„Ich werde mich hüten, die Diva zu spielen“

Der deutschstämmige Schauspieler Michael Fassbender ist Hollywoods große Hoffnung. In den nächsten Monaten ist er gleich in fünf Filmen zu sehen.

Michael Fassbender, überall Michael Fassbender. Tolles Talent, klar. Radikal als Häftling in „Hunger“, geschmeidig als britischer Offizier in „Inglourious Basterds“. An jeder Ecke hört man seinen Namen. Das Geraune schwillt zum Mantra, seit er begehrte Projekte stapelt wie kein zweiter Neuling. Mit David Cronenberg, Ridley Scott, demnächst wohl Jim Jarmusch – keine Regisseure für Anfänger eigentlich. Derweil rotiert die Medienmaschine und die Branche schwenkt die Großscheinwerfer ein. Gleich drei Firmen wollen ihn für ihre neuen Produktionen ins Oscar-Rennen schicken. Als künftiger 007 wird er überdies gehandelt, nicht erst seit angeblicher Abwanderungsgedanken Daniel Craigs. Fassbenders inoffizielle Bewerbung als Mutant mit Connery-Coolness in „X-Men: First Class“ genügte.

Beim diesjährigen Filmfest in Venedig löst der irische Schauspieler deutscher Abstammung zunächst zwar noch keine kollektive Hysterie aus, aber er zieht mehr Blicke auf sich als jeder andere männliche Newcomer auf der Promenade des Lido. Etwas abseits, in den schattigen Marmorsälen eines Palazzo, kreuzt man ständig die Wege von Cronenberg oder Keira Knightley. Wie Viggo Mortensen, der in Cronenbergs „A Dangerous Method“ einen herrlich hermetischen Sigmund Freud gibt, eilen sie von Mikrofonwald zu Kamerateam, um die Weltpresse zu verarzten mit Einsichten zur Entstehung der Psychoanalyse. Nur dass so ein Werk in Deutschland als „Eine dunkle Begierde“ läuft, sorgt kurz für Sprachlosigkeit.

Über die Zukunft von Hauptdarsteller Fassbender, der den sexuell ausgehungerten Doktor Carl Jung spielt, gibt es im Expertenpool keine zwei Meinungen. Er habe das Zeug zum neuen Daniel Day-Lewis, schreibt der „Guardian“. Aber er sieht besser aus, ergänzen viele fröhliche Frauen, die den neuen Darling heute schon erspäht haben in seinem grauen Dreireiher zu offenem, weißem Hemd und Dreitagebart. Er schwitzt nicht mal. Unverschämt.

Sogar in den vermutlich Hunderten von Interviews strahlt der gebürtige Heidelberger so gewinnend wie sonst nur Ewan McGregor. Weniger jungenhaft wirkt Fassbenders Charme, aber klaren, unverstellten Blickes aus den babyblauen Augen. Etwas ungläubig ob des Trubels. Und selig wie jemand, der aufwacht und feststellt: Ist ja alles gar kein Traum.

Wie denn „Eine dunkle Begierde“ gelungen sei, will er mit irisch rollendem Zungenschlag wissen. Er selbst sehe eigene Filme ja immer als Letzter, bei der Premiere.

Wieso eigentlich? Ist er einer dieser sensiblen Method Actors, die sich nicht selbst auf der Leinwand ertragen, fragt man ungläubig zurück. „Ich kann ziemlich gut zwischen meiner Arbeit und meiner Person trennen“, sagt er und lacht. „Ich staune selbst, wenn ich von Kollegen höre, die sich mit dieser Unterscheidung schwerer tun. Doch jeder hat seine Technik. Meine besteht darin, mir genug Mühe zu geben, um nach Möglichkeit nicht gefeuert zu werden. Und ich werde mich hüten, die Diva zu spielen – dazu erinnere ich mich noch zu gut, wie es sich anfühlt in der Schlange beim Arbeitsamt.“

Keine Koketterie. Bevor er nach einem offenen Casting ausgewählt wurde, in Steve McQueens „Hunger“ ein IRA-Mitglied zu spielen, ergatterte Fassbender gerade mal die üblichen Nebenjobs, hatte die Theaterschule geschmissen und fragte sich mit Anfang 30, „ob es nicht doch Zeit für etwas Vernünftiges wird“. Kühn hatte er nämlich aufs Kino gesetzt, dessen Intimität zwischen Kamera und Gesichtern er – im Gegensatz zum distanzierten Bühnenspiel – liebt. Vielleicht liegt darin sein gesunder Mangel an Ehrfurcht vor der Kunstform begründet, die theatergeschulte Stars gern zu Monologen über „the craft“ verführt, als sei Schauspielerei ein unergründliches Mysterium.

Fassbender erklärt nicht, sondern staunt lieber über andere. Über Cronenberg und Mortensen, die ihr höchst seriöses Tun in Drehpausen mit dreckigen Witzen auflockern und damit auch seine flatternden Nerven beruhigten. Oder über Ridley Scott, für den er in Island gerade dessen streng geheim gehaltenes Sci-Fi-Comeback „Prometheus“ abgedreht hat und der „unnatürlicherweise nur zwei Augen braucht, um mit acht zugleich laufenden Kameras magische Momente zu finden“. Fassbender schüttelt den Kopf, kurz in der Erinnerung gefangen. „Man muss das wohl lange sacken lassen – und gut möglich, dass ich nie mehr mit solch großen Talenten drehen werde.“

Sehr wahrscheinlich ist das nicht, denn nur weil Fassbender seine technische Klasse nicht gern in erklärende Worte gießt, sind seine Instinkte für Figuren und Eigenwirkung nicht weniger geschärft als bei alten Hasen. Wobei er Mangel an Erfahrung notfalls mit Fleiß kompensiert. „Ich versuche, ein Script vor dem Dreh nach Möglichkeit um die 250 Mal zu lesen. Also wirklich bis zu zehn Mal am Tag – so oft, bis ich es ständig mit mir trage wie einen neuen Anzug.“ Das Drehbuch ist der Boss – im Fall von „Eine dunkle Begierde“ verzichtete Fassbender frühzeitig auf das Wälzen von Biografien über Jung, wohl wissend, dass „ich den wahren Mann am Ende doch nie ganz verstehen werde“.

Dieses Vertrauen in die eigene Intuition lässt Fassbender seit seinem Durchbruch erstaunlich selbstbewusste Entscheidungen treffen. Schon in „Hunger“ beeindruckte er nicht so sehr, weil er in seiner Rolle als im Hochsicherheitstrakt gefangenes IRA-Mitglied Bobby Sands Christian Bale („Der Maschinist“) im Rennen um den ausgezehrtesten Kinokörper auf die Plätze verwies. Der Coup war eine fast 20-minütige, ungeschnittene Sequenz, in der Sands nur mit einem Priester am Tisch sitzt und redet. Der Dialog wogt zwischen Zorn und Versöhnung, knallhart trifft das Politische aufs Persönliche, und keinen Moment mag man den Blick abwenden von diesem Häuflein Mensch, dessen leise Worte kräftiger sind als das waffenstarrende Thatcher-Sys-tem, das ihn gefangen hielt.

„Natürlich hatte ich enormes Glück, dass mich Regisseur Steve McQueen entdeckte“, sagt Fassbender, „noch dazu in einer Rezession, als weltweit die Produktion heruntergefahren wurde. Doch wie sagte mal ein großer Golfer: Je mehr ich übe, desto glücklicher werde ich mit der Zeit.“

Fassbender beim Üben zuzusehen heißt, jedes Mal eine neue Persönlichkeit zu entdecken. Auf den grimmigen, zunehmend größenwahnsinnigen Altnazi-Jäger in „X-Men: First Class“ folgt sein repressiver Verhaltensforscher in „A Dangerous Mind“, der fast implodiert vor Lust, als die junge hys-terische Russin Sabina Spielren (Keira Knightley) in seine Züricher Klinik eingeliefert wird. Nicht minder getrieben, wenngleich entschärft für die Mädchen: sein von der Liebe geläuterter Schlossherr in der x-ten Verfilmung von Charlotte Brontës“Jane Eyre“.

Nichts scheinen diese Figuren mit Fassbender zu tun haben, der persönlich noch durchgeschüttelt ist von 20 Monaten Nonstop-Arbeit und „bis zum neuen Jahr pausieren und alles sacken lassen“ möchte. Natürlich.

Ein paar Tage nach unserem Gespräch bekommt er für „Shame“ (Kinostart: März 2012), die zweite Kollaboration mit McQueen, in Venedig den Darstellerpreis. Steven Soderbergh wiederum, dessen Martial-Arts-Thriller „Haywire“ mit Fassbender als Prügelknabe auch längst fertig ist, erzählt beim selben Festival, dass er „seit Terence Stamp keinen so vielseitigen nicht-amerikanischen Schauspieler mehr inszeniert“ habe.

Bei so viel Aktivität kann es schon mal vorkommen, dass Fassbender von den Dreharbeiten zu „Eine dunkle Begierde“ in Babelsberg und seinen Belrin-Erkundungen schwärmt. Bis Mortensen davon Wind bekommt und ihn künstlich empört daran erinnert, dass in Köln und Umgebung gedreht wurde. Babelsberg? Ach ja, das war bei Tarantino und den „Basterds“.

Mangelnden Deutschkenntnissen dürfte die kurzzeitige Verwirrung kaum zuzuschreiben sein. Wie im elektrisierenden „Basterds“-Duell mit August Diehl damals spricht Fassbender die Sprache auch abseits der Leinwand überaus passabel und versucht nach Möglichkeit, Bücher aus der Heimat seines Vaters zu lesen und die nationale Theaterszene zu verfolgen. „Vielleicht habe ich daher meine Disziplin“, witzelt er – und kassiert das Kompliment an sich selbst gleich wieder ein. „Andererseits ist das gelogen. Ich war nie organisiert und fokussiert genug, um zum Beispiel meinen Lieblingsregisseuren Briefe zu schreiben und Probebänder zu schicken wie jeder angehende Schauspieler, den ich kenne. Ein paar deutsche Filmfirmen habe ich mal mit der Bitte um Projektfinanzierung angeschrieben. Ich habe allerdings nie was von ihnen gehört – so gut ist mein Deutsch offenbar doch nicht.“

Die Sprachkenntnisse scheinen auch nicht so entscheidend. Sicher ist, dass er herausragt aus einer ohnehin starken Schauspieler-Generation aus Großbritannien. Sein schottischer „X-Men: First Class“-Partner James McAvoy gehört genannt, ebenso Tom Hardy („Inception“) oder Tom Hiddleston („Thor“) aus England. „Ja, es ist seltsam“, räsoniert der Älteste und darstellerisch Vielseitigste aus dem UK-Camp, „gerade waren noch jede Menge Australier angesagt, nun sind wir an der Reihe. Glücklicherweise gibt es genug Arbeit für alle und ich hoffe, dass die nächste Welle mit guten Leuten aus einem anderen Land noch auf sich warten lässt.“

Momentan erweckt nichts den Anschein, als spräche der Zeitgeist so bald gegen Fassbender, der sehr markant und auf Wunsch auch mit Mad-Man-Retro-Appeal den Mangel an Männern füllt, den die US-Fixierung auf Teenager zeitigt. In welche Richtung sein Leben und seine Karriere verlaufen werden, wenn binnen der nächsten Monate fünf Fassbender-Filme starten und die Preissaison ihre ganz eigene Dynamik entwickeln kann – unmöglich zu prognostizieren. Auch für den smarten Mimen selbst, der seine womöglich letzten Tage in Anonymität auf dem Motorrad irgendwo in Europa verbringt, während Sie diese Zeilen lesen. Mit seinem Vater war er schon vor Venedig auf zwei Bikes aufgebrochen, um mal nach Sarajevo zu fahren, dann ging es nach San Sebastian, Rom war angedacht. Kein Zufall, dass sie auch im Urlaub jeweils Städte ansteuerten, in denen Filmfestivals liefen.

So immunisiert Fassbender gegen das Prätentionsvirus der Hochkultur wirkt, so hoffnungslos ist er dem Kino verfallen. Wie es nur ein glühender Fan kann, schwärmt er von Ridley Scotts Bühnenbauten, Soderberghs Präzision oder dem Glücksgefühl, das Ergebnis riskanter Produktionen an Orten wie Venedig präsentieren zu können. Dass er selbst ein wesentlicher Teil dieser großen Produktionen ist, scheint er in diesen Momenten fast zu vergessen.

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