Herrenabend und Herrgottswinkel

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt die verstörenden, politisch noch immer relevanten Installationen des 1994 verstorbenen amerikanischen Moralisten Edward Kienholz.

Edward Kienholz war ein ebenso zorniger wie romantischer Moralist, über dessen Gürtel sich ein gewaltiger Bauch hervorragte. Als der bildende Künstler 1994 starb, ließ seine Frau Nancy Reddin Kienholz ihn in seinem metallicbraunen Packard begraben. Tief in den Wäldern von Idaho, ganz in der Nähe der winzigen Ortschaft Hope, wo die beiden seit 1972 zusammen gelebt und gearbeitet hatten.

Seit Mitte der 50er-Jahre verstört Kienholz die Kunstwelt mit seinem provokanten Werk, das oft klare Haltungen vertritt, aber zusammengesetzt ist aus den Widersprüchen und Zufälligkeiten der unterschiedlichsten Materialien. Der 1927 geborene Autodidakt wühlte sich durch Schrottplätze und Flohmärkte zwischen Los Angeles und Berlin, nahm Gipsabdrücke von den Körpern seiner Freunde, um sie in oft beklemmenden Installationen zu verwenden. Die christlich-naive Dekoration eines Schaufensters beeindruckte den erklärten Atheisten 1982 so sehr, dass er die gesamte Front des leer stehenden Ladens abbauen ließ und das Ganze zum Readymade erklärte.

„The Jesus Corner“ ist bis zum 29. Januar 2012 neben anderen zentralen Werken in der Ausstellung „Kienholz – Die Zeichen der Zeit“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu sehen. Dass Blixa Bargeld gegen Ende der Ausstellung Texte von Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Burroughs vortragen wird, passt perfekt, nicht nur, weil Beat-Hymnen wie „Howl“ wunderbar mit der Haltung von Kienholz korrespondieren, sondern weil sich das Arbeitsprinzip des Künstlers auch bei den Einstürzenden Neubauten wiederfindet: aus den weggeworfenen und entsorgten Resten der Zivilisation etwas Neues erschaffen, das unsere Kultur kritisiert und infrage stellt. „Adrenalingetränkter Zorn hat mich durch meine Arbeit getrieben“, erklärte Kienholz einmal in einem Interview. Und auch in der Schirn Kunsthalle sieht man Installationen wie das höhnische „My Country ‚Tis Of Thee“, in der Politiker eine Art Ringelpiez um die amerikanische Flagge tanzen – mit heruntergelassenen Hosen und dem Genital des Hintermanns fest im Griff.

Das zentrale Element der Ausstellung ist allerdings das gigantische Tableau „The Ozymandias Parade“. Der Umstand, dass Regierungen so häufig zum Feind des Volkes werden, wird hier mit einem riesigen Narrenschiff und drei bizarren, sich vergallopierenden apokalyptischen Reitern illustriert. An den Rändern blinken Glühbirnen in den Farben des Landes, in dem das Werk ausgestellt wird – zurzeit also in Schwarz-Rot-Gold. Ein Herrscher – es könnte ein Diktator, eine Kanzlerin oder ein Präsident sein – sitzt auf dem Bauch seines Pferdes, auf dem Kopf ein Plastikentchen, in den Händen jeweils einen Telefonhörer und einen zum Angriff gezückten Säbel. Über dem Gesicht der surrealen Gestalt klebt ein Schild mit der Aufschrift „No“. Das ist die Antwort, die die Besucher der Schirn-Webseite anlässlich der Ausstellung auf die Frage „Sind Sie zufrieden mit Ihrer Regierung?“ gaben.

„The State Hospital“, ein Tableau von 1966, ist ein Furcht einflößender Blick in die Hölle einer psychiatrischen Anstalt: Zwei Körper, deren Zerbrechlichkeit an die von KZ-Opfern erinnert, liegen gefesselt in einem Etagenbett. Die obere Gestalt ist umhüllt von einer Neonröhre in Form einer Comic-Sprechblase, die dem Kopf des unten Liegenden entspringt. Als junger Mann arbeitete Kienholz in einem Krankenhaus, dessen Therapien aus Beten, Exorzismus und physischen Zwangsmaßnahmen bestanden. Auch das Herrenabend-Ritual von „The Pool Table“ löst starke Emotionen aus: Zwei junge Männer mit Hirschgeweihen auf den Köpfen lochen buchstäblich bei einer kopflosen Frau ein, die mit gespreizten Beinen auf dem Pooltisch sitzt. Dazu muss man wissen, dass „stag“ Englisch für Hirsch ist und eine „Stag Party“ einen Herrenabend bezeichnet.

Diese Installationen nehmen einen gefangen, fordern eine Reaktion. Oder, wie Ed Kienholz selber sagte: „Irgendwann verschwinde ich als der, der die Spur gelegt hat. Dann ist der Betrachter in der Klemme, was die Ideen und Orientierungen angeht. Er hat die Möglichkeit weiterzugehen, indem er Fragen stellt und Antworten findet, hin zu einem Ort, den ich mir nicht einmal vorstellen kann. Er kann aber auch umkehren, an den alten, sicheren Platz, von dem er kam. Beides sind immerhin Entscheidungen.“

Jürgen Ziemer

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates