werden. Die anschließenden Nachrufe gefielen mir alle nicht besonders. George war vielleicht der „stille“, unscheinbare Beatle, aber auch derjenige, mit dem man sich am ehesten identifizieren konnte. John war cool, keine Frage – aber am Ende ein Pantoffelheld und außerdem längst tot, Paul war ein genialer Musiker, aber auch brav und bieder, Ringo war etwas dümmlich und dafür verantwortlich, dass auf fast jeder Beatles-Platte ein schwacher Song drauf ist (Ausnahme: „A Hard Day’s Night“). George dagegen schien einfach sein Ding zu machen. Mit der Zeit gewann er innerhalb der Gruppe als Korrektiv an Einfluss, schrieb wundervolle Songs wie „You Like Me Too Much“ und „Love You To“, machte als erster Beatle eine Solo-Platte und brachte mich Jahre später mit „If Not For You“ von „All Things Must Pass“auf Dylan und damit zu meiner ersten Nicht-Beatles-Platte. Außerdem erschien er gerade aufgrund seiner linkischen Zurückgezogenheit besonders geheimnisvoll und kam bei den Mädchen, die ich mochte, damit am besten an.

Wenn ich in diesen Tagen etwas bedrückt bin und jemand fragt, warum ich nicht mal lächle, antworte ich mit einem Harrison-Zitat aus „A Hard Days Night“: „l’ll hurt my lips.“ (Maik Brüggemeyer)

Meine erste Schallplatte war George Harrisons „Somewhere In England“, 1981. Vorher kannte ich „Sgt. Pepper“, die bei meinen Eltern im Regal stand, und „The Simon & Garfunkel Collection“, wegen „Mrs. Robinson“, „I Am A Rock“ und „The Boxer“. Der Tod Lennons blieb mir unbegreiflich, zu ahnen nur an der Reaktion meiner Eltern und an dem Tod meiner Großmutter. Ein Horror, ein Staunen. Hernach kaufte ich alles Lesbare über Lennon, was ich bekommen konnte (und diese Anstecker für die Jeans-Jacke), wünschte mir endlich auch die Beatles-Platten, als könnte ich damit nachholen, was mir die Eltern unter dem Rubrum „1966“ mit entsprechenden Fotos zeigten.

Im Herbst 1981 erschien dann „Somewhere In England“ mit dem Song „All Those Years Ago“, an dem Paul und Ringo mitgearbeitet hatten. Es war die Hommage an John („You were the one who made it all so clear“) und das Zeichen der Versöhnung, auf das die Gemeinde gewartet hatte. Heute wissen wir, dass dieses Lied nicht gerade dem spontanen Schmerz Harrisons abgerungen war,noch ist es eine besonders eloquente oder treffende Würdigung. Aber es ist ein guter Song und mehr, als die drei Männer später zustande brachten. „Somewhere In England“ ist eine seltsame, zugleich überladene (vier Schlagzeuger, darunter Starr und Keltner, und überhaupt zu viele Musiker) und muffige Platte. In Songs wie „Unconsciousness Rules“ spricht kein Erleuchteter, sondern ein Skeptiker. Das zeittypische Szenario „Save The World“ endet ironisch im Big Bang.

George war für mich der Typ, der sie nach Indien und zum Maharishi brachte. Und obwohl ich den Guru eklig fand, behielt die Indien-Phase jenseits alles Religiösen etwas Selbstverständliches. Wohin sonst hätten die berühmtesten Männer der Welt (neben Jesus) gehen sollen? Ins Kloster, ins innere Exil, auf den Mond? Man muss nur an Ringo und seine aus England importierten Bohnenkonserven denken, um zu ermessen, wie groß die Verzweiflung war.

In der „Anthology“ kann man sehen, wie George, der Gärtner, im Freien saß und nicht ohne Bitterkeit vom Ruin seines „nervous System“ berichtete. Diesen Begriff benutzte er oft.

Vielleicht war George Harrison am Ende derjenige, der von allen am besten wusste, welchen Preis sie zu zahlen hatten.(Arne Willander)

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