Hurricane: Eine Hassliebe?

Seit 16 Jahren nur ein Hurricane verpasst – was ist das eigentlich, das einen immer wieder hier hin treibt? Und ebenso begeistert wie erschöpft abreisen lässt? Daniel Koch geht der Frage nach.

Jetzt geht wieder alles von vorne los. Man schleicht über die Feldwege und die Bundestraßen im Landkreis Rotenburg an der Wümme. Man ärgert sich im Anreisestau über den breitärschigen Traktor (der mit Güllenresten an den Reifen zudem die norddeutsche Landluft verströmt), man amüsiert sich über die Dorfjugend, die mit ihren Mountainbikes an Kreuzungen herumlungert, und die Anreisenden begafft. Und, auch wie fast in jedem Jahr, wurmt es einen, dass man die Woche bei Sonnenschein und 27 Grad startet und bei Nieselregen und 17 Grad am Donnerstag in Scheeßel ankommt. Und trotzdem ist da diese Euphorie, die sich bei mir inzwischen seit 16 Jahren hält.

Seit Festivalbeginn im Jahr 1997 war ich nur in einem Jahr nicht dort – und das, weil ich dort die Möglichkeit hatte, zum ersten Mal das Glastonbury zu besuchen. Ein guter Grund, wie ich finde. Die Premiere war mein zweites großes Festival überhaupt (die Premiere war das Pinkpop 1996), und schon im ersten Jahr wurde ich dort nicht nur nachhaltig mit dem Phänomen Festival angefixt (was dazu führte, dass ich später mein Volontariat bei Deutschlands größtem und einzigen Festivalmagazin machte), sondern ebenso motiviert, nicht nur den großen Namen auf den Hauptbühnen hinterherzuhecheln. Rammstein? Who the fuck cares… INXS? Gähn… Nein, meine Favoriten in diesem Jahr hießen Son Volt, Sharon Stoned und The Men They Couldn’t Hang.

Für den großen Festivalmoment sorgten dann die Lightning Seeds, die damals gerade „Three Lions“ veröffentlicht hatten – und des Songs noch nicht überdrüssig waren. Die Zeltbühne bebte geradezu, als die Band schon mit „It’s coming home!“-Chören begrüßt wurde – und als der Song am Ende gespielt wurde, lagen sich tausende grölend in den Armen, wie man es zu der Zeit sonst vielleicht nur von Oasis-Konzerten kannte. Selbst als der DJ danach übernahm, und den noch ebenso frischen „Song 2“ aufdrehte,  löste sich die Meute nicht auf und feierte ihn – ganz so, als stünden gerade wirklich Blur auf der Bühne.

Der Auftritt von Son Volt hingegen – das pure Gegenteil. Eine Handvoll Fans verstreuten sich im Zelt, nickten bedächtig zur Pedal Steel, lauschten dem zerrauchten und zersoffenen Organ des großen Jay Farrar. Man vergisst das heute schnell, wenn man sich bei den Ärzten an 50.000 Menschen reibt – aber das Hurricane hatte schon immer (und hat auch heute noch), diese ruhigen Momente, diese Bands, die auf einem Festival in der Größenordnung normalerweise eben nicht an der Tagesordnung stehen. Im Festival Guide stand im letzten Jahr, glaube ich, das Hurricane habe ein „Indie + x“ –Line-up – das triff die Sache ganz gut. Denn meine Highlights in der Festivalgeschichte heißen zwar auch Foo Fighters, Beatsteaks, Beastie Boys, Beck, Massive Attack, Blur und Pulp, aber auch ebenso Wilco, Madrugada, dEUS, Son Volt, die deutschen Fink, Ween und Built To Spill. Denn: Ja, auch die spielten hier auf diesem als so laut verschrieenen Festival.

Das Hurricane war auch das erste Festival, das man mit einer gewissen Treue verfolgte, und bei dem man einfach wusste, dass man in jedem Jahr seine Freunden und Bekannte dort treffen wird. Oder man reiste gleich mit ihnen an – was dann später zu der für Festivals essentiellen Erkenntnis führte: Wenn  man wegen der Musik da ist, sollte man auf Gruppendynamik scheißen. Sonst verpasst man immer nur alles, oder versackt unter dem Zeltpavillon.

Später wurde es für zusehends zu einem Arbeitsfestival. Ein paar Jahre verbrachte ich damit, an den Anreisetagen die Eintrittsbändchen anzubringen. Ein super Job, der ein paar Euro brachte und der beim eigentlichen Festivalbeginn so gut wie beendet war. Die wunderbaren Kollegen der kleinen, dafür zuständigen Firma aus meiner Studienstadt Hildesheim – die Klangpiraten – taten ihr übriges, um auch diese Jahre in guter Erinnerung zu behalten. Auch meine ersten Interviews – zunächst für ein Uni-Radio, später als Praktikant dann als Voluntär für ein Musikmagazin – fanden dort statt.

All diese Erinnerungen schwingen nun mit, wenn man sich hier mit dem Wetter und den Anreiseschwierigkeiten rumplagt – mit der seltsamen Erkenntnis, dass man mich durchaus einen Festivalveteranen nennen könnte. Ich weiß schon jetzt nicht mehr, wie ich all meine Bekannten und Kollegen und Ex-Kollegen hier treffen soll, sorge mich jetzt schon darum, vielleicht das essentielle Konzert des Festivals zu verpassen, weiß jetzt schon, dass ich irgendwann am Wochenende den Arsch oder zumindest die Füße nass kriegen werde, weiß jetzt schon, dass mich wieder der ein oder andere zu voll getankte „Ich bin nur wegen Blink hier“-Typ nerven wird (vermutlich beim The Cure-Konzert, bei dem er neben mir stehen wird, weil seine Freundin bzw. die Julie vom Nebenzelt die sehen wollte), weiß jetzt schon, dass ich in diesem Jahr noch mehr Arbeit als vorher habe, weil unser Magazin ja präsentiert und deshalb recht ausführlich berichtet – und trotzdem: KANN  ES JETZT BITTE ENDLICH LOSGEHEN?

Wem dieser Text bekannt vorkommt: Den hatten wir schon im vergangen Jahr so ähnlich in unseren Blog geschrieben – da war aber damals recht viel positives Feedback bekommen haben, und das dort beschriebene Gefühl ja – genau wie beschrieben – alle Jahre wieder am Donnerstag vor dem Hurricane wieder aufkommt, gibt es ihn hier editiert noch einmal…

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