Howard Carpendale in Berlin: Wie der späte Sinatra – Timing ist alles

Vor 5.000 Zuschauern trat Howard Carpendale auf dem Gendarmenmarkt in Berlin auf. Er macht nichts Unnötiges auf der Bühne: Das Pathos liegt in den Liedern, es braucht keine großen Gesten.

Vor zwei Tagen erst ist Howard Carpendale „von unserem Freund Corona“ genesen. Die Ärzte, scherzt er zu Beginn seines Auftritts auf dem Berliner Gendarmenmarkt, hätten ihm von der üblichen extensiven Beweglichkeit abgeraten. Nämlich diese: Einer der Background-Sänger demonstriert die Michael-Jackson-Moves zu „Billie Jean“.

Statt dessen: „Hello Again“ nach der Einstimmung mit einem Medley aus angesungenen Howie-Evergreens aus sechs Jahrzehnten, darunter auch seine legendäre deutsche Fassung von „Ob-La-Di, Ob-La-Da“, „Indianapolis“ und „Das schöne Mädchen von Seite 1“, der erste Hit von 1970. Zwei Jahre wurde dieses Konzert auf dem Gendarmenmarkt im Rahmen des „Classic Open Air“ aufgeschoben – eine Variation von „Die Show meines Lebens“, hier „Die Symphonie meines Lebens“. Acht Streicher und fünf Bläser dominieren aber nicht Carpendales patentierte Band, die sogar „Tür an Tür mit Alice“ nicht knallig-stumpf spielt – so wenig wie eine Sängerin und drei Sänger seinen Vortrag überfrachten.

Howard Carpendale beim Auftritt am Berliner Gendarmenmarkt

Es gibt kein Zuviel bei Carpendale, der nachgerade dezent die Melodramen, die Trennungs- und Einsamkeitslieder singt: Das Pathos liegt in den Liedern, es braucht keine großen Gesten. Wie der späte Sinatra macht Carpendale nichts Unnötiges auf der Bühne: Timing ist alles. Die Anekdoten erzählt er im Wohnzimmerton, seinen treuen Bassisten Frank Itt ehrt er mit gutem Humor („So wie Boris Johnson hattest du früher die Haare“), und die Selbstironie bei der Rede von seinem Alter – er ist 76 – poltert nicht, wenn er die sehr junge Sängerin fragt, ob sie sich an die „Hitparade“ im ZDF erinnern könne. Die Band spielt dann die Fanfare der Sendung, sogar die Stimme von Dieter Thomas Heck ertönt – und Carpendale singt, mit Verneigung vor Peter Maffay und der Münchner Freiheit, „Du“ und „Ohne dich“, bevor er „Deine Spuren im Sand“ und „Alice“ bringt.

Ja, er hat 700 Songs aufgenommen, aber die Kunst liegt in der Auswahl. „Samstag Nacht“ hat er umarrangieren lassen, um den Text zu betonen (und er singt es zweimal an diesem Abend). „Geh doch“, wahrlich ein ungewöhnlicher Schlagertext, ist immer in Repertoire – ebenso wie „Nachts, wenn alles schläft“, ein Stück, das vom Publikum präzise mitgesungen wird. Am Ende des ersten Teils ist auch das Sentiment von „Du bist doch noch hier“ und „Unter einem Himmel“ wohltemperiert. Das Gefühlige konterkariert er mit dem Apercu von der Hochzeit seines Sohnes, der ihn darum bat, kein eigenes Lied, sondern Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ vorzutragen. Und natürlich singt Howie es mit gutturaler Satchmo-Stimme. „Suspicious Minds“ ist auch immer im Programm, ein Lieblingslied Carpendales.

Mit „Ti Amo“ und „Samstag Nacht“ beschließt Howard Carpendale das Konzert unter einem dramatischen Himmel über dem Gendarmenmarkt. An der Ecke Markgrafenstraße tanzen einige junge Frauen vor ihrem Smartphone: „Nachts, wenn alles schläft, dada-dadada.“

Arne Willander
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