Howard Shore: Vom „Horror Guy“ zum Symphoniker
Howard Shore ist einer der höchstdekorierten Komponisten der Hollywoodgeschichte. Nun erscheinen Orchesterwerke seiner größten Hits
Über viele Jahre galt Howard Shore als der „Horror Guy“. Auch Peter Jackson galt über viele Jahre als: der „Horror Guy“. Shore erschuf die Musik für „Das Schweigen der Lämmer“ und die Filme des so genannten „Body-Horror“-Pioniers David Cronenberg. Jackson wiederum war der Splatter-Regisseur von „Braindead“. Beide, Shore und Jackson: Gefangen im Genre.
Dann arbeiteten sie für die „Herr der Ringe“-Trilogie zusammen. Hollywood rechte damit, dass das dreiteilige, in Neuseeland gedrehte Projekt scheitert. Dann aber kamen die Oscars. Viele Oscars: 17. Jackson wurde als „Bester Regisseur“ gewürdigt, Shore erhielt im Abstand von zwei Jahren drei für die Scores. 2004 war das. Seitdem gelten Shore und Jackson als Könige ihres Fachs. „Der Herr der Ringe“ wird in Umfragen regelmäßig als „Bester Soundtrack aller Zeiten“ gewürdigt.
„Natürlich ehrt mich das“, sagt Howard Shore, 78. „Alles, was ich übers Komponieren gelernt habe, kam beim ‚Herrn der Ringe‘ zum Tragen. Ich war ready. Hatte die Erfahrung. Ich war im richtigen Alter.“
Symphonische Filmmusik der Granden verkauft sich neuerdings bestens
Die viel beschworene Magie der Musik: Sie lässt sich spüren, aber nicht erklären. Findet auch Shore. „Vielleicht gibt es ein verbindendes Element zwischen J.R.R. Tolkiens epischer Geschichte, Peters Regiekunst und meiner Komposition. Ich kann es nicht anders beschreiben. Die Menschen fühlen, dass etwas zusammengekommen ist, das zusammengehört.“
Mit „Anthology – The Paris Concerts“ erscheint nun eine Orchesterdarbietung seiner populärsten Scores. Eingespielt mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France, und in verschiedenen Konfigurationen. Shores Label Deutsche Grammophon hat gut aufgepasst. Deren Veröffentlichung von John Williams‘ Berliner-Philharmoniker-Konzerten landete 2022 gegen jede Wahrscheinlichkeit auf Platz eins der Albumcharts. Vor Korn, Saxon und Falco. Symphonische Filmmusik der Granden verkauft sich neuerdings also bestens.
Wie die großen drei Komponisten der Hollywoodgeschichte, John Williams, John Barry und Jerry Goldsmith, begann auch Howard Shore im Jazz. Ab Erstausstrahlung von „Saturday Night Live“ 1975 war er Musical Director der Hausband, er erfand den Namen Blues Brothers. 1979 nahm er für seinen kanadischen Landsmann Cronenberg „The Brood“ auf, die erste von 17 Kooperationen. Einige davon, wie „The Fly“ und „Eastern Promises“, werden in den „Paris Concerts“ gewürdigt.
Das blinde Verstehen zwischen Komponisten und Regisseur, die langjährige Partnerschaften bilden – das ist kein Mythos? „Wenn David einen Film dreht, schickt er mir das Drehbuch“, sagt Shore. „Wir reden nicht viel. Kurz über Produktion und Casting. Dann kann ich anfangen.“ Er arbeite gern allein. „Ich habe nicht viele Kreativpartner. Schreibe Noten mit dem Stift auf. Ich orchestriere selbst. Und ich orchestriere in Tinte. Den ‚Herrn der Ringe‘ habe ich für 238 Musiker komponiert.“
„Ich will doch mit Menschen in Kontakt treten, nicht mit Computern“
Als liebsten Score bezeichnet Shore Teil eins der „Ringe“, „Die Gefährten“. Die meisten Apologeten kennen ihn heute als Symphoniker der Leitthemen, der Helden- und Schurkenmotive von Tolkien-Figuren. Aber es gibt auch den anderen Shore, den der Avantgarde. Nicht nur im Horror. Zu seinen meistaufgeführten Werken gehört Cronenbergs „Crash“. Ein umstrittener Thriller über verlorene Seelen, die durch Autounfälle erregt werden, auch durch eigene Verletzungen. „Mein experimentellster Soundtrack“, sagt Shore. „Drei Harfen, sechs E-Gitarren, Metall-Percussions, Altflöten. Schichten auf Schichten, übereinandergelegt.“ Das Ergebnis: Ambient, traumhaft und verstörend zugleich. Ein Soundscape, wie er 1996 selten zu hören war.
Shore dirigiert heutzutage nicht mehr, die Paris-Aufnahmen leiteten Ludwig Wicki und Bastien Stil. Aber er besucht seine eigenen Werkaufführungen. Von den inflationären Second-Hand-Orchestern, die in Mehrzweckhallen „Best of Howard Shore“- oder „Best of Hans Zimmer“-Multimedia-Events aufführen, rät er ab: „Besuchen Sie die offiziellen Konzerte! Ich sage mal: Dort ist die Musik besser.“
Howard Shore hat auch, wie Lydia Tar, Musik für ein Fantasy-Computerspiel („Soul of the Ultimate Nation“) geschrieben. Und er liebt den Theremin, er verwendete ihn 1994 für „Ed Wood“. Hat er je daran gedacht, Künstliche Intelligenz, statt Vintage-Instrumente zu nutzen? „Auf keinen Fall. Ich nutze stattdessen meine Ohren.“ Für Tim Burtons Film engagierte er die Theremin-Virtuosin Lidija Jewgenjewna Kawina. „Ich schrieb Stücke speziell für sie.“ Und gibt die wunderschöne Antwort: „Ich will doch mit Menschen in Kontakt treten, nicht mit Computern.“