Hippie-Träume aus Texas

OR ETWA EINEM JAHR packte Israel Nash Gripka gemeinsam mit Frau und Kind seine sieben Sachen in einen Kleintransporter und brach in die neue Heimat auf. Raus aus New York City, wo der Sänger und Gitarrist seine musikalische Karriere in Gang gebracht hatte, auf die lange Reise nach Austin, Texas. Im Umland der Musikmetropole hatte der Predigersohn aus Ozac, Missouri, ein Farmhaus gekauft, im Nichts und Nirgendwo. „Wir fuhren meilenweit einen Feldweg entlang, links und rechts nur weites Land mit ein paar Zedern, hinter uns der aufgewirbelte Staub“, beschreibt Gripka die ersten Eindrücke, „es war atemberaubend – ich wusste, dass etwas Neues begonnen hatte.“

Bis zu diesem Umzug hatte Gripka in der New Yorker Lower-Eastside-Szene an tausend Türen geklopft, seine Lieder montagnachmittags in leeren Kneipen gespielt und schließlich mit seinem zweiten Werk, dem von Sonic Youths Steve Shelley in den Catskill Mountains produzierten „Barn Doors And Concrete Floors“, vor allem in Europa auf sich aufmerksam gemacht. Auf dem barmenden, sehnenden und ganz und gar fabelhaften Album gehen Männer runter zum Fluss und legen ihre Lasten ab, regnet der Regen des Nordens auf die Feuer des Südens und wehen vier Winde durch die Seele -das Album vermischt die klassische Americana der Ostküste mit Anklängen an John Fogerty, Ryan Adams, die frühen Rolling Stones und vor allem Neil Young.

Der Weggang aus New York hatte nicht zuletzt praktische Gründe; ein Teil von Gripkas Band – zum Beispiel Midlakes Gitarrist Joey Mc-Clellan – stammt aus Texas, das nun die Basis für Gripkas Musikunternehmungen ist. Doch Gripkas Beziehung zu den mäandernden Hügeln und unendlichen Himmeln ist nicht von Vernunft geprägt -der Sänger spricht von seiner neuen Heimat wie von einem inneren Ort, den er schon längst kannte, bevor er ihn zum ersten Mal sah. „Es ist, als käme hier alles zusammen. Kennst du das, wenn sich plötzlich alles richtig anfühlt, als wärst du endlich angekommen? Ich sitze hinter meinem Haus und sehe auf diese Hügel, und es fühlt sich an wie zu Hause. Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Das hier ist der Ort, an dem ich sterben will.“

Wenn einer wie Israel Nash Gripka so etwas erlebt, schreibt er Lieder darüber. Dem dritten Album, „Israel Nash’s Rain Plans“, hört man die Weite und Stille des Landes in jedem Moment an. Gripka und seine Band spielen langsamen, gedankenversunkenen und schier unendlich feierlichen Kalifornien-in-den-70er-Jahren-Rock, dem man nun die Vorliebe zu Neil Young und Crosby, Stills & Nash noch deutlicher anhört. Wie die Harmoniegesänge gesetzt sind, wie die Gitarren knarzen, die Akustischen zirpen und die Band nicht selten zu ellenlangen improvisierten Outros anhebt, das ist ergreifend und nicht bloß eine formelhafte Anwendung der musikalischen Kniffe des Laurel Canyon – Gripka ist bei seinen Aufnahmen auf etwas gestoßen, das man nur erträumen und aus dem Augenwinkel sehen kann. Eben jenes Musikgefühl, das Neil Youngs Musik so brillant macht. „Ich wollte die Leere, aber es geht nicht um Depression oder Wut, sondern um Stille und eine Weite, so als würde man das Gesicht Gottes in der Natur sehen, wenn man sich so etwas vorstellen kann. Natürlich hat das Album ein reflexives, spirituelles Moment“, erklärt Gripka, ohne sich auch nur eine Sekunde dafür zu schämen, dass das möglicherweise pathetisch oder esoterisch klingen könnte.

„Israel Nash’s Rain Plans“ entstand in Gripkas Haus, in dem die Band zwei Wochen lang live zusammenspielte und neun Songs auf einer eigens aus New York eingeflogenen Studer-16-Spur-Bandmaschine aufnahm. Der Moment des Entstehens, der rumpelige Sound eines Ad-hoc-Studios, die warme Bandsättigung: Auch das trägt zur Faszination bei, die dieses Album versprüht.

Die Songs – darunter das fantastische „Women At The Well“, das Gripka zart und geisterhaft singt wie Bon Ivers Justin Vernon in seinen besten Momenten, und das mit einer tief seufzenden Pedal Steel vergoldete „Through The Door“ – seien so schnell wie noch nie entstanden und würden einige sehr persönliche Dinge verarbeiten, sagt Gripka. So persönlich, dass er davon absah, die Texte ins Booklet zu schreiben. Bedeckt, ja, geheimnisvoll gibt sich Gripka auch, wenn es um seine neue Heimat geht, zumal er selbst noch nicht genau zu wissen scheint, was sie in ihm bewirkt: „Hier in Texas geschieht etwas mit mir, das tief in meinem Inneren abläuft. Ich fühle mich hier allem näher – meinen Freunden, meiner Familie und vor allem mir selbst.“

Israel Nash Gripka wurde in Missouri geboren und zog 2006 nach New York City, um dort Songs zu schreiben und Platten aufzunehmen. Sein erstes Album, „New York Town“, erschien 2009; es folgten ein weitere Platte und ein Live-Album, die in Deutschland von dem Americana-Label Blue Rose herausgebracht wurden. Das neue Werk, „Israel Nash’s Rain Plans“, belehnt sogar mit der naiven Malerei auf dem Cover die Platten der späten 60er-Jahre und verbindet Quicksilver Messenger Service mit Crosby, Stills, Nash & Young und The Grateful Dead.

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