Grand Lee Buffalo aus Hollywood

Grant Lee Phillips, Paul Kimble und Joey Meters sind Graut Lee Buffalo, eine Band, die die üblichen Rock-Klischees sprengt. Trotz der dekadenten Wahlheimat handeln ihre Songs von kaputten Industriestädten, von Verfall und Verlusten. In den USA fast unbekannt, sind sie in Frankreich Stars. Ihre Musik ist zwar noch Rock, doch für sie ist diese Stilrichtung allenfalls ein Verb.

Grant lee Millips, Paul Kimble und Joey Meters sind Graut Lee Buffalo, eine Band, die die üblichen Rocür-Klischees sprengt. Trotz der dekadenten Wahlheimat handeln ihre Songs von kaputten Industriestädten, von Verfall und Verlusten. In den USA fast unbekannt, sind sie in Frankreich Stars. Ihre Musik ist zwar noch Rock, doch für sie ist diese Stilrichtung allenfalls ein Verb. Unser Gespräch ist etwa zehn Minuten alt. Gerade hatten wir über „Copperopolis“ geredet, den Titel des neuen, dritten Grant Lee Buffalo-Albums, der auf eigentümliche Weise futuristisch und altertümlich zugleich klingt – und fiktiv obendrein, obwohl dieser Ort real existiert. Grant Lee Phillips hatte gerade Worte wie „monolithisch“ und „industriell“ von sich gegeben und von „mythischen Qualitäten“ geschwärmt. Da, endlich hatte Paul Kimble zu meiner Rechten die Pat-Thomas-CD („Fresh“) erblickt, die vor ihm auf dem Hotelzimmertisch darauf wartete, entdeckt zu werden. „Was ist das? Habt Dir das gesehen?“ Kimble guckte entgeistert in die Runde, dann wieder zurück auf die CD-Rückseite, wo ihm ein Songtitel gleich ins Auge gestochen war. ,“Grant Lee Buffalo Wings‘ – was zum Teufel soll das? Vbn Pat Thomas? Hey, das ist dieser Typ, der mir ein Tape geschickt hatte und unbedingt wollte, daß ich seine Platte produziere!“ „Siehst Du, Paul, vielleicht hättest Du doch zurückrufen sollen“, spöttelt Phillips, was endlich auch Joey Peters auf den Plan ruft Ja, Paul, schau Dir an, was er jetzt gemacht hat!“ Dann dribbelt Phillips den Ball ins Tor: Ja, Paul, Du hast dem falschen Typ ans Bein gepinkelt, Du hast Pat Thomas ans Bein gepinkelt, und jetzt hat er sich gerächt! Weil Du gedacht hast, Weird AI Yankowitz wäre zurück und alles wäre nur Comedy!“ Bevor Kimble vollends unter die Räder kommt, berichte ich wahrheitsgemäß, daß dieser Pat Thomas Grant Lee Buffalo, kurz GLB, für die derzeit so ziemlich einzige relevante Band unter der Sonne hält und deshalb – Fan bleibt Fan – natürlich jede japanische Maxi des Trios im Schrank hat Kimble ist gerührt „Wow, das ist wirklich nett Ich erinnere mich jetzt ein Tape von ihm gehört zu haben. Aber dann gingen wir wieder auf Tour und ich konnte nichts mehr machen.“ Doch Phillips, der sich die CD gegriffen hatte, läßt nicht locken „Hier ist auch ein Song drauf, der JWy Friend Paul‘ heißt Hey, Paul, will der was von Dir?“ Kimble zweifelt wieder. „Es ist nicht vielleicht doch eine obsessive Angelegenheit?“ Peters bringt dazu passend noch einen anderen Songtitel („Can A Man Love A Man“) ins Spiel, amüsiert sich königlich und will sich das Ganze unbedingt anhören, spätestens, nachdem er vertraute Gastmusiker (Steve Wynn, Chris Cacavas) auf der CD entdeckt hatte. Und Kimble wünscht sich inzwischen, daß „wir diesen Einfall gehabt hätten – ,Grant Lee Buffalo Wings‘ ist wirklich ein toller SongtiteL“ Warum diese ausfuhrliche Anekdote? Weil derlei Geplänkel durchaus charakteristisch für die Art und Weise ist, in der die drei öffentlich miteinander kommunizieren. Es ist dies eine Form der Kommunikation, die sich im Laufe der Jahre verselbständig und „codiert“ hat, wie es nicht ungewöhnlich ist wenn drei Menschen sich über lange Zeit einer gemeinsamen Sache verschworen haben. Was nicht heißen muß, daß sie auch miteinander in die Badewanne steigen. Abseits von GLB nämlich gehen sie getrennte Wege. Jeder von ihnen hat seine eigene Wohnung in Hollywood. Doch im Studio, auf Tour, bei Promoaktivitäten delegieren sie nur ungern selbst den kleinsten Teil der Arbeit die gemacht werden muß. Größere schon gar nicht Die Anregung der Plattenfirmen etwa, die Band möge es doch vielleicht mal mit Roy Thomas Baker als Produzenten versuchen, wanderte im Vorfeld von „Copperopolis“dorthin, wo schon ähnliche Vorschläge immer hingewandert waren – in den Papierkorb, Sound-Wizzard und Stammproduzent in eigener Sache Kimble: „Es schien für sie eine gute Marketing-Idee zu sein, den Queen-Produzenten zu holen. Aber sie haben schon vor langer Zeit gelernt, daß sie damit bei uns auf Granit beißen.“ Phillips, Peters und Kimble sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, daß sie ein Glücksfall sind. Und den setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel. Eigene Dinge in fremde Hände geben hieße auch, die fein austarierte Trio-Einheit zu riskieren, die sie sich beharrlich erstritten und erarbeitet haben. Das sei, so Phillips, „eine subtile Angelegenheit zwischen viel Verantwortung und noch mehr Freiheit“. Mit anderen Worten: Sie sind genau das Quentchen verschieden, das ihre gegenseitige Anziehungskraft ausmacht – das sie miteinander auskommen, aber auch voneinander sein läßt Die Geschichte von Grant Lee Buffalo, die seit 1991 so heißen und zuvor mit wechselnden Namen (Mouth Of Rasputin, Machine Elves etc.) erfolgreich einen größeren Bekanntheitsgrad zu verhindern wußten, beginnt denn auch nicht erst mit dem Debüt JFuzzy“ von ’93, sondern lange davor. – Und gleich zweimal. Einmal, als sich der ungeduldige Filmstudent Grant Lee Phillips aus Stockton/Kalifornien endgültig für die Musik entscheidet, weil diese „wie einPolaroid-Foto“ sei, „schneller und direkter“. Und zum anderen wären GLB nicht denkbar ohne die Erfahrungen, die er und Joey Peters, ein Drummer aus Santa Cruz/Kalifornien, der zuvor schon für so Blues-Größen wie John Lee Hooker und Charlie Mussehvhite trommelte, über vier Jahre mit Shiva Burlesque sammeln durften. Während begeisterte Kritiker in England das Quintett auf den Spuren der Doors, von Love und John Cale wähnten, waren die zwei Alben der Band daheim kaum erhältlich – Europa-Tourneen wiederum ohne Label-Support nicht möglich. Ohnehin war die Formation „nicht sehr stabil“ (Peters), weil sie sich mit dem Syndrom „explodierender Bassisten“ (Phillips) herumschlagen mußte. Und mit einem Sänger/Songwriter (Jeffrey Clark), der Shiva Burlesque „wohl nur ab Übergangsphase“ (Phillips) betrachtete, nicht als Mission, die man mit letztem Einsatz spielen müßte. In das Vakuum stieß – auf dem zweiten Album „Mercury Blues“ ab Dick Smack getarnt – richtig: Paul Kimble. Aus Freeport/Dlinois zugewandert, hatte er sich zuvor über 15 Jahre ab Drummer und Gitarrist in Punk- und Metal-Bands versucht. Und war Peters und Phillips sofort verfallen, nachdem er sie das erste Mal mit Shiva Burlesque gesehen hatte. Gut ein Jahr sollte es dann doch noch dauern, bis er die beiden für sich gewinnen konnte. Wie gesagt: ein echter Glücksfall. Für die heute immer mal wieder hier und dort auftauchenden Shiva Burlesque-Platten kriegen sie immer noch keine Tantiemen. „Unsere Elvis-Phase“, spottet Kimble. Und Peters sekundiert, die ganze Angelegenheit habe „unser Vertrauen in die Industrie nicht gerade gestärkt“. Und musikalisch? „Nimm dir all die großartigen Buzzcocks-Songs, spiel sie langsamer auf einer akustischen Gitarre – und es wird so ähnlich wie Shiva Burlesque klingen“, erklärt Phillips. Später sah es zunächst so aus, als sollten sich Grant Lee Buffalo einreihen in die traurige Phalanx der Propheten, die nicht viel gelten im eigenen Land. Dort war „Fuzzy“ in vielen Läden überhaupt nicht zu finden, während die Band in Frankreich schon längst gefragt wurde, wie sie denn „mit diesem großen Erfolg“ klarkäme. Gemeinsame Tourneen mit den GLB-Fans Pearl Jam und FLEJVL haben die Relationen ein wenig zurechtgerückt: Auch ein kleiner Radio-Hit – „Mockingbirds“ vom 94er-Album JMightyJoe Moon“ steht inzwischen in den USA zu Buche. Sollen sich doch andere den Kopf zerbrechen, warum sie immer noch keinen Star-Status innehaben! Auf „Copperopolis“ jedenfalls wurde das stetig gewachsene Selbstbewußtsein der Band in konzentrierte Töne gegossen, in ein Opus magnum, das in aufgeräumter Fin de siecle-Stimmung von Veränderung, Verfall und Verlust erzählt. „Es geht um extreme Situationen“, erläutert Phillips. „Um die Form, die Veränderung in unserem Leben einnimmt. Wie wir uns dagegen wehren, wie wir damit klarkommen. Es ist eine sehr offene Idee, die einen Songwriter sehr weit trägt, selbst wenn sie nicht als Konzept darüber stand.“ Kimble fallen bei Verlust zunächst seine Haare und Zähne ein. Das Leben sei aber ohnehin ein konstanter Prozeß des Verlierens. „Du verlierst Freunde oder den Kontakt zu bestimmten Dingen, die sich verändern. Und für mich persönlich steht das im Mittelpunkt dieses Albums, die Frage: Wie gehst du mit all diesen Veränderungen um, die unvermeidlich auf dich zukommen? Oder schon auf dich zugekommen sind und dich bereits berühren und längst beeinflussen? Das sind wichtige Dinge für mich, darüber nachzudenken, weil es da viele unerforschte Wege gibt. Sorry, wie war die Frage?“ (lacht) Verlust heißt vor allem auch Verlust von Gewißheit Der für eine ganze Nation lange so wichtigen Gewißheit etwa, daß die Bedrohung immer von außen kommen müsse und die jetzt doch aus dem Leib des maroden Monsters USA selbst gekreucht kam: Auf der ersten Single „Homspun“, die „eher unsere agressive Live-Seite repräsentiert“ (Phillips) und unter dem Eindruck des Bombenattentats von Oklahoma im April 1995 entstand, sitzt der Feind also schon mit am Frühstückstisch. -Und verteilt faule Eier. Kaum ein anderer Track von „Copperopolis“, aber evoziert diese Atmosphäre von Zerfall so genau wie „Bethlehem Steel“, ein essentiell reduzierter, trotzdem gut sechsminütiger Philly-Soul meets Angry-White-Noise-Groover, der von der Band intuitiv ins Zentrum des Albums gestellt wurde. Vom allgemeinen Zuspruch ermuntert, arbeiten sie noch daran, ihre Company zu überberzeugen, den Titel ab nächste Single auszukoppeln. Was Paul Kimble mal wieder ein willkommener Anlaß ist, gegen Plattenfirmen-Menschen zu wettern, die sich „nicht wagen, einfach ihren Instinkten zu vertrauen. Erst erzählen sie uns, wie großartig der Song ist – und dann, daß alle anderen das wohl nicht so empfinden werden! Weil die ja nur die Herde sind und sie selbst nur das Schaf. Oder wie auch immer.“ „Zunächst inspirierte mich allein der Name“, referiert Phillips die Genese des Songs. „Wir tourten vor langer Zeit an der Ostküste, wo du überall diese Reklameschilder siehst für „Bethlehem Steel“, eine der ältesten Stahlfabriken in den USA. Diese Wortkombination allein! Die Geburt Jesu Christi verknüpft mit der Geburt einer Industrie.“ Später kamen sie dann irgendwann durch Bethlehem/Pennsylvania, wo die Firma gegründet wurde. Phillips konnte sich seinen Song von der Seele schreiben: „Es geht um die Romantisierung einer Industrie, um unsere irdischen Taten und unser Streben nach dem Himmel. Ein Song über Himmel und Erde also, jedoch ziemlich abstrakt“ Ist dieses Arbeitsethos von rechtschaffenem Schweiß und gerechtemLohn aber in Zeiten der rücksichtslosen Dividenden nicht ohnehin völlig überholt? Ein Mythos, der Lächerlichkeit preisgegeben und hemmungslos romantisiert? Romantisiert ihn der Song gar selbst noch? „Gute Frage“, nickt Phillips. „Denn genau dieselbe Frage stellte sich für mich und verleitete mich dazu, diesen Song zu schreiben. Ich bin mir nicht sicher. Der Song stellt das jedenfalls in Frage. Andererseits betrachten wir etwa die Künstler als die, die unsere Träume leiten sollen, die den Schamanen vergangener Zeiten gefolgt sind, die die Fackel halten und uns in Bereiche führen, die tiefgründiger und mysteriöser sind. Aber manchmal übersehen wir dabei die Leute, die die ganzen Wolkenkratzer gebaut, die die Löcher gegraben und die die Straßen gepflastert haben. Darin kann für mich etwas Künstlerisches und Himmlisches liegen, wie überall anders auch. Dies ist auch ein menschliches Streben, das durchaus transzendentaler Natur sein kann. Nur ist das Handwerkszeug keine Gitarre, sondern eine Schaufel, eine Picke – oder ein Laptop. Ich habe auch einfach versucht, ein Bild dieses Ortes zu zeichnen. Es ist sehr cinematographisch, eine pastorale Vision einer Industrie, die die Körper auslaugt. Dies so zu beschreiben, daß es einladend wirkt, war auch eine Herausforderung.“ „Copperopdis“. – Ein Anti-Rock-Statement mit den Mitteln des Rock. Oder, wie es Paul Kimble formuliert: „Wir rocken schon noch als Vferb.“ Grant Lee Buffalo ist längst klar, daß „angry“ sein nicht nur nicht mehr ausreicht, sondern ohnehin nichts mehr bewirken kann. Phillips: „Es gibt diese romantische Idee der Rebellion, aber irgendwann muß mal ein anderer Plan her – einer, den die Leute da in der Regierung nicht mal mehr verstehen würden. Vielleicht ein revolutionäres Bewußtsein und ein bißchen Mitgefühl?“ Die Revolution muß also ausfallen. Es gibt keine Hoffnung mehr. Glücklicherweise. Denn wahrscheinlich ist gerade das die Voraussetzung, um ein paar Wahrheiten eines „dark age“ (Phillips) ins Auge schauen zu können. Um dann entschlossen immer weiterzumachen. Paul Kimble: „Wir arbeiten einfach gern.“ Jörg Feyer

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